Von Angst und veganem Leben
09.07.2019Masterstudierende analysieren die Versprachlichung von Konzepten und Gewissheiten in Diskursen unterschiedlicher Zeiten.
Das Thema „Klimawandel“ tangiert viele Menschen. Was da möglicherweise auf uns zukommt, erscheint bedrohlich. Jagt Angst ein. „Auch vor Terror haben die Menschen Angst“, sagt Nadine Löhle, Masterstudentin der Allgemeinen und Angewandten Sprachwissenschaft an der Uni Würzburg.
Wie Menschen versuchen, ihre Angst in Schach zu halten, wer Ängste schürt, inwieweit Ängste berechtigt sind – all das interessiert Nadine Löhle zunächst nicht. Das wären Fragen für Psychologen, Soziologen oder Klimaforscher. Als Sprachwissenschaftlerin geht es Löhle vielmehr darum, zu analysieren, in welchen sprachlichen Zusammenhängen das Wort Angst in Texten vorkommt. „Dabei schaue ich mir den Zeitraum ab 1940 an“, erklärt die junge Frau. Bei einem Workshop des Masterseminars „Neuere Tendenzen der Diskurslinguistik“ von Matthias Schulz, Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Uni Würzburg, präsentierte sie ihre bisherigen Ergebnisse.
Wenn die Bedeutung von Wörtern sich verändert
Sprache ist lebendig, was bedeutet, dass Wörter in ihrer Bedeutung variiert oder sogar umdefiniert werden können. Manche verschwinden, manche tauchen neu auf. Charakteristisch ist, dass Wörter in neuen Zusammenhängen und zusammen mit anderen Wörtern verwendet werden können. Unterschiede in der gemeinsamen Verwendung von Wörtern im zeitlichen Verlauf können dabei Indikatoren sich wandelnder versprachlichter Konzepte sein. Masterstudentin Linnéa Behncke geht diesen Phänomenen am Beispiel von Texten über Ernährung seit dem 18. Jahrhundert nach. Dass sich die Kontexte, in denen Menschen zum Beispiel über fleischlose Ernährung sprechen, verändern, erkannte sie durch die Analyse von Texten: „Der Wortgebrauch zeigt, dass religiöse oder ethische Konzepte eine Rolle in der Argumentation spielen können.“
Leistungsfähige Rechner und ausgeklügelte digitale Werkzeuge machen es Linguisten heute möglich, veränderten Wortbedeutungen, zeittypischen Stereotypen und damit unterschiedlichen sprachlichen Konstruktionen von Wirklichkeit auf die Schliche zu kommen. Dabei gilt es, gewaltige Textmengen, sogenannte Korpora, zu durchstöbern. Ein neues Werkzeug hierfür nennt sich „DiaCollo“. Entwickelt wurde es von Bryan Jurish, Mitarbeiter am 2019 gegründeten „Zentrum für digitale Lexikographie der deutschen Sprache“, der das Tool in Würzburg jetzt vorstellte. Ziel des Zentrums ist es, ein digitales Informationssystem für den deutschen Wortschatz seit 1600 aufzubauen.
In welchen Zusammenhängen das Wort „Balkan“ in der Vergangenheit in Texten vorkam und wie es heute verwendet wird, untersucht mit Hilfe von „DiaCollo“ Masterstudentin Julia Prez. Die Sache ist spannend, da der Balkan in Texten ganz unterschiedlich beschrieben und definiert wird. Prez fand Belege aus dem 19. Jahrhundert, in denen vor allem feste Grenzen versprachlicht wurden. Seit den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das Wort Balkan häufig im Zusammenhang mit dem Zerbrechen Jugoslawiens verwendet. Am Wortschatz in Texten kann man nachweisen, dass Balkan damals eher mit Krieg oder Krise verbunden wurde und nicht primär mit einem geografischen Gebiet. Und heute? Mit welchen Wörtern in der näheren Textumgebung wird Balkan heute verwendet und was sagt das über ein versprachlichtes Konzept oder über versprachlichte (kollektive) Gewissheiten aus?
Ein Quantensprung für die Sprachwissenschaft
„DiaCollo“ bedeutet für Sprachwissenschaftler einen Quantensprung. Das frei verfügbare Werkzeug hilft, zu Stichwörtern wie Angst, fleischlos oder Balkan typische Wortverbindungen zu suchen, um der Versprachlichung von Konzepten und Gewissheiten in Diskursen und damit letztlich dem Verhältnis zwischen Sprache, Wissen und Gesellschaft in Diskursen verschiedener Epochen auf die Spur zu kommen. „Kollokationen“ heißen die mit einem Stichwort in Verbindung stehenden Wörter, die es ermöglichen, sich verändernde Muster bei der Verwendung von Wörtern in Texten zu entdecken. Von Kollokationen wird immer dann gesprochen, wenn ein Begleitwort auffallend oft in Texten auftaucht. Terror ist heute etwa ein häufiges Begleitwort zu Angst.
Grundsätzlich fragen Diskurslinguisten nicht zuerst danach, warum sich der Gebrauch eines Wortes verändert. Das gilt nicht nur für das Wort Angst. Dass korpusbezogene Analyseergebnisse aber zu weiteren, linguistisch interessanten Fragestellungen führen, zeigte Matthias Schulz am Beispiel des Wortes „einst“ auf. Das komme häufig in Reden von AfD-Politiker Björn Höcke vor, und zwar in typischer Verbindung zu Substantiven wie Staat, Heimat oder Armee. „Interessant wäre nun die Frage, ob es sich um absichtsvollen Individualsprachgebrauch handelt, ob es sich um eine übergreifende Strategie rhetorischer Verschleierung handelt oder ob es charakteristisch für politische Rede überhaupt oder beispielsweise für politische Rede in bestimmter politischer Ausrichtung ist“, so Schulz. „Um das herauszufinden, muss man große Textkorpora analysieren. Die Erhebung von Kollokationen ist dabei eine große Hilfe.“
Kooperation mit der Uni Bremen
Ein weiteres Paradebeispiel für ein Lexem, dessen Bedeutung im Laufe der Jahrhunderte stark schwankte, das in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet wurde und dessen Häufigkeit schwankte, ist das Wort „Autorität“. Dieses Wort und seine Verwendung in Texten wird von Studierenden eines Masterseminars von Ingo Warnke, Professor an der Universität Bremen, unter die Lupe genommen. In Würzburg stellten die Studierenden aus Bremen ihre bisherigen Ergebnisse vor. „Dass unsere Studierenden ihre Themen mit Kommilitonen aus Bremen diskutieren konnten, das machte unseren Workshop besonders attraktiv“, betont Schulz, der danach strebt, die Lehre an der Uni weiter zu profilieren.