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Vom Vorreiter lernen

03.12.2019

2020 will China sein umstrittenes Sozialpunktesystem einführen, das nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Unternehmen einbezieht. Die Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft untersucht ein neues Forschungsprojekt.

Deutsche Unternehmen sind nur unzureichend auf das Sozialpunktesystem vorbereitet, das China 2020 einführen will. Dessen Chancen und Risiken erforscht ein neues Forschungsprojekt an der JMU.
Deutsche Unternehmen sind nur unzureichend auf das Sozialpunktesystem vorbereitet, das China 2020 einführen will. Dessen Chancen und Risiken erforscht ein neues Forschungsprojekt an der JMU. (Bild: narvikk / istock.com)

Wenn ein deutscher Bürger oder ein deutsches Unternehmen einen Kredit bekommen wollen, kann sich der potentielle Kreditgeber eine Schufa-Auskunft geben lassen. Wer sichergehen will, dass ein Bewerber keine kriminelle Vergangenheit hat, der verlangt ein polizeiliches Führungszeugnis. Wer in Deutschland massiv gegen Verkehrsregeln verstößt, bekommt „Punkte in Flensburg“. Diese und andere Teilsysteme unseres Rechtssystems sind für uns selbstverständlich.

Was aber, wenn ein Land derartige Systeme nicht oder nur in Ansätzen hat, jedoch im Zuge von Modernisierung und Globalisierung schnell schaffen muss? Was, wenn ein Land kein gewachsenes Rechtssystem hat, das Vertrauen in die Mitbürger begründet, aber trotzdem Vertrauen schaffen will? Und was, wenn dieses Land so groß ist wie ein Kontinent und daher vor Schwierigkeiten steht, landesweit einheitliche Regeln durchzusetzen?

Vor diesen Fragen steht die Volksrepublik China und versucht sie mit den Mitteln der Digitalisierung zu lösen. Sie will bis zum kommenden Jahr ein landesweites Sozialpunktesystem einführen. Jeder Bürger soll dann ein Punktekonto haben. Wer sich individuell in seiner Nachbarschaft engagiert, Geld spendet oder seine Schulden regelmäßig tilgt, erhält Zusatzpunkte. Wer hingegen bei Rot über die Straße läuft, Kredite nicht zurückzahlt oder gar an regierungskritischen Demonstrationen teilnimmt, verliert Punkte.

Auch für Unternehmen soll dieses System gelten. Wenn Firmen beispielsweise massiv gegen Umweltauflagen verstoßen oder Kreditverträge missachten, sollen sie auf Schwarzen Listen landen. Diese Listen werden online publik gemacht. Unklar ist derzeit noch, wie weit individuelles Verhalten von Mitarbeitern auf die Punktekonten von Firmen durchschlagen kann.

Das Forschungsprojekt

Welche Chancen und Risiken sich aus dem Sozialpunktesystem für die deutsche Wirtschaft ergeben, untersucht ein neues Forschungsprojekt, an dem Wissenschaftlerinnen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und der TU München in den kommenden drei Jahren arbeiten werden. Von Seiten der JMU daran beteiligt ist die Professorin Doris Fischer, Inhaberin des Lehrstuhls für China Business and Economics.

Unter dem Titel: „Vom ‚Vorreiter‘ lernen? Eine multidisziplinäre Analyse des chinesischen Sozialkreditsystems und seiner Auswirkungen auf Deutschland“ wollen die Wissenschaftlerinnen vor allem mit Blick auf die mehr als 8.000 deutschen Unternehmen in China die Auswirkungen dieses Systems analysieren. Zudem wollen sie erforschen, inwiefern sich das Konzept des Sozialkreditsystems und damit verbundene Prozesse und Normen im Zuge der Digitalisierung international verbreiten.

Handelskammern beklagen schlechte Vorbereitung

Dass auf diesem Gebiet dringender Forschungsbedarf besteht, zeigt unter anderem ein Positionspapier, das die EU-Handelskammer und die Deutsche Handelskammer in Peking jüngst veröffentlicht haben. Die beiden Kammern beklagen darin, dass deutsche und andere europäische Firmen nur unzureichend auf die Veränderungen vorbereitet sind, die sich durch das Sozialpunktesystem ergeben. Firmen, die in dem Ranking gut abschneiden, können demnach laut Handelskammer darauf hoffen, bessere Kreditbedingungen, einen einfacheren Marktzugang und mehr öffentliche Beschaffungsmöglichkeiten zu erhalten. Wer im Score weit unten liegt, müsse hingegen befürchten, dass er im schlimmsten Fall seine Produkte nicht mehr auf dem chinesischen Markt vertreiben darf. 

Neun Projekte zum digitalen Wandel

Finanziert wird das Forschungsprojekt vom Bayerischen Forschungsinstitut für digitale Transformation (bidt) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Das Institut hat jetzt insgesamt neun Projekte bewilligt, die aktuelle Fragen des digitalen Wandels untersuchen. Diese berühren Fragen aus den Themenfeldern „Wirtschaft und Arbeit“, „Politik und Gesellschaft“ sowie „Medien und öffentliche Kommunikation“ und sind auf jeweils drei Jahre angelegt.

Die Forschungsvorhaben wurden im Rahmen eines mehrstufigen Begutachtungsverfahrens aus 30 Projektvorschlägen ausgewählt, die 90 Antragstellerinnen und Antragsteller bayerischer Forschungseinrichtungen eingereicht hatten. Kriterien für die Auswahl waren eine hohe wissenschaftliche Qualität, ein interdisziplinärer Zugang sowie die gesellschaftliche und politische Relevanz der vorgeschlagenen Themen. Die Projekte starten im Jahr 2020.

Das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation

Das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften will dazu beitragen, die Entwicklungen und Herausforderungen des digitalen Wandels besser zu verstehen. Das Institut fördert herausragende interdisziplinäre Forschung und liefert Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft Empfehlungen, um die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten. Das bidt fördert den offenen Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, verständlich aufbereitet und über verschiedene Kanäle kommuniziert.

Kontakt

Prof. Dr. Doris Fischer, Lehrstuhl für China Business and Economics, T: +49 931 31-89101, doris.fischer@uni-wuerzburg.de

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