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Sommerfest statt Protest: die „68er“ an der JMU

10.07.2018

Vor genau 50 Jahre Jahren standen die "68er" für Aufbruch und den Kampf der Jugend gegen das "verstaubte" System. Doch was genau passierte damals an der JMU? Gab es Randale, Zerstörung und Demonstrationen? Das Uniarchiv klärt auf.

Studentendemonstration am 7. Juni 1967 anlässlich des Todes des Berliner Studenten Benno Ohnesorg vor der neuen Universität. (Quelle: Institut für Hochschulkunde)

Rapide ansteigende Studierendenzahlen Anfang der 1960er Jahre forderten die Universitäten, welche weder personell noch strukturell darauf vorbereitet waren. Besonders links orientierte Studierende verlangten unter dem Schlachtruf „Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“ radikale Veränderungen des Hochschulwesens. Die Studierenden richteten ihre Anklage gegen alle antidemokratischen Tendenzen und verlangten Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht. Anders als in anderen Städten verliefen die Proteste in Würzburg jedoch relativ ruhig, die Studierendenvertretungen setzten auf konstruktiven Dialog statt destruktiver Wutaktion.

Explodierende Studierendenzahlen, Platzmangel und Radikalisierung

Die Julius-Maximilians-Universität (JMU) war im Dritten Reich nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet worden, also orientierte man sich nach Kriegsende aus Gewohnheit und in Ermangelung einer eigenen Satzung an der alten bayerischen Hochschulverfassung von 1923, wonach dem Senat mit einem Rektor an der Spitze die Führung der Hochschule oblag. Die 5000 Studierenden Ende der 50er wurden nur zur Behandlung weniger für sie relevanter Themen hinzugezogen.

In offiziellen Belangen vertrat der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) die Studentenschaft, welcher aus je vier Vertretern der fünf Fakultäten bestand, die jeweils zum Ende des Wintersemesters in freien und geheimen Wahlen bestimmt wurden. Mit einem Anstieg von 5300 Studierenden 1960 auf 7878 zehn Jahre später wurden zunehmend Forderungen nach Hochschulreformen laut, die der Vermassung der Hochschulen Rechnung tragen sollten. Bis 1980 rechnete man mit einem Anstieg der Studierendenzahlen auf 12000, weshalb vermehrt der Numerus Clausus eingeführt wurde. Derlei Einschränkungen führten mit Überfüllung und Wohnungsnot zu vermehrten Protesten, die Hand in Hand mit höheren politischen Zielen und Forderungen nach mehr Demokratie gingen.

Studentendemokratie an der JMU – Mitsprachrecht als ewiger Streitpunkt

In Würzburg hatten die Studierenden seit Umgestaltung der Verfassung am 3. März 1921 das Recht, ihre Anliegen dem Rektor vorzutragen. Dieser war seinerseits verpflichtet, in allen studentischen Angelegenheiten der Vertretung der Studentenschaft Gelegenheit zur Meinungsäußerung zu geben. Gemäß Bayerischer Verfassung vom 2. Dezember 1946 waren Studenten an der Selbstverwaltung der Hochschulen zu beteiligen, soweit es sich um sie betreffende Angelegenheiten handelte. Zu diesem Zweck räumte man ihnen an der Universität Würzburg Sitz und Stimme im Engeren Senat ein.

Nach der Reformierung des AStA 1965/66 wurde ein Studentenparlament eingerichtet, welches aus 21 Mitgliedern verschiedener Hochschulgruppen bestand. Der Vorsitzende des AStA wurde mit einem weiteren Vertreter des Parlaments in den Engeren Senat entsandt. Das offizielle Mitspracherecht gestaltete sich jedoch in der Praxis nicht so, wie von den Studierenden angestrebt. Insbesondere forderten die Studierenden Einsicht in die Tagesordnung des Engeren Senats und Beteiligung an der Entscheidung, welche der Punkte studentische Angelegenheiten berührten und welche nicht.

Dieser Forderung wurde im Senat mit zwölf zu zwei Stimmen stattgegeben. In einem weiteren Vorstoß entfachten Studierende mit der Forderung nach Beteiligung an den Fakultätssitzungen weitere Diskussionen. Durch die Zurückhaltung des Würzburger AStA traute man den Würzburger Studierenden allerdings eine konstruktive Zusammenarbeit zu, weshalb die Fakultäten dazu aufgerufen wurden, Konzepte für die Zusammenarbeit mit den Studierenden hinsichtlich Fragen der Hochschuldidaktik und der Berufung von Vertretern bestimmter Spezialgebiete zu entwickeln.

