Sprachforscherin unter Palmen
14.11.2017Sprachwissenschaft ist trocken, und Sprachwissenschaftler leben im Elfenbeinturm? Stimmt nicht. Das beweist Carolin Biewer. Die Anglistikprofessorin war gerade für vier Wochen auf Feldforschung in der Südsee unterwegs.
Carolin Biewer hätte es sich vielleicht auch leichter machen können – beispielsweise gemütlich am heimischen Schreibtisch die englische Versdichtung des späten Mittelalters erforschen. Stattdessen untersucht die Sprachwissenschaftlerin, wie Menschen auf den Inseln des Südpazifiks heutzutage die englische Sprache verwenden. Nicht gerade die nächste Nachbarschaft: Gut 17.000 Kilometer liegen zwischen Würzburg und den Cookinseln. Die Zeitverschiebung beträgt zwölf Stunden, und mit dem Flieger dauert die Reise mindestens einen Tag und sechs Stunden.
Carolin Biewer hat seit dem Wintersemester 2015/16 den Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Vor zehn Jahren war sie auf Fidschi, Samoa und den Cookinseln unterwegs; ein halbes Jahr lebte sie dort – unter anderem mit einer Maori-Familie auf Rarotonga, der Hauptinsel der Cookinseln.
In dieser Zeit machte die Anglistin Audioaufnahmen von mehr als 100 Einheimischen und erforschte Englisch als Zweitsprache in den drei Ländern. Ihr 2015 erschienenes Buch South Pacific Englishes wurde im vergangenen Jahr gleich zweimal ausgezeichnet: mit dem Habilitationspreis des Deutschen Anglistenverbands und dem ESSE Book Award 2016 in der Kategorie Language and Linguistics für die europaweit beste Publikation des Jahres 2015 in diesem Fachbereich.
Großes Interesse an den Forschungsergebnissen
Jetzt ist Carolin Biewer erneut zu den Cookinseln gereist; zehn Jahre nach ihrem ersten Aufenthalt will sie untersuchen, wie sich das Englisch der Einwohner in dieser Zeit verändert hat und welche Rolle Englisch in Zukunft auf den Inseln spielen könnte. Darüber hinaus stellte sie den Einheimischen die Ergebnisse ihrer damaligen Untersuchungen vor – was auf großes Interesse stieß. „Ich hatte ein Gespräch mit dem Pressesprecher des Premierministers der Cookinseln; in der einzigen Tageszeitung, den Cook Islands News, sind zwei ausführliche Artikel erschienen und im nationalen Fernsehen wurde ich zwei Mal in den landesweiten Nachrichten interviewt“, berichtet die Professorin.
Englisch als Zweitsprache ist anders als das Englisch, das beispielsweise wir Deutsche als Fremdsprache lernen. Es wird in Ländern gesprochen, in denen Englisch Amtssprache, aber für einen großen Teil der Bevölkerung nicht die Muttersprache ist – in der Regel als Folge des britischen Kolonialismus, beispielsweise in Singapur, Hongkong und einigen Inselstaaten Ozeaniens – und unterscheidet sich signifikant vom klassischen britischen Englisch. Für genau diese Unterschiede interessiert sich Carolin Biewer.
Keine Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit
„Die Bewohner der Cookinseln sprechen viele Wörter anders aus, sie verwenden eine andere Grammatik, und manche Begriffe haben für sie eine andere Bedeutung“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin. Falsch sei dieses Englisch deswegen nicht; in der Regel gebe es für die Abweichungen kulturelle Gründe.
Wenn ein Mensch von den Cookinseln über frühere Ereignisse spricht, verwendet er beispielsweise trotzdem Gegenwarts- anstelle von Vergangenheitsformen, sagt Biewer. Nur am Anfang der Erzählung werde klargemacht, dass es sich um eine Erzählung früherer Ereignisse handele – ganz so wie in der Muttersprache Maori. „Für die Menschen dort gibt es keine klare Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es ist ein Fluss, alles ist miteinander verbunden.“ Eine lokale Aussprache des Englischen könne im Übrigen bewusst gewählt sein; damit verdeutliche der Sprecher seine kulturelle Identität als Cook Islands Maori.
Globalisierung sorgt für Veränderung
Als Carolin Biewer jetzt – nach zehn Jahren – wieder die Cookinseln betrat, sei dies wie ein kleiner Schock gewesen. Die Globalisierung und der zunehmende Tourismus hätten deutliche Spuren hinterlassen – im Guten wie im Schlechten. Zwar gehe es der Bevölkerung finanziell besser; der stark angestiegene Tourismus dominiere die Hauptinsel aber zu sehr, als dass dies auf Dauer ökologisch und ökonomisch gut ausgehen könne. Und während vor einem Jahrzehnt ein Ferngespräch eine Herausforderung war, gibt es seit zwei Jahren inselweit Wlan – weshalb fast alle Jugendlichen ein Smartphone besitzen und das Internet intensiv nutzen. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Sprache. „Gerade in der jungen Generation sind Veränderungen im Englischen besonders wahrscheinlich“, sagt die Professorin.
