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Struwwelpeter-Gene entdeckt

20.12.2016

Manche Kinder leiden unter wirr abstehenden Haaren, die sich partout nicht kämmen lassen. Das Phänomen trägt den treffenden Namen „Syndrom der unkämmbaren Haare“ oder „Struwwelpeter-Krankheit“. Nun haben Forscher die dafür verantwortlichen Gene identifiziert.

Mädchen mit unkämmbaren Haaren. (Foto: privat/Universität Bonn)
Mädchen mit unkämmbaren Haaren. (Foto: privat/Universität Bonn)

Dass Kinder nicht immer einfach zu frisieren sind, wissen viele Eltern aus eigener Erfahrung. Doch mit Geduld und starken Nerven lassen sich in aller Regel auch die hartnäckigsten Knoten lösen.

Beim „Syndrom der unkämmbaren Haare“ haben Bürste oder Kamm dagegen nicht den Hauch einer Chance. Die Betroffenen haben abstehende, trockene, meist hellblonde Haupthaare mit charakteristischem Glanz, die sich jeder Anstrengung, sie zu bändigen, widersetzen. Grund dafür sind Längsfurchen, die dem Haarschaft einen dreieckförmigen Querschnitt mit abgerundeten Ecken verleihen. Am ausgeprägtesten ist die Symptomatik in der Kindheit und lässt dann mit der Zeit nach. Im Erwachsenenalter lassen sich die Haare meist mehr oder weniger normal frisieren.

Seltenes Phänomen

Forscher der Universitäten Bonn und Toulouse haben jetzt Mutationen in drei Genen ausgemacht, die für die unkämmbaren Haare verantwortlich sind. Insgesamt waren an der Arbeit Wissenschaftler aus acht Ländern, auch von der Universität Würzburg, beteiligt. Die Ergebnisse sind vor Kurzem im American Journal of Human Genetics erschienen.

Über die Ursachen war bislang so gut wie nichts bekannt – wohl auch deshalb, weil das Phänomen selten ist. Im Jahr 1973 wurde es zum ersten Mal in der Fachliteratur beschrieben; inzwischen sind weltweit gut einhundert Fälle dokumentiert. „Wir nehmen aber an, dass es deutlich mehr Betroffene gibt“, erklärt Professorin Regina Betz vom Institut für Humangenetik der Uni Bonn. „Wer unter unkämmbaren Haaren leidet, sucht deshalb nicht unbedingt einen Arzt oder eine Klinik auf.“ Immerhin weiß man, dass die Anomalie in manchen Familien gehäuft vorkommt – sie scheint also genetische Ursachen zu haben.

Der Würzburger Professor Henning Hamm hat drei der elf Patienten, bei denen Mutationen gefunden wurden, diagnostiziert und den Bonner Forschern Untersuchungsmaterial zugeschickt. "Zwei der drei Patienten hatten sich in den letzten Jahren an der Würzburger Hautklinik vorgestellt, eine weitere Person war mir noch aus meiner Zeit an der Hautklinik Münster vor über 25 Jahren erinnerlich", sagt Hamm, Leitender Oberarzt der Würzburger Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie und ergänzt: „Diese Patientin nach so langer Zeit wieder aufzuspüren, verlangte Detektivarbeit.“

Hamm ist Kooperationspartner der Bonner Humangenetikerin Regina Betz, die sich auf seltene erbliche Haarerkrankungen spezialisiert hat. Vor ein paar Jahren wurde sie auf einem Kongress von einem britischen Kollegen angesprochen, der kurz zuvor eine Familie mit zwei betroffenen Kindern untersucht hatte. "Über Kontakte zu Kollegen aus aller Welt gelang es uns, neun weitere Kinder zu finden“, erklärt sie. Die Bonner Wissenschaftler sequenzierten sämtliche Gene der Betroffenen. Beim Abgleich mit großen Datenbanken stießen sie so auf Mutationen in drei Erbanlagen, die an der Bildung des Haares beteiligt sind.

Quervernetzung der Haar-Proteine gestört

Die veränderten Gene tragen die Kürzel PADI3, TGM3 und TCHH. Die ersten beiden enthalten die Bauanleitung für Enzyme, das dritte – TCHH – dagegen für ein wichtiges Protein des Haarschafts. In gesundem Haar sind die TCHH-Proteine über hauchfeine Hornfäden miteinander vernetzt, die für Form und Struktur des Haares verantwortlich sind. Bei dieser Vernetzung spielen die zwei anderen gefundenen Gene eine wichtige Rolle: „PADI3 verändert das Haarschaftprotein TCHH so, dass sich die Hornfilamente an ihm anlagern können“, erklärt die Erstautorin der Studie, Fitnat Buket Basmanav Ünalan. „Das TGM3-Enzym stellt dann die eigentliche Verknüpfung her.“

Zusammen mit Kollegen der Universität Toulouse führten die Bonner Wissenschaftler Experimente in Zellkultur durch. In diesen konnten sie die Wichtigkeit der identifizierten Mutationen für die Funktion der Proteine zeigen. Wenn auch nur eine der drei Komponenten nicht funktionell ist, hat das fundamentale Auswirkungen auf die Struktur und Stabilität der Haare. Mäuse, bei denen das PADI3- oder das TGM3-Gen defekt ist, entwickeln daher charakteristische Fell-Anomalien, die dem menschlichen Erscheinungsbild sehr ähnlich sind.

Hoffnung für Betroffene

„Aus den gefundenen Mutationen lässt sich eine ganze Menge über die Mechanismen lernen, die an der Bildung gesunder Haare beteiligt sind, und warum es manchmal zu Störungen kommt“, freut sich Professorin Regina Betz. „Zugleich können wir nun die klinische Diagnose 'unkämmbare Haare' mit molekulargenetischen Methoden absichern.“

Für Personen mit Haarerkrankungen ist dieser letzte Punkt eine gute Nachricht. „Strukturelle und farbliche Veränderungen von Haarschäften sind zwar an sich harmlos, sie können aber ein wichtiger diagnostischer Hinweis auf schwerwiegende Haut- und Systemerkrankungen sein, zum Beispiel bestimmte erbliche Verhornungsstörungen der Haut und Immunschwächen“, sagt Hamm.

Die schwerwiegendste, durch eine Haarschaftanomalie charakterisierte Erkrankung ist das Menkes-Syndrom, eine genetisch bedingte Störung des Transports und der Verteilung von Kupfer, an der betroffene Jungen unbehandelt im Kleinkindesalter sterben. Auch hierbei stehen helle, drahtige Haare wirr vom Kopf ab, sind aber spärlich, glanzlos und extrem brüchig.

Das Struwwelpeter-Syndrom tritt dagegen meist isoliert ohne weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen auf. Die unkämmbaren Haare seien zwar lästig und möglicherweise auch eine psychische Belastung, sagt Betz: „Ansonsten müssen sich Betroffene aber keine Sorgen machen.“

Film des Bayerischen Fernsehens über die Struwwelpeter-Krankheit.

Publikation: F. Buket Ü. Basmanav et al.: Mutations in three genes encoding proteins involved in hair shaft formation cause uncombable hair syndrome; The American Journal of Human Genetics; DOI: 10.1016/j.ajhg.2016.10.004

Mit Material der Universität Bonn

Kontakt:

Prof. Dr. Henning Hamm, T. +49 931 201-26738 oder 201-26353 (Sekretariat), E-Mail: hamm_h@ukw.de

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