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Von Würzburg in die Welt

02.05.2017

Johannes Obergfell ist durch seine Magisterarbeit auf das Thema „Migration“ gestoßen. Heute arbeitet er beim Bundesamt für Migration (BAMF). Eine „verrauchte Höhle“ zählt zu den prägenden Erinnerungen seiner Studienzeit.

Johannes Obergfell
Eigentlich wollte Alumnus Johannes Obergfell seine Magisterarbeit über den Drogenkrieg in Mexiko schreiben. Aus Sicherheitsgründen ist er dann jedoch beim Thema „Migration“ gelandet. (Foto: privat)

Was arbeiten Absolventen der Universität Würzburg? Um den Studierenden verschiedene Perspektiven vorzustellen, hat Michaela Thiel, Geschäftsführerin des zentralen Alumni-Netzwerks, ausgewählte Ehemalige befragt. Diesmal ist Dr. Johannes Obergfell an der Reihe. Obergfell ist Referent beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Er hat in Würzburg Politikwissenschaften, Wirtschaftsgeografie und europäische Ethnologie studiert.

Herr Dr. Obergfell, Sie haben sich schon lange vor der großen Flüchtlingswelle mit dem Thema Migration befasst. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen? Mein Auslandsjahr in Guadalajara in Mexiko 2007/2008 und die dort gewonnenen Eindrücke haben mich nachhaltig geprägt. Das Thema Migration ist dort omnipräsent. Es gibt kaum jemanden, der keine eigene Migrationserfahrung oder aber nahe Verwandte oder Freunde mit Migrationserfahrungen hat. Meine Magisterarbeit wollte ich ursprünglich jedoch zum Thema ‚Drogenkrieg‘ schreiben. Allerdings wurde mir aus Gründen der Sicherheit davon abgeraten, direkt vor Ort zu recherchieren. So entschloss ich mich, meine Magisterarbeit auf das naheliegende Thema ‚Migration‘ auszurichten.

Wie sind Sie das Thema angegangen? 2009 habe ich nochmals mehrere Monate in Mexiko verbracht und dabei Interviews geführt, unter anderem mit Vertretern der politischen Parteien. Mit Blick auf die politische Haltung der USA gegenüber Mexiko sowie Migration und Migranten aus Lateinamerika wirkt meine alte Magisterarbeit noch immer aktuell; viele der darin aufgeführten Punkte finden sich leider noch immer, oder wieder, auf der politischen Tagesordnung.

Und dann sind Sie dem Thema treu geblieben. Ja, meine Doktorarbeit habe ich zum Thema ‚Abwanderung von Deutschland in die Türkei‘ geschrieben. Viele junge, teils sehr gut qualifizierte Türkeistämmige verlassen Deutschland, weil sie sich hier nicht anerkannt fühlen, schlechtere Arbeitsperspektiven sehen und sich diskriminiert fühlen. Trotz dominierender Berichterstattung zum Thema ‚Zuwanderung‘ genießt die Abwanderung aus Deutschland Aktualität und Relevanz und sollte von uns nicht aus den Augen verloren werden.

Über Migration und Flucht wird derzeit intensiv diskutiert. Wie hat sich diese Diskussion Ihrer Meinung nach in den vergangenen Monaten verändert? Das Thema Migration, und hier insbesondere Fluchtmigration, beschäftigt die Menschen. Vor 2015 waren die Krisenregionen dieser Welt für viele weit weg. Spätestens seit Herbst 2015 hat sich die Lage geändert, als sich die Auswirkungen von Krieg, Hunger und Leid in Form von Migrationsbewegungen an deutschen Grenzübergängen manifestierten und nicht nur auf Griechenland und Italien beschränkten – was auch nicht wirklich weit weg war.

Inwiefern spielt das Thema auch in Ihrem Privatleben eine Rolle? Migration spielt für die meisten von uns, teils unbewusst, eine ganz zentrale und prägende Rolle. Ich selbst war als Bildungsmigrant in Mexiko und könnte als ökonomisch motivierter Binnenmigrant bezeichnet werden, da ich nicht aus Franken stamme. In meinem familiären und privaten Umfeld sind nationale sowie internationale Migrationserfahrungen alltäglich. Migration ist nichts abstraktes und nichts neues, sondern ein normaler Prozess, wahrscheinlich fast so alt wie die Menschheit selbst. Durch meine Arbeit im BAMF bin ich nah am Geschehen und erhalte einen anderen Einblick in viele Vorgänge. Dafür interessiert sich mein privates Umfeld.

Was sagen Sie, wenn Leute aus Ihrem Umkreis erklären, dass Sie Angst vor den vielen Flüchtlingen haben? Meist frage ich zunächst, ob die betreffenden Personen denn bereits viele Geflüchtete gesehen haben und mit wie vielen sie Kontakt hatten. In der Regel lautet die Antwort dann: ‚Weder noch‘. Oft handelt es sich um unbegründete Ängste, um Reaktionen auf Stereotype und aufgeschnappte Gerüchte, die ich zu klären versuche.

