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Sinnliche Sanftmut

15.10.2024

Das Martin von Wagner Museum hat zwei Gemälde mit Zuschreibung an Giambattista Tiepolo ersteigert. Die Darstellung gibt noch Rätsel auf – die Irritation gehört zu den Kennzeichen des Malers.

Sie gehören zu den wichtigsten Neuzugängen seit Jahrzehnten: Tugend-Allegorien von Giambattista Tiepolo, seit kurzem im Martin von Wagner Museum.
Sie gehören zu den wichtigsten Neuzugängen seit Jahrzehnten: Tugend-Allegorien von Giambattista Tiepolo, seit kurzem im Martin von Wagner Museum. (Bild: Raphael Bücken / Martin von Wagner Museum)

Das Würzburger Universitätsmuseum ist um eine Neuerwerbung reicher, für die das Attribut „sensationell“ nicht zu hoch gegriffen scheint: Bei einer Auktion konnten jetzt zwei Leinwandbilder für die Gemäldegalerie gesichert werden, die allem Anschein nach von Giambattista Tiepolo (1696–1770) stammen.

Der Unternehmer Joachim Kuhn kam für die Finanzierung auf; über den Kaufpreis wird Stillschweigen gewahrt. „Bedenkt man, dass einzelne Tiepolo-Zeichnungen derzeit am Markt mit über fünfzigtausend Euro gehandelt werden, lässt sich der Wert der beiden Gemälde vielleicht erahnen“, sagt Professor Damian Dombrowski, der die Neuere Abteilung des Martin von Wagner Museums leitet. Er hat bei einem Münchner Auktionshaus das Bildpaar ersteigert, das aus einer kalifornischen Privatsammlung stammt.

Tiepolo aus der Nähe erleben

Kuhn, ein Alumnus der Julius-Maximilians-Universität, hat auch die Mittel für eine angemessene Präsentation in der Gemäldegalerie zugesagt. Anfang dieses Jahres hatte das Museum mit seiner Unterstützung schon einmal bei der Versteigerung eines Tiepolo-Gemäldes in New York mitgeboten, musste sich aber einem Mitbieter geschlagen geben. Dombrowski zufolge sind nun jedoch die weitaus attraktiveren Bilder nach Würzburg gelangt.

Der Museumsdirektor ist sich sicher, dass sich mit dem Ankauf der Ruf des Universitätsmuseums als eine der wichtigsten Sammlungen von Werken des Venezianers weiter verfestigen werde. „Im Treppenhaus und im Kaisersaal der Residenz kann man sich von Tiepolo aus der Ferne überwältigen lassen; bei uns, also gleich nebenan, lässt sich seine Kunst dagegen von nahem erleben“, nämlich in den jetzt fünf Gemälden und den zahlreichen Zeichnungen der Graphischen Sammlung.

„Der berühmteste aller virtuosen Maler“

Die Bilder – sie sind rund 50 Zentimeter breit und 40 Zentimeter hoch – stehen in einer noch genauer zu klärenden Beziehung zu einer prominenten Ausmalung im Venedig des 18. Jahrhunderts: Zwischen 1739 und 1740 lieferte Tiepolo insgesamt neun Kompartimente für die Decke des Kapitelsaals der Scuola Grande dei Carmini, einer karitativen Stiftung mit Nähe zum Karmelitenorden.

Die Eckfelder, geschaffen 1743/44, zeigen jeweils zwei bis drei Tugend-Personifikationen, die Tiepolo selbst auswählen durfte, schließlich galt er als „der berühmteste aller virtuosen Maler“, wie es bei der Verpflichtung durch die Scuola über ihn heißt. Die Motive von zweien dieser ungewöhnlichen Formate kehren in den frisch erworbenen Gemälden wieder. Sind es also Kopien oder dienten sie der Werkvorbereitung?

Qualität als Argument

Eine Nachschöpfung von fremder Hand hält Dombrowski für wenig wahrscheinlich. Angesichts der Abbildungen im Auktionskatalog sei er noch skeptisch gewesen, doch die Autopsie der Originale habe ihn überzeugt, hier Werke des Meisters vor sich zu haben. „Die Dynamik und die Sicherheit der Pinselzüge, die Komplexität von Farbgestaltung und Licht-Schatten-Verteilung, die einzigartige Himmels- und Wolkenbehandlung, die zeichnerische Matrix von Komposition und Binnenformen, schließlich auch eine ganze Reihe figürlicher und gegenständlicher Motive – dies alles spricht sehr für die Eigenhändigkeit.“

Vor allem die hohe Qualität lasse eine andere Autorschaft fast unmöglich erscheinen. Der schwäbische Maler Franz Martin Kühn zum Beispiel hat um die Mitte der 1740er-Jahre Zeichnungen nach den Deckenbildern der Scuola angefertigt (und auf dieser Grundlage Fresken im Kloster Wiblingen), die im Vergleich mit den neu erworbenen Gemälden aber geradezu unbeholfen wirken.

