Spermien-Epigenom wirkt sich auf Nachkommen aus
10.09.2024Je älter der Vater, desto höher das Krankheitsrisiko für den Nachwuchs – das zeigen zahlreiche Studien. Humangenetiker der Universität Würzburg haben jetzt die dafür verantwortlichen Prozesse genauer unter die Lupe genommen.
Vom "Risikofaktor alter Vater" schreibt der SPIEGEL, "Späte Väter haben mehr kranke Kinder" titelt die WELT. Es ist schon lange bekannt: Die Kinder alter Väter haben ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen und Neuro-Entwicklungsstörungen, wie beispielsweise Autismus.
In einer neuen Studie haben jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Primatenzentrum in Göttingen und der Cambridge University die Auswirkungen des väterlichen Alters auf Spermien des Menschen und einer verwandten Primatenart untersucht und miteinander verglichen.
Die Ergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift Aging Cell veröffentlicht, die dafür sogar ihr Titelbild zur Verfügung gestellt hat. Verantwortlich für diese Studie war Professor Thomas Haaf, Inhaber des Lehrstuhls für Humangenetik der JMU.
Umweltfaktoren wirken sich auf das Epigenom aus
„Wir haben uns in unseren Untersuchungen auf das Epigenom der Spermien konzentriert“, erklärt Thomas Haaf. Die Epigenetik ist eine Form der Vererbung, die nicht den Mendel’schen Regeln gehorcht. Im Gegensatz zu genetischen Veränderungen, welche die DNA-Sequenz selbst betreffen und irreversibel sind, beruht die epigenetische Vererbung auf reversiblen biochemischen Modifikationen der DNA, insbesondere der DNA-Methylierung.
Das Epigenom, das heißt: die Summe aller epigenetischen Muster, reguliert die Genaktivität in einer Zelle. Das Epigenom wird durch intrinsische Faktoren beeinflusst, beispielsweise bei der Entwicklung und Differenzierung der Zellen. Aber auch Umweltfaktoren, wie etwa Ernährung, körperliche Aktivität oder Rauchen wirken sich auf das Epigenom aus. „Frühere Studien haben gezeigt, dass sich mit zunehmendem Vateralter eine Vielzahl von Spermien-DNA-Methylierungsmustern verändert“, erklärt Thomas Haaf. Dies könne Auswirkungen auf die nächste Generation haben und sei mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten assoziiert.
Vergleich der Spermien von Weißbüschelaffen und Menschen
Spermien des Menschen sowie von Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus) hat das Team aus der Würzburger Humangenetik miteinander verglichen. Diese Primatenart gehört zur Familie der Krallenaffen und lebt im nordöstlichen Brasilien. Mit einer Größe von 16 bis 20 Zentimetern bringen die Tiere nur maximal 300 bis 350 Gramm auf die Waage; sie werden maximal 15 Jahre alt.
Für Haaf sind sie aus einem anderen Grund von Interesse: „Bislang kamen in der Reproduktionsforschung vor allem Mäuse zum Einsatz, um gemeinsame epigenetische Signaturen zwischen Vätern und ihren Nachkommen zu untersuchen“, erklärt der Wissenschaftler. Aufgrund der großen Unterschiede zwischen Menschen und Nagetieren sei es jedoch schwierig, die Ergebnisse des Mausmodells auf den Menschen zu übertragen.
Im Gegensatz dazu eigne sich das Weißbüscheläffchen sehr gut für die Untersuchung von Fortpflanzung, Alterung, Neuroentwicklung und Infektionskrankheiten. „Obwohl sich Callithrix und Menschen vor mehr als 40 Millionen Jahren voneinander getrennt haben, sind ihre Chromosomensätze und Genomsequenzmerkmale überraschend ähnlich. Aufgrund der geringen Größe und komprimierten Lebensspanne sind Zucht und Haltung von Callithrix außerdem wesentlich einfacher und kostengünstiger als bei anderen Primaten“, sagt Haaf. Gemeinsam mit seinem Team ist er nun der Frage nachgegangen, ob spezielle altersbedingte Prozesse im Epigenom menschlicher Spermien auch bei nicht-menschlichen Primaten ablaufen.
Veränderungen sind für die verschiedenen Spezies spezifisch
Zentrales Ergebnis der jetzt veröffentlichten Studie ist: Obwohl die allermeisten der mehr als 13.000 analysierten Gene identische Spermien-DNA-Methylierungsmuster bei Callithrix und dem Menschen aufweisen, sind etwa 300 Gene je nach Spezies über- oder untermethyliert. „Auffällig darunter sind insbesondere Gene für die Glykosphingolipid-Biosynthese, die eine wichtige Rolle bei der Stammzelldifferenzierung und frühen Entwicklung spielt“, sagt Haaf.
Diese spezifischen Methylierungsmuster im Spermien-Epigenom sind mit Expressionsunterschieden in frühen Embryonalstadien und Blastozysten-Geweben von Callithrix und Mensch assoziiert. „Es verdichten sich die Hinweise, dass solche Spezies-spezifischen Unterschiede im Spermien-Epigenom die rasche Adaptation innerhalb weniger Generationen an verschiedene Umwelten ermöglichen, die dann epigenetisch an die nächste Generation weitervererbt werden können“, sagt der Humangenetiker. Die genetische Evolution arbeitet im Vergleich zur epigenomischen Evolution in sehr viel längeren Zeiträumen.
Auch der Alterseffekt ist spezifisch
Ein zweites wichtiges Ergebnis ist die Identifizierung von 204 Genen bei Callithrix und 27 beim Menschen, die eine vom Vateralter abhängige Methylierung zeigen. „Interessanterweise ist kein einziges dieser Gene in beiden Spezies auf die gleiche Weise altersabhängig methyliert“, sagt Haaf. Auch der Alterseffekt sei also für die jeweilige Spezies spezifisch.
Beim Menschen stehen diese altersabhängig methylierten Gene vor allem mit der Entwicklung des Nervensystems in Zusammenhang. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten deshalb, dass die epigenetische Evolution diese Gene für die menschliche Hirnentwicklung und kognitive Fähigkeiten optimiert hat, die Mensch und Primaten unterscheidet. Deshalb sei es auch nicht überraschend, dass diese Gene und das Vateralter bei Neuroentwicklungsstörungen eine Rolle spielen.
Publikation
Age-related and species-specific methylation changes in the protein-coding marmoset sperm epigenome. Marcus Dittrich, Laura Bernhardt, Christopher A. Penfold, Thorsten E. Boroviak, Charis Drummer, Rüdiger Behr, Tobias Müller, Thomas Haaf. Aging Cell, https://doi.org/10.1111/acel.14200
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Haaf, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Humangenetik, T: +49 931 31-88738, thomas.haaf@uni-wuerzburg.de