Und wenn Menschen nicht wollen, dass Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft leben? Keine zehn Meter von meiner Haustür entfernt sind Flüchtlingsfamilien untergebracht, und ich kann sagen, dass ich bislang keinerlei negative Erfahrungen mit den neuen Nachbarn gemacht habe. Über viele Dinge kann man bei Bedarf sprechen – auch Sprachbarrieren lassen sich überwinden; für viele Probleme lassen sich Lösungen finden, egal ob die Nachbarn aus Syrien oder Oberbayern stammen.

Trotzdem werden viele Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren, bisweilen hart kritisiert. Ich halte weder etwas vom Begriff des ‚Gutmenschen‘ noch des ‚Wutbürgers‘, denn dort gibt es nur Schwarz und Weiß. Die Realität ist zum Glück bunter. Für Gewalt, Verbrechen und fehlenden Respekt gegenüber anderen habe ich kein Verständnis, da spielt für mich die Herkunft oder Staatsangehörigkeit keine Rolle. Hier sind Polizei und Justiz gefragt, beziehungsweise der Gesetzgeber, der die Polizei ordentlich auszustatten hat. Und natürlich wir alle, die wir gesittet miteinander umgehen sollten.

Das deutsche Asylrecht ist dem Einen zu idealistisch und naiv, dem Anderen hingegen zu restriktiv. Wie ist Ihre Meinung? Die Gewährung von Asyl birgt sicherlich Herausforderungen und stellt uns als Bürger und als Gesellschaft auf die Probe, doch die oft aufkommende Kosten-Nutzen-Rechnung halte ich für kritisch. Asyl ist in unserer Verfassung verankert, aus gutem Grunde. Ich rate zur Empathie, und frage im Gespräch oft: ‚Was würdest Du machen, wenn Deine Existenz in der Heimat durch Bomben zerstört wurde, Du Angehörige und Freunde verloren hättest, Du Deine Familie im Flüchtlingslager in Jordanien nicht mehr ernähren kannst, weil die Industriestaaten nicht gewillt sind, Dir, Deiner Frau und den kleinen Kindern einen Dollar pro Tag für Wasser und Nahrung zuzugestehen? Würdest Du im Kriegsgebiet bleiben und warten, bis die nächste Kugel Deine Tochter oder Dich trifft? Würdest Du im Flüchtlingslager warten, bis Deine Kinder verhungern? Wohin würdest Du gehen, dorthin wo Du als Rechtloser auf der Straße landest, oder nach Deutschland, wo Du ein Dach über dem Kopf bekommst, Deine Familie medizinisch versorgt wird und Du ein Teil der Gesellschaft werden kannst, auch weil Du Zugang zu Integrationskursen bekommst, in denen Du die deutsche Sprache lernen kannst?‘

Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Ich habe das Glück, in einem Bereich zu arbeiten, in dem die Arbeitstage selten identisch sind. Wir bereiten viele Termine für unsere Amtsleitung vor, halten Vorträge, werten amtsrelevante gesellschaftliche und politische Vorgänge aus, arbeiten im Grundsatzbereich auch konzeptionell. Man liest viel, man schreibt viel und man kommuniziert viel; eine gute Mischung, wie ich finde.

Was würden Sie Studierenden raten, die sich für eine Tätigkeit im BAMF interessieren? Informieren Sie sich genau über die vielen verschiedenen Arbeitsbereiche des Bundesamtes. In der öffentlichen Wahrnehmung sind wir oft ‚nur‘ das ‚Asylamt‘, was so nicht stimmt. Mit rund 9.000 Mitarbeitenden sind wir eine große Behörde, die viele spannende Tätigkeitsfelder bietet, angefangen vom Asylbereich über den Integrationsbereich bis hin zu Forschung, Präventionsarbeit in Sachen Radikalisierung, Behörden-Digitalisierung, Pressearbeit und vielem mehr. Klicken Sie sich auf  www.bamf.de durch die Informationen und machen Sie sich durch einen Blick auf den Organisationsplan des Bundesamtes ein Bild von der Vielfalt der Tätigkeitsbereiche.

An welche Begebenheit aus Ihrer Studienzeit erinnern Sie sich besonders gerne? Der Moment, als ich meine Magisterarbeit in den Fakultätsbriefkasten steckte. Auch die Urkundenübergabe in der Residenz war sehr schön, ebenso wie die Teilnahme an dem Planspiel der Vereinten Nationen NMUN. Insgesamt hatte ich eine großartige Studienzeit in Würzburg, trotz des damals baufälligen Gebäudes am Wittelsbacherplatz, trotz überfüllter Räume auch am Hubland und zu weniger Dozenten. Als Magisterstudent hatte man die Freiheit und Zeit, als Gasthörer Interessantes aus anderen Fachbereichen mitzunehmen, das eigene Studium aktiv auszugestalten und das Studentenleben zu genießen. Sprechstunden in der verrauchten Höhle des leider viel zu früh verstorbenen Professors Christoph Daxelmüller waren ein Erlebnis, ebenso wie die Neapel-Exkursion mit ihm.

Vielen Dank für das Gespräch.

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