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Von der Melodie zur Intensität

23.11.2021

Für einen Sprachwissenschaftler bietet die Universität Würzburg beste Bedingungen, sagt Eric Dieu. Der Franzose forscht hier als Humboldt-Stipendiat an der Akzentuierung des Altgriechischen.

An der JMU gibt es eine lange Tradition auf dem Gebiet der indogermanischen Linguistik. Unter anderem deshalb hat sich Eric Dieu dafür entschieden, seine Zeit als Humboldt-Stipendiat hier zu verbringen.
An der JMU gibt es eine lange Tradition auf dem Gebiet der indogermanischen Linguistik. Unter anderem deshalb hat sich Eric Dieu dafür entschieden, seine Zeit als Humboldt-Stipendiat hier zu verbringen. (Bild: Gunnar Bartsch / Universität Würzburg)

Im Alter von 14 Jahren ist Eric Dieu zu dem Schluss gekommen, dass ihm der Lateinunterricht an seiner Schule nicht ausreicht. Was macht man in solch einem Fall, wenn das Gymnasium Griechisch nicht im Angebot hat? Eric Dieu hat seine Mutter gebeten, ihm die passenden Lehrbücher zu besorgen, und hat sich damit selbst griechische Schrift und Sprache beigebracht – selbstverständlich Altgriechisch.

Kein Wunder, dass Dieu inzwischen Professor für Altgriechisch an der Universität Toulouse ist – selbst wenn, wie er sagt, auch in Frankreich eine gehörige Portion Glück dazu gehört, um auf eine der wenigen Stellen berufen zu werden, die es im Bereich der Altphilologie und der Vergleichenden Sprachwissenschaft gibt.

Die Tonhöhe steigt zur Betonung

Seit Kurzem ist Dieu zu Gast am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) bei Professor Daniel Kölligan. Ausgestattet mit einem Forschungsstipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung wird er sich hier über einen Zeitraum von insgesamt 18 Monaten mit der altgriechischen Akzentuierung beschäftigen. Sein Ziel ist es, ein umfassendes und detailliertes Handbuch zu diesem Thema zu verfassen, das eine Lücke schließen soll.

„Ursprünglich war ein Akzent im Altgriechischen ein musikalischer Akzent. Erst in der hellenistischen und vor allem in der römischen Zeit, allmählich in den letzten Jahrhunderten vor und besonders in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt, ist daraus ein Akzent mit einer Hauptkomponente der Intensität geworden“, schildert Dieu einen Bereich seiner Forschung. „Musikalisch“ bedeutet in diesem Fall tatsächlich, dass der entsprechende Vokal – etwa das erste o in dem Wort logos – mit einem höheren Ton zwar nicht gesungen, aber doch gesprochen wurde. Erst später entwickelte sich daraus eine Betonung, wie wir sie heute kennen.

600 Seiten über Akzente im Altgriechischen

600 bis 800 Seiten stark wird das Buch werden, an dem er während seines Aufenthalts in Würzburg arbeitet, schätzt Dieu. Es soll eine Erweiterung sein eines vergleichbaren Werks von ihm aus dem Jahr 2016, das sich auf gut 600 Seiten mit der Akzentuierung von Substantiven mit der Endung -ā im Altgriechischen und in indogermanischen Sprachen befasst. Der Sprachwissenschaftler will darin sowohl in einer beschreibenden als auch in einer historischen Perspektive neueste Erkenntnisse verarbeiten, die es auf diesem Gebiet in den vergangenen 100 Jahren gegeben hat. Denn ungefähr so lange ist es her, dass das letzte Standardwerk zur Akzentuierung des Altgriechischen aus sowohl synchroner als auch diachroner Sicht erschienen ist.

Unter anderem will sich Dieu intensiv mit den Entwicklungen in verschiedenen griechischen Dialekten, wie beispielsweise dem Attischen oder dem Dialekt der Boioter, auseinandersetzen. „In dem bisherigen Standardwerk wird dieser Bereich auf gerade einmal zehn Seiten abgehandelt“, sagt er. Ein anderes Thema sei die Akzentuierung von Ableitungen von Nomina: Neueste Theorien zur Akzentuierung balto-slavischer Sprachen hätten diesem Bereich wichtige Impulse gegeben und müssten nun seinen Worten nach auch im Altgriechischen Berücksichtigung finden.