Rechts- und Staatswissenschaftliche, Theologische und Naturwissenschaftliche Fakultät einigten sich rasch auf eine Zusammenarbeit mit den Studierenden, Medizinische und Philosophische Fakultät standen der Sache hingegen sehr kritisch gegenüber.

Neue Verfassung als Auslöser der größten Proteste

In Erwartung einer drohenden bayerischen Hochschulverfassung arbeiteten ab 1966 verschiedene Instanzen der Universität an einer neuen, eigenen Universitätsverfassung, um oktroyierende Vorgaben von Seiten des Ministeriums zu umgehen. Diese Neuerungen lösten schlussendlich maßgeblich die größten Studentenunruhen in Würzburg aus, da mit einer neuen Satzung auch die Mitspracherechte zu klären waren. Nach dreimonatigen Vorarbeiten sprach sich der Verwaltungsausschuss, jedoch ohne studentische Beteiligung, am 22. Februar 1967 für eine Kanzlerverfassung aus. Erst im Juni 1967 entschloss man sich zur Einbindung eines studentischen Vertreters in den Verfassungsausschuss.

Unsere Professoren, die letzten Diktatoren

Zwar hatte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) im Nachgang der Ermordung Benno Ohnesorgs in Berlin auch in Würzburg von sich reden gemacht, doch die Mehrheit der Studierenden sah sich eher durch ein betont unpolitisches, demokratisches Mittelfeld repräsentiert, weshalb im Frühjahr 1968 mit der „Würzburger Studentenunion“ eine „Aktionsgemeinschaft politisch unabhängiger Studenten der demokratischen Mitte“ stärkste Fraktion im Studentenparlament werden und den AStA-Vorsitz übernehmen konnte. SDS und Sozialdemokratischer Hochschulbund (SHB) bekämpften den neuen Satzungsvorschlag entschieden und der AStA arbeitete eine eigene Alternative aus. Aus Protest gegen die vom Senat geplante Reform verließen AStA-Mitglieder nach Verlesung einer Erklärung des Studentenparlaments den Festakt zum Stiftungsfest am 11. Mai 1968, da man in der Veranstaltung eine „Manifestation des altüberlieferten Selbstverständnisses der Ordinarienuniversität“ sah.

Die Vorschläge der Studierenden zur neuen Verfassung wurden nur in einigen nebensächlichen Punkten aufgenommen, ihrer Forderung nach stärkerer Präsenz der Studentenschaft im Großen Senat wollte man nicht nachgeben. Hätte man der geforderten Gewichtung von Ordinarien, Lehrbeauftragten und Studierenden Rechnung getragen, so wäre es bei einer Abstimmung theoretisch möglich gewesen, die 150 Ordinarien überstimmen zu können. Die Assistentenschaft zeigte sich mit den Studierenden solidarisch, auch sie forderte eine neue Universitätsstruktur hin zu einer horizontalen, den Aufgabenbereichen angepassten Gliederung der Hochschule.

Protestdemonstrationen und Hochschulstreik

Die linken Gruppierungen riefen zu einer Protestdemonstration und zum Hochschulstreik auf. Am Morgen des 11. Juli 1968, an welchem die Annahme des Satzungsentwurfes durch den Senat vorgesehen war, zog ein Demonstrationszug durch die Würzburger Innenstadt. Bereits in der Nacht zuvor hatten Studierende die Eingangstüren zur Universität am Sanderring verbarrikadiert, die Türschlösser zerstört und im Inneren Barrikaden errichtet. Am Nachmittag zogen etwa 700 Studierende nach einem sogenannten „Teach In“ in der Mensa mit Sprechchören wie „Haut den Professoren die Satzung um die Ohren“ und „Unsere Professoren, die letzten Diktatoren“ zur Neuen Universität und stürmte die dort tagende Senatssitzung, die daraufhin vertagt wurde.

Der amtierende Rektor, Walther Habscheid rief die Polizei zu Hilfe, welche aber aufgrund ausbleibender körperlicher Gewaltanwendung nicht eingriff. Der Rektor schloss zur Gewaltprävention die Universität bis zum 14. Juli. In der Nacht zum 13. Juli beschädigte eine kleine Gruppe Studierender die Eingangstüren zur Neuen Universität mit Pflastersteinen, sowohl AStA, als auch nahezu alle anderen studentischen Gruppierungen distanzierten sich von den Vorkommnissen. Lediglich der Rädelsführer konnte gegriffen werden, verriet aber seine Kameraden nicht.

