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Soziale Ungleichheit im Sport

25.10.2022

Statistiken zeigen: Mädchen finden seltener den Weg in Sportvereine als Jungs. Warum das so ist und wie sich das ändern lassen könnte, erforscht Professor Heinz Reinders.

Am NFZ werden Nachwuchsspielerinnen auf eine mögliche Zukunft im Leistungssport vorbereitet.
Am NFZ werden Nachwuchsspielerinnen auf eine mögliche Zukunft im Leistungssport vorbereitet. (Bild: Paul Zottmann)

Im Kinder- und Jugendsport herrscht ein Ungleichgewicht. Zahlen des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV) aus 2018 zeigen, dass in der Stadt Würzburg nur knapp über 40 Prozent der sechs- bis 13-jährigen Mädchen in Sportvereinen aktiv waren. Bei den gleichaltrigen Jungen sind es dagegen fast 60 Prozent. In der nächsten Altersgruppe, 14 bis 17 Jahre, steigt diese Zahl bei den Jungen sogar knapp, bei Mädchen fällt sie stattdessen weiter ab.

Professor Heinz Reinders, Lehrstuhlinhaber für Empirische Bildungsforschung an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, befasst sich in einer aktuellen Publikation mit genau dieser sozialen Ungleichheit.

Dazu blickt er auf zwei pädagogische Praxisprojekte: Das an der JMU befindliche, von Reinders geleitete Nachfuchsförderzentrum für Juniorinnen (NFZ) und das offene Ganztagesangebot für Mädchen im Sport (Sport-OGS) des SC Würzburg Heuchelhof.

Mädchen unter sich

Beide Angebote richten sich nur an Mädchen. Bei der Sport-OGS steht neben der Hausaufgabenbetreuung und Lernhilfe durch Pädagogik-Studierende der Uni Würzburg vor allem ein abwechslungsreiches Sportangebot im Vordergrund. Dieses soll den Mädchen einen niederschwelligen Zugang zu Sport und Bewegung ermöglichen und später vielleicht den Schritt in den Vereinssport erleichtern.

Heinz Reinders erklärt: „Im Grundschulalter entwickelt sich das sportliche Selbstkonzept. Bei Jungs stabilisiert sich das sportliche Selbstbewusstsein allgemein, bei Mädchen gerät es eher ins Wanken. Sie trauen sich weniger zu, besonders in Sportarten, bei denen auch von außen häufig die Meinung vertreten wird, sie wären doch nichts für Mädchen.“

Die Sport-OGS soll Mädchen also ein sicheres Umfeld bieten, in dem sie dieses Bewusstsein ungestört entwickeln können.

Das zweite Beispiel ist das NFZ, das unter Leitung von Heinz Reinders 2014 gegründet wurde und ein mehrstufiges Konzept verfolgt. Gerade bei den jüngsten Spielerinnen soll, wie bei der Sport-OGS, das sportliche Selbstkonzept gestärkt werden. Ab der U14 unterstützen Reinders und sein Team bei der Entscheidung zwischen Breiten- und Leistungssport, auf letzterem liegt ab der U17 der Fokus.

Funktions- sticht Individuallogik

In Sachen Talentförderung kritisiert Reinders die Politik des Deutschen Fußballbundes (DFB) und der Landesverbände, etwa des Bayerischen Fußballverbandes (BFV): „DFB und BFV empfehlen den Mädchen, möglichst lange gemeinsam mit den Jungs in einer Mannschaft zu spielen. Bei der Förderung in Auswahlteams werden Spielerinnen, die in reinen Mädchenteams spielen, in der Konsequenz oft benachteiligt.“

Dieser Ansatz funktioniere zwar für einige Spielerinnen, ein Großteil könne sich in diesem Umfeld aber nicht voll entfalten und bliebe letztlich auf der Strecke. Die Individuallogik würde nahelegen, dass eine Verbesserung der eigenen Fähigkeiten die nächsten Schritte im System ermöglicht, etwa die Berufung in Auswahlteams. Das System Sportverband folgt aber seiner eigenen Funktionslogik und gewichtet etwa die Mitgliedschaft in einer Juniorenmannschaft entsprechend hoch – zu hoch, findet Heinz Reinders.

„Wenn hier kein grundlegendes Umdenken erfolgt, wird die Zahl der Mädchenteams auch weiterhin abnehmen“, ist er sicher. Daran dürfte auch das zuletzt deutlich erhöhte mediale Interesse am Frauenfußball inklusive TV-Vertrag in Rekordhöhe wenig ändern: „Die gravierenden Probleme liegen nicht im Profibereich, sondern an der Basis“, so der Bildungsforscher.

Einflussmöglichkeiten der Projekte

Sowohl Sport-OGS als auch NFZ hätten keinen oder nur geringen Einfluss auf die Funktionslogik sozialer Teilhabe, könnten also das etablierte System nicht verändern. Der positive Effekt liegt viel mehr im Bereich der Individuallogik. Durch die geförderte Entwicklung des sportlichen Selbstkonzepts kann angenommen werden, dass die Mädchen anschließend auch im geschlechtergemischten Raum besser zurechtkommen.

Publikation

Reinders, Heinz, Mädchen im Sport fördern: eine systemtheoretische Reflexion der Minderung von sozialer Ungleichheit durch pädagogische Praxisprojekte, in: Pundt, Johanne; Scherenberg, Viviane (Hrsg.), Gesundheit in Bewegung: Herausforderungen und Möglichkeiten körperlicher Aktivierung, APOLLON University Press, 2022, 175-199.

Kontakt

Prof. Dr. Heinz Reinders, Lehrstuhlinhaber für Empirische Bildungsforschung, Tel: +49 931 31-85563, heinz.reinders@uni-wuerzburg.de

Weitere Bilder

Von Lutz Ziegler

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