Klitika sind ein weiterer Punkt seiner Forschung. Klitika – Einzahl Klitikon: Damit bezeichnet die Sprachwissenschaft unbetonte oder schwach betonte Bestandteile eines Worts, die sich lautlich an ein benachbartes betontes Wort anlehnen müssen. Beispiele dafür im Deutschen finden sich vor allem in der Umgangssprache oder im Dialekt: „Haste se gesehen?“ oder „Hammers jetzt?“ weisen typische Klitika auf.

Blick über die Sprachgrenzen hinaus

Warum forscht Eric Dieu am Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft – und nicht am Lehrstuhl für Gräzistik der JMU? „Meine Forschung wendet sich nicht ausschließlich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich des Altgriechischen“, sagt er. Sie sei auch interessant für Philologen und Linguisten, die sich mit indogermanischen Sprachen beschäftigen, und darüber hinaus eigentlich für Alle, die sich ganz allgemein für die Entwicklung linguistischer Systeme interessieren.

Überhaupt legt Eric Dieu großen Wert auf einen indogermanischen Fokus in seiner Forschung am Altgriechischen. Ihn interessiert, wie der Vergleich mit anderen indogermanischen Sprachen – insbesondere dem Altindischen und den baltischen sowie den slawischen Sprachen –, deren Akzentsysteme bekannt sind, ein besseres Verständnis der Vorgeschichte des Altgriechischen ermöglicht. Damit sei es möglich zu erkennen, welche Phänomene mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das Indogermanische zurückgehen, und was eher auf altgriechische Innovationen zurückzuführen ist.

Die Universität Würzburg – und speziell der Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft – sei dafür ein idealer Ort. „Hier gibt es eine lange Tradition auf dem Gebiet der indogermanischen Linguistik, was sich auch in einer hervorragend ausgestatteten Bibliothek bemerkbar macht“, sagt Dieu. Mindestens genauso wichtig sei die Möglichkeit, am Lehrstuhl mit Forscherinnen und Forschern zwanglos ins Gespräch zu kommen, die zu vergleichbaren Fragen, aber an anderen Sprachen forschen.

Lehrstuhlinhaber Daniel Kölligan beispielsweise habe „grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der Etymologie“ publiziert. Kölligans Expertise im Bereich der Entwicklung des Armenischen biete Dieu die Chance, sein Wissen auf diesem Gebiet speziell sowie allgemein zur indogermanischen Sprachfamilie zu vertiefen. Oder er tauscht sich mit einem weiteren Stipendiat der Humboldt-Stiftung am Lehrstuhl aus: Petr Kocharov, ein Sprachwissenschaftler, der hier zurzeit die Wurzeln des Altarmenischen erforscht.

Zur Person

Eric Dieu (41) ist in Chaumont in der Region Champagne / Ardenne im Nordosten Frankreichs aufgewachsen. Im Alter von 17 Jahren ist er nach Paris gegangen, um sich dort auf das Auswahlverfahren der École Normale Supérieure vorzubereiten. 2005 beendete er sein Masterstudium mit dem Schwerpunkt „Klassische Philologie“ an der Universität Paris-IV.

2007 wurde Dieu an der École Pratique des Hautes Études (Paris) promoviert mit einer Arbeit über das Phänomen von Suppletion in den Steigerungsformen von Adjektiven im Altgriechischen und in den indogermanischen Sprachen – also dem Fall, dass ein Adjektiv und seine Steigerungsformen aus mindestens zwei verschiedenen Wurzeln stammen, wie beispielsweise im Deutschen gut / besser / (am) beste(n). Ebenfalls an der EPHE legte er 2013 seine Habilitation vor – sein Werk über die Akzentuierung von Substantiven mit der Endung -ā im Altgriechischen und in indogermanischen Sprachen.

Seit 2009 forscht und lehrt Eric Dieu am Institut für klassische Philologie der Universität von Toulouse; seit 2020 ist er dort regulärer Professor.

Kontakt

Prof. Dr. Eric Dieu, Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, T: +49 931 31-82907, eric.dieu@uni-wuerzburg.de

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