Unter dem Schutz einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei und 40 städtischer Polizisten wurde am 16. Juli 1968 in der Alten Universität die Satzung beschlossen und trat trotz einer Protestaktion der Studierenden mit der Sammlung von 2000 Unterschriften am 1. Dezember 1968 in Kraft. An der Entscheidung waren weder Assistenten noch Studierende beteiligt.

Hochschulpolitische Umwälzungen – das Bayerische Hochschulgesetz als gemeinsamer Feind

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Satzung beschäftigte die Angehörigen der Universität bereits ein weiteres Problem, welches diesmal auch bei den Ordinarien auf Missbehagen stieß, da nun die Hochschulautonomie in Gefahr schien. Im Sommer 1967 begann sich der Engere Senat mit dem Gesetz auseinanderzusetzen, um eine entsprechende Stellungnahme zu erarbeiten. Auf Anregung des Rektors wurden studentische Vertreter in hörender Funktion zugelassen, die Mitarbeit war ihnen jedoch nicht erlaubt. Gegen diese Art der Teilnahme wuchs der studentische Widerstand.

Die Studierenden verlangten ein Mitspracherecht bei Berufungen sie lehnten den Numerus Clausus und die Zwangsexmatrikulation bei Überschreiten der Studienzeit ab, betonten jedoch, dass man gegenüber dem Kultusministerium eine gemeinsame Linie mit der Dozentenschaft fahren wolle. Im September 1968 war den Rektoren vom Kultusminister das Gesetz vorgelegt worden, sie hatten daraufhin erhebliche Bedenken geäußert, weshalb man im Ministerium bereit war, kleinere Änderungen vorzunehmen.

Gemeinsam gegen das Bayerische Ministerium?

Die gemeinsame Stellungnahme der Universität scheiterte jedoch an den sich verhärtenden Fronten zwischen Studierenden- und Assistentenvertretern und den Ordinarien. Der dritte Versuch, eine gemeinsame Stellungnahme abzugeben, wurde unter dem geschlossen von Assistenten und Studierenden gewählten Rektor Werner Uhlmann im Sommer 1969 gestartet. Er genoss den Ruf, besonderes Verständnis für die Belange der Studierenden zu haben. Mit seiner Vermittlung wurde für den 19. Juni 1969 ein „Dies academicus“ festgelegt, an welchem zum Gesetz Diskussionen und Vorträge stattfinden sollten. Außerdem wurde im Engeren Senat ein Aufruf zum politischen Protest durch demonstrative Aktionen beschlossen.

Die Widerstände und Streiks gegen das Bayerische Hochschulgesetz dauerten bis 1973 an, Höhepunkt war eine Aktionswoche mit Universitätsstreik rund um den „Dies academicus“, an welchem sich Studierende aus ganz Bayern beteiligten. Das zuvor von politischen Unruhen weitgehend verschont gebliebene Würzburg lag nun mit 7000 Streikenden an der Spitze, wenngleich es nicht zu gewaltsamen Ausschreitungen kam. Im Gegensatz zum Streit um die neue Universitätssatzung fanden die Aktionen nun nicht gegen, sondern gemeinsam mit den Professoren statt. Während in München nur etwa 10% der Veranstaltungen ausgefallen waren, nahmen in Würzburg nahezu alle Studierenden am Streik teil.

Die groß angesetzte Demonstration zählte trotz Regen ca. 2000 Teilnehmer mit Angehörigen aller universitären Gruppen. Bei dem anschließend geplanten Hearing in der Mensa hatten fast sämtliche hochrangigen Gäste unter Vorgabe wichtiger Termine abgesagt, weshalb die Veranstaltung für angeregte Diskussionsrunden genutzt wurde. Schlussendlich blieb das Bayerische Hochschulgesetz von den Protesten unberührt, trat am 1. April 1974 in Kraft und hinterließ ein „Gefühl der Unsicherheit, der Unlust und des Unmuts“ (Aus den Universitätsreden).