Gewisse Vereinfachungen sind zu erklären

Auch die Möglichkeit, dass sie von der Hand Giandomenico Tiepolos stammen, hält Dombrowski für nahezu ausgeschlossen. Dieser älteste Sohn des Malers sei erst seit der Würzburger Zeit (1750–1753) mit eigenen Werken hervorgetreten; 1744 war er siebzehn Jahre alt. Die Zeichnung, in der er selbst eines der Eckfelder reproduziert hat, wirke unsicher gegen die souveräne Durchführung der Gemälde.

Die Eckfelder an der Decke der Scuola messen rund 240 Zentimeter im Durchmesser und sind damit fast fünfmal so groß wie die handlichen Formate der nun in Würzburg befindlichen Gemälde. Damit sind wohl gewisse Vereinfachungen zu erklären; in seinen Ölskizzen arbeitet Tiepolo die einzelnen Motive nie so detailliert aus wie im endgültigen Werk.

Typisch Tiepolo: Vereinfachungen der Ölskizze

Dies könnte als weiteres Argument pro Tiepolo zu werten sein: „Hätte sich ein anderer Maler an der Nachahmung dieser Kompositionen versucht, wären auch die Einzelheiten übernommen worden“, ist sich Dombrowski sicher. Der lapidare Wurf aber, der die beiden Gemälde auszeichne, sei wiederum typisch für die Vorgehensweise Tiepolos.

Ob es sich um Ölskizzen als Teil des Werkprozesses handelt oder um ‚Nachbilder‘ in verkleinertem Format, wie sie Tiepolo auf privaten Wunsch hin gelegentlich angefertigt hat, müsse noch herausgefunden werden. Kopfzerbrechen bereitet freilich auch die Ikonographie: Wen oder was stellen diese Frauen dar?

Erotisierung der Tugend

In einem der beiden Gemälde sind die Figuren eindeutig als Verkörperungen der Kardinaltugenden Gerechtigkeit und Starkmut bestimmbar, in dem anderen fällt eine klare Zuordnung nicht so leicht. Beim Vorbild in der Scuola ist sich die Forschung bei der Benennung des Bildpersonals nicht einig. „Die Freiheit, die dem Künstler zugestanden wurde, macht die Identifizierung dieser Gestalten nicht gerade einfacher“, meint Dombrowski.

Für Personifikationen der Geduld und der Unschuld, die in den eng aneinander geschmiegten Frauen des Vordergrunds gesehen wurden, fehlen seiner Meinung nach die Anhaltspunkte. „Dass eine ‚Unschuld‘ sich genießerisch räkelt, noch dazu mit entblößtem Oberkörper und lasziv gesenktem Blick, ist undenkbar“, so das Urteil des Kunsthistorikers. Vorläufig möchte er die junge Frau aufgrund des Lammes an ihrer Seite als „Mansuetudo“ (Sanftmut) bestimmen, wenn auch in einer ungewohnt erotischen Version.

Umdeutungen der Tradition

Ihre dunkelhäutige, zum Himmel aufblickende Gefährtin könnte die Reue verkörpern, die hinter ihnen stehende Rückenfigur die Keuschheit, zu der gemäß traditioneller Ikonographie auch eine Geißel oder Rute gehören kann. Genau dieses Attribut ist bei Tiepolo in die Hände des fliegenden Putto gewandert, der sich gleich auf die allzu attraktive Sanftmut stürzen wird.

Solche witzigen Interpretationen sind bei Tiepolo keine Seltenheit. Vermutlich hat er auch hier kodifizierte Darstellungsformen gelockert und vermischt. Das Sieb, das die mutmaßliche „Keuschheit“ hält, kommt beispielsweise auch bei Sinnbildern der Unterscheidung von Gut und Böse vor, das Lamm ist das Attribut sowohl der „Unschuld“ als auch der „Sanftmut“. Wie es scheint, spielt Tiepolo auch hier mit den Erwartungen des Publikums, die er regelmäßig unterläuft – er irritiert, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Öffentliche Führung zu den beiden Neuzugängen

Insofern hätten die neuen Bilder im Museum der Universität einen ihnen gemäßen Platz gefunden, so Dombrowski weiter. Schließlich sei die dauernde Infragestellung von fest verabredeten Annahmen ein wesentlicher Teil der akademischen Arbeit.

Derzeit werden die ungerahmt erworbenen Bilder mit passenden Rahmen versehen. Am 10. Dezember werden sie bei der Winckelmannfeier des Museums erstmals präsentiert. Kurz nach Tiepolos Geburtstag am 5. März wird es außerdem eine öffentliche Führung zu den beiden Neuzugängen geben, im Rahmen einer Initiative des Netzwerks „I luoghi dei Tiepolo“ (Tiepolo-Orte), dem das Museum seit dessen Gründung 2021 angehört.

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Von Pressestelle JMU

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