35 Bewohner der Cookinseln hat Carolin Biewer vor zehn Jahren interviewt, mit zwölf von ihnen konnte sie jetzt wieder sprechen – in der Hauptsache die Generation der damals 30- bis 40-Jährigen. „Von den Älteren ist der Großteil inzwischen verstorben. Und von den damals 17- oder 18-Jährigen sind zwei Drittel ausgewandert“, sagt sie.
Dieselben Menschen nach einem Jahrzehnt erneut zu interviewen, sei „sehr erhellend“ gewesen. Merkmale des Cook Islands English von vor zehn Jahren sind noch deutlich zu erkennen. Gerade bei den damals 17- bis 18-jährigen zeige sich aber auch schön, wie stark sich mit der Persönlichkeit und dem Erlebten auch die Sprache verändert. Ein schüchterner Jugendlicher, der vor zehn Jahren noch intensiv Teenage Talk gesprochen habe, sei heute ein selbstbewusster Fußballtrainer mit ganz anderem Sprachduktus. Seine Schulkameradin von vor zehn Jahren habe heute eine australische Färbung in ihrem Englisch. Kein Wunder: Zwischenzeitlich hat sie sieben Jahre in Australien gearbeitet.
Mit der Sprache geht die Kultur verloren
Als Linguistin untersucht Carolin Biewer nicht nur die jeweiligen Ausprägungen des Englischen an bestimmten Orten. Sie versteht sich auch als Soziolinguistin und interessiert sich deshalb für Fragen wie: „Wer spricht wann unter welchen Umständen welche Sprache? Warum wechseln Cook Islands Maori die Sprache, mit wem bevorzugen sie Englisch, mit wem Maori?“.
Dass sich auf Rarotonga eine Art Konkurrenz zwischen der Muttersprache Maori und der Zweitsprache Englisch entwickelt hat, bedauert sie sehr. Zumal sie beobachten konnte, dass Maori immer mehr aus dem Alltag verschwindet und durch Englisch als neue Muttersprache ersetzt wird. „Viele Bewohner der Südsee konzentrieren sich aufs Englische, weil sie sich davon bessere Chancen auf dem globalisierten Arbeitsmarkt erhoffen – für sich oder für ihre Kinder. Sie glauben, dass sie sich für eine Sprache entscheiden müssen“, sagt sie.
Den Verlust der Muttersprache Maori findet Carolin Biewer bedauerlich, da damit auch ein Verlust der Maori-Kultur einhergehe. Schon jetzt gebe es immer weniger Menschen auf den Cookinseln, die die überlieferten Traditionen und Geschichten noch im Detail kennen – was besonders fatal sei, da es sich bei den Maori um keine Schriftkultur handele. Mal eben in einer Chronik nachlesen, wann beispielsweise die Insel Rakahanga christianisiert wurde, sei in der Regel nicht möglich. Und diejenigen, die das noch wissen, sind bereits über 70 Jahre alt und sich auch schon nicht mehr einig.
Auch aus diesem Grund ist es der Professorin wichtig, ihre Forschungsergebnisse nicht nur einem Fachpublikum bekannt zu machen, sondern ebenso den Menschen, denen sie ihre Erkenntnisse verdankt. Sie will damit gleichzeitig dafür werben, nicht die eine oder die andere Sprache zu bevorzugen. „Wer eine Sprache sehr gut beherrscht, dem fällt das Erlernen einer zweiten Sprache leichter. Und wer in zwei Sprachen kompetent ist, ist immer im Vorteil“, sagt sie.
Feldforschung ist kein Strandurlaub
Feldforschung in der Südsee: Das darf man im Übrigen nicht mit Sonne, Strand und Meer gleichsetzen. „Ich war in vier Wochen zwei mal ganz kurz am Strand“, sagt Carolin Biewer. Stattdessen habe es durch das Dach ihrer Unterkunft geregnet, ein Ameisenvolk habe es sich in ihrem Bett bequem gemacht und bissige Hunde hätten sich regelmäßig bei ihren Streifzügen über die Insel an ihre Fersen geheftet, um die Fremde von ihrem Territorium zu vertreiben.
Trotzdem sagt Carolin Biewer, dass sie Feldforschung nicht missen wolle. In dieser Zeit lerne sie stets viel über den Menschen und seine Kultur. Und das Schönste: „Ich weiß, dass auf der anderen Seite der Erde jemand sitzt und an mich denkt“. Und bisweilen einen kurzen Gruß sendet – inzwischen geht das ja per E-Mail.
Kontakt
Prof. Dr. Carolin Biewer, Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft T: +49 931 31-80224, carolin.biewer@uni-wuerzburg.de