Das politische Klima stabilisierte sich nun zunehmend und der Ausbau des Campus schritt in den 1970er Jahren stetig voran. Mit 13.200 Studierenden im Wintersemester 1975/76 war die Universität Würzburg in Zeitalter der Massenhochschulen angekommen. Obwohl das Mitbestimmungsrecht nach wie vor nur eingeschränkt bis gar nicht vorhanden war, sorgte dies nicht mehr für weitreichende Proteste.

Sommerfest statt Protest

Im Gegensatz zu manch anderer Universitätsstadt konnte Würzburg keine wirklich weitgreifenden Unruhen verzeichnen. Im Semesterspiegel, der offiziellen Studentenzeitschrift, beschreibt Ludwig Pitter 1967 und 1968 die reaktionären, verspießerten Studenten, die lieber Bücher statt Notstandsgesetze läsen. Ein Freund sei von Berlin nach Würzburg gekommen, um auch hier die Revolution in Gang zu bringen. Ob seines linken Gedankengutes habe man ihn ausgelacht, seine Zitate Mao Tse Tungs in Bier ertränkt und selbst die Polizei, die ihn in einem mit sozialistischen Parolen beschmierten VW-Bus anhielt, habe ihn lediglich auf zwei platte Reifen hinweisen wollen und gefragt, ob er Hilfe brauche. Mit der Feststellung „es ist ein Jammer in Würzburg“ flüchtete er zurück nach Berlin und raufte sich die Haare ob der Tatsache, dass sich die Würzburger ihre „liebgewonnene Ruhe“ nicht nehmen ließen.

Nicht nur die Revolutionsgedanken, selbst die eigene Studentenvertretung stieß auf mangelndes Interesse, worauf der Titel „Tu er nichts und räsoniere“ des Semesterspiegels von 1962 hindeutet. Auch die Reform der studentischen Selbstverwaltung mit Einrichtung des Studentenparlaments 1965/66 brachte bei einer Wahlbeteiligung von 37,17 % eher einen historischen Tiefpunkt als eine Besserung. Generell warf man dem Studentenparlament Beschlussunfähigkeit vor und bemängelte den hohen Anteil an dort vertretenen, eher konservativ eingestellten Verbindungsstudenten.

Nachdem der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) im März 1968 offiziell erklärte, die Studentenunruhen zu unterstützen, verließ der Würzburger AStA den VDS, da dessen Haltung mit sachlicher Hochschulpolitik nicht mehr zu vereinbaren gewesen sei. Der Wiedereintritt folgte im März 1969. Der linksgerichtete neue AStA-Vorsitzende Thomas Neiss wurde in dem Münchener Boulevardblatt „Abendzeitung“ bereits reißerisch als „Würzburgs Dutschke“ gefeiert und Würzburg „Rote Zeiten“ beschieden. Gleichzeitig wurde Neiss jedoch mit den Worten zitiert, Würzburg würde „keinen heißen Sommer erleben“. Von auswärtigen Vertretern der 68-er Bewegung wurde das Klima in Würzburg als „katholisch-klerikal, muffig, spießig“ bezeichnet. Zur Wahl im Januar 1968 bestand der Würzburger SDS aus genau vier Personen, die sich mehr nach Berlin orientierten, als selbst tätig zu werden.

Auch der Funke, der nach der Ermordung Benno Ohnesorgs in viele Städten Deutschlands die Proteste entzündete, zeigte in Würzburg relativ wenig Wirkung. Lediglich an einem Schweigemarsch am 7. Juni 1967 nahmen ca. 500 Universitätsangehörige, darunter Studierende, Assistenten und Professoren, teil. Zu einer größeren Auseinandersetzung mit der Polizei kam es im Nachgang eines weiteren Schweigemarsches anlässlich des Mordes an Robert Kennedy am 6. Juni 1968.

Die Beamten hatten sich ein Handgemenge mit fahnentragenden Studierenden geliefert und es war zu vorübergehenden Festnahmen gekommen. Tatsächlich weitgreifende Aktionen rief jedoch erst das neue Bayerische Hochschulgesetz hervor, welches in Würzburg höhere Wellen schlug, als die sogenannte 68er-Bewegung. Nach Inkrafttreten ließ das politische Interesse rasch nach und bis heute hält sich die Beteiligung der Studierenden an hochschulpolitischen Belangen in Grenzen.

Text: Universitätsarchiv
Quellen: Artikel der Tagespresse, Studentenzeitschriften, sowie Akten aus dem Universitätsarchiv.

Kontakt

uniarchiv@uni-wuerzburg.de

Von Universitätsarchiv

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