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Vorurteile und verquere Blicke

11.02.2020

Zwischen 1884 und 1919 hatte auch das Deutsche Reich Kolonien – in Afrika, Ozeanien und Ostasien. Mit der deutschen Sprache zur faktischen Kolonialzeit haben sich Masterstudierende der Germanistik befasst.

Sie beschäftigten sich mit der Sprache der deutschen Kolonialzeit (von links): Alicia Hückmann, Jinyang Ma und Miriam Reischle.
Sie beschäftigten sich mit der Sprache der deutschen Kolonialzeit (von links): Alicia Hückmann, Jinyang Ma und Miriam Reischle. (Bild: Universität Würzburg)

Sie hatten die Führungsposition inne. Hatten das Sagen. Deuteten und bewerteten. Und das prägte die Sprache der deutschen Kolonialherren. Wie berichteten sie über indigene Völker? Auf welche Weise fassten sie in Worte, was sie vor Ort sahen? Das haben Germanistik-Studierende der Universität Würzburg in einer umfangreichen Textsammlung analysiert, in einem Masterseminar unter Leitung von Matthias Schulz, Professor für Deutsche Sprachwissenschaft.

Zum Abschluss werden die Ergebnisse in einer Posterausstellung im Philosophiegebäude präsentiert. Die Ausstellung ist noch bis 25. Februar 2020 zu sehen.

Seit 2019 ist die „Digitale Sammlung deutscher Kolonialismus“ (DSDK) online verfügbar. Die Analysen der Studierenden haben gezeigt, dass sich diese Sammlung von knapp 1.000 Texten aus der Zeit zwischen 1880 und 1920 gut für sprachwissenschaftliche Analysen eignet. Die Untersuchung der Quellen zeigt spezifische Strukturen kolonialzeitlichen Wortschatzes. An Beispielen wird auch deutlich, wie abwertend und rassistisch Deutsche über indigene Völker schreiben konnten.

Sprache der Indigenen wurde abgewertet

Mit Grafiken, Gegenüberstellungen und Textbeispielen zeigen die Studierenden auf ihren Postern, was sie herausgefunden haben. Alicia Hückmann zum Beispiel befasste sich mit der Frage, inwiefern der westliche Blick deutsche Sprachforscher im südpazifischen Raum beeinflussen konnte.

Überlegenheits-Vorurteile und Herrschaftsdenken, fand sie heraus, manipulierten die Forschungsarbeit. Das wird anhand der Sprache deutlich: So ist in 17 von ihr analysierten Texten von einem „sehr unvollkommenen“ Wortschatz der indigenen Bevölkerung die Rede. Die Grammatik gleiche einer „Kindersprache“, gewisse Wortbildungen wirkten „erheiternd“.

Die Sprachforscher zeigten, wie weit die Sprache der Indigenen hinter der deutschen Sprache zurückbleibe. „Unterschwellig ist aus den Texten herauszulesen, dass Deutsch als vollkommene Sprache gilt, die Sprache der Indigenen wird im Vergleich als unvollkommen bewertet“, so Hückmann.

Interessant fand die Studentin, welche psychologischen Schlussfolgerungen aus der Untersuchung von Sprachen der indigenen Völker gezogen wurden. Aus der Tatsache zum Beispiel, dass es viele Wörter mit konkreter und nur wenige mit abstrakter Bedeutung gibt, wurde geschlossen, dass das indigene Volk ein „schlechtes Vorstellungsvermögen“ habe. Die koloniale Bewertung von Sprachen und von Sprecherinnen und Sprechern sind hier wechselseitig aufeinander bezogen.

„Naive“ und „lächerliche“ Glaubensvorstellungen

Auch aus den Texten, die das Religiöse thematisieren, geht hervor, dass die Kolonialherren das Eigene als das Höchste ansahen und das, was sie in den Kolonien vorfanden, kaum gelten ließen. Das ging zum Teil so weit, dass der Glaube der indigenen Völker überhaupt nicht als „echte“ Religion angesehen wurde. Mit dem Wort „Religion“ wurde vor allem der christliche Glaube bezeichnet; religiöse Vorstellungen und Praktiken der indigenen Bevölkerungen wurden hingegen als "Aberglaube" oder "heidnische Vorstellungen" bezeichnet.

Wie die weitere Analyse der Kolonialzeittexte ergab, belegten die Kolonialherren indigene Glaubensvorstellungen mit Wörtern wie „naiv“, „kindlich“ oder gar „lächerlich“.

Auch das, was in Reiseberichten als charakteristisch dargestellt wird, zeugt von Vorurteilen und Konstrukten, fand Doktorandin Miriam Reischle heraus. So werde der koloniale Raum, statt Differenzen wahrzunehmen, in seiner sprachlichen Konstruktion oft als Gesamtheit angesehen. Ein Beispiel aus einem Text: „Hier wie überall in dieser Gegend waren uns die (…) Hütten aufgefallen.“ Kolonisierter Raum wird sprachlich generalisiert.

Teilweise auch positive Beschreibungen

Die Studierenden konnten bei ihren Analysen auch Vorurteile über die kolonialzeitliche Sprache entlarven. „Es trieft nicht alles vor einem spezifisch kolonialistischen Wortschatz“, sagt Professor Schulz. So wurde die Sprache der indigenen Völker teilweise auch mit positiven Wörtern beschrieben: Sie sei „sehr melodisch und klangvoll“ oder die Verbalformen seien „unglaublich mannigfaltig“.

Bei der Beschreibung von Gebäuden gleicht sich die Verwendung von Adjektiven häufig. Aber auch das sei ein wichtiger Forschungsbefund, so Schulz. Es sei zu einfach, negative Bewertungen ausschließlich quantitativ am Gebrauch und an der Häufigkeit bestimmter Wörter festzumachen. Die Belegkontexte müssten stets einbezogen werden; koloniale Einstellungen und Gewissheiten könnten auch die Ursache dafür sein, dass manche Themen überhaupt nicht explizit versprachlicht werden.

Jinyang Ma untersuchte in ihrer Projektarbeit die Wortfamilie „Kolonie“ (also Wörter wie Koloniebeamter, Kolonialregierung, kolonisieren). Die Masterstudentin aus China konnte im Vergleich mit anderen Textsammlungen außerhalb der „Digitalen Sammlung Deutscher Kolonialismus“ zeigen, dass der Blick der Kolonialherren sehr stark auf die eigenen Interessen gerichtet war: "Diese Wörter beschreiben die Handlungen und die Perspektive der Kolonisten". Man könne am Umfang der Wortfamilie und an den einzelnen Wörtern belegen, dass es tatsächlich spezifische Wortschatzanteile und Wortschatzstrukturen in der Kolonialzeit gab.

Frauen wurden aus rassistischen Motiven gebraucht

Die Kolonien zu regieren, war fast ausschließlich der Job von Männern. Doch es brauchte auch Frauen in den Kolonien. Mit welchen Argumenten diese bewegt wurden, in die Kolonien zu ziehen, damit befasste sich Sonja Gutte in einer Argumentationsanalyse.

Sie fand heraus, dass die werbenden Argumente vor allem in einem nationalpatriotischen Kontext standen. Emanzipatorische Argumente kommen vor, sind aber selten. Nicht selten wurde sogar rassistisch argumentiert. Zum Beispiel so: „Die Anwesenheit der Frau ist geboten in Rücksicht auf die Reinerhaltung der Rasse."

Von Kristian Lozina

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