Verstädterung am Golf von Neapel
24.01.2023Geographie-Professor Horst-Günter Wagner hat seit 1965 die Verstädterung und den Wandel am Golf von Neapel beobachtet. Seine Langzeitanalyse ist jetzt als Buch erschienen.
Die mediterrane Schönheit der Landschaft am Golf von Neapel wird seit Jahrhunderten gepriesen. Bis heute sind der Golf von Neapel und seine Inseln ein touristisches Highlight Italiens.
Doch ein intensiverer Blick auf die Region zeigt ein anderes Bild: Die seit der Antike blühende Agrarlandschaft ist ab den 1960er-Jahren stark verändert worden – durch weitgehend illegale Bautätigkeiten und eine fortschreitende Verstädterung mit Gewerbe, Industrie, Straßen und Autobahnen.
Zuwanderung aus den Gebirgsregionen Süditaliens, ein sozialer Wandel in der jüngeren Bevölkerung, die zeitweilige „Gastarbeit“ in Mitteleuropa – all das trug zur Extensivierung des traditionellen Bewässerungsgartenbaus und zur Notwendigkeit bei, sich neue Arbeitsplätze suchen zu müssen. Und schwache kommunale Planungsbehörden konnten sich immer weniger gegen mafiöse Organisationen behaupten.
Kartierungen und Gespräche mit der Bevölkerung
Der emeritierte Würzburger Geographie-Professor Horst-Günter Wagner hat diesen Wandel aus wirtschafts- und sozialgeographischer Sicht verfolgt, und zwar von 1965 bis in die Gegenwart.
Der Forscher und sein Team haben immer wieder empirische Erhebungen vor Ort durchgeführt, mit der Bevölkerung in Dörfern und Städten gesprochen, mit Hilfe von Katasterkarten und Fotodokumentationen vor Ort Landnutzungskarten erstellt, alte Luftbilder mit aktuellen Satellitenbildern verglichen. Das alles geschah im Abstand von jeweils vier bis fünf Jahren im Rahmen von Projekten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurden.
Lebensweise der Menschen im Blick behalten
Alle diese zeitlich begrenzten Erhebungen hat der Professor jetzt im Buch „Golf von Neapel. Landschaftswandel durch Verstädterung“ zu einer Langzeitanalyse zusammengefasst.
„Dabei habe ich versucht, auch den Wandel der Verhaltensweisen der am Golf lebenden Menschen im Blick zu behalten“, sagt der Wissenschaftler – das sozial und wirtschaftlich sehr unterschiedliche Dasein wie auch die individuellen und gruppenspezifischen Leitbilder und Wertvorstellungen. Letztere seien durch aktuelle politisch-rechtliche Bedingungen ebenso wie durch historisch vorgegebene Strukturen geprägt und eingeengt.
Die Ursachen für das veränderte Verhalten der Menschen erkenne man zwar nicht sofort, aber nach wiederholter Beobachtung dann doch: Kapitaltransfer, Geldwäsche, Flächennutzungskonkurrenzen, Politikversagen, die Abseitslage des Mezzogiorno innerhalb Italiens, die Macht der Camorra und gruppenspezifische Konflikte.
Von urtümlicher Landnutzung zur Urbanisierung
Eine der im Buch behandelten Lebenswelten sei hier beispielhaft skizziert: Bilder und Karten zeigen die anfangs noch fast urtümliche Landnutzung mit sommerlicher Monokultur, winterlicher Gemüsevielfalt und Rebbau am Hang des Vesuv. Von einem Hektar Vulkanboden lebte in den 1960er-Jahren eine Familie mit mehreren Generationen.
Einen ersten Umbruch verursachten die Saisonarbeit in Norditalien und die zunächst nur befristet geplante Gastarbeit in Deutschland. Der arbeitsintensive Gemüseanbau musste vereinfacht werden. Das in der Fremde verdiente Geld erlaubte die bauliche Modernisierung der traditionellen Gehöfte und wandelte die Wohnumwelt.
Die Nachbarschaft zog nach, und das führte schnell zu einer flächenhaften Bautätigkeit und zur Verstädterung. Eine kommunale Planung fehlte dabei meistens. Landwirtschaftliche und gewerbliche Nutzungskonkurrenz auf ehemaligen Feldern trieb die Bodenpreise hoch; das Ausscheiden der jüngeren Generation aus der Landwirtschaft mündete in soziale Urbanisierung.
Publikation
Horst-Günter Wagner: Golf von Neapel. Landschaftswandel durch Verstädterung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Academic 2022, 172 Seiten, 48 Euro, ISBN 978-3-534-40635-7.
Das Buch kann außerdem als pdf-Datei kostenfrei von den Webseiten der Universitätsbibliothek Würzburg heruntergeladen werden.
Kontakt
Prof. em. Dr. Horst-Günter Wagner, horst-guenter.wagner@t-online.de