Was Jesus über Familie denkt
14.01.2020Was macht eine Familie aus? Und war das schon immer so? Das Siebold-Collegium der Uni Würzburg lud zur Diskussion über dieses emotional aufgeladene Thema ein – und erhielt spannende Einblicke von Experten.
Wer sich intensiv mit der Bibel als historischer Quelle befasst, kann so manche Überraschung erleben. Zum Beispiel, was das Thema Familie betrifft. „Im ältesten Evangelium, dem vom Markus, findet sich geballte Familienkritik“, berichtete der Würzburger Theologe Burkhard Hose bei der Diskussionsveranstaltung „Ist die Familie noch zu retten?“ des Siebold-Collegiums (SCIAS) der Uni Würzburg im Würzburger Welzhaus. Dabei ging es um die Familie in der Antike und im frühen Christentum.
Laut dem Priester äußert Jesus im Markus-Evangelium, als er hörte, dass seine Mutter und seine Brüder auf ihn warteten: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Er beschwört eine neue Gemeinschaft, eine neue Art der Familie. Wörtlich heißt es: „Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!“ An einer anderen Stelle des Markus-Evangeliums steht zu lesen: „Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.“
Rütteln an tradierten Strukturen
Der Text lässt Hose zufolge den Rückschluss zu, dass es zu jener Zeit eine starke Bewegung gegeben hat, die damit verbunden war, sich von der Sippe zu lösen. Diese damalige Sippe hat laut dem Studentenpfarrer nichts mit jener Familie zu tun, die sich in der heutigen Zeit am 24. Dezember um den Christbaum versammelt: „Die Familie ist hier kein Beziehungs-, sondern ein Herrschaftsgefüge.“ Den höchsten Herrschaftsanspruch hatte der Vater. Diesen Vater ersetzt Jesus durch Gott. Damit rüttelte er an den tradierten Herrschaftsstrukturen. Was damals gar umstürzlerisch war.
Heute ist die Geschichte, wie Jesus in der Krippe zur Welt kam, omnipräsent. Selbst Menschen, die niemals die Bibel in die Hand nehmen, kennen sie. Im Markusevangelium allerdings fehlt die Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu. Auch im Johannesevangelium findet sie sich nicht. Die Verehrung der Heiligen Familie ist vergleichsweise neu. Hose: „Im 17. Jahrhundert ging es damit los.“ Im 19. Jahrhundert begann Papst Leo XIII. die Verehrung der Heiligen Familie intensiv zu fördern.
Denn die Industrialisierung machte den Menschen damals zu schaffen: „Die ganze Gesellschaft, vor allem die Familien wurden verunsichert“, legte Hose dar. Das Mysterium der Heiligen Familie sollte den Menschen ein Vorbild sein. Papst Benedikt XV. schließlich erklärte 1921 den Sonntag nach Weihnachten zum Fest der Heiligen Familie. „Er greift zurück auf die Heilige Familie, um das Familienideal aus dem 19. im 20. Jahrhundert zu verankern“, erklärt Hose. Mit dieser Entscheidung bewegte sich Benedikt XV. weit weg von der neutestamentlichen Familienkritik. „Insgesamt trägt die Bibel wenig zur Rettung heutiger Vorstellungen von der Idealfamilie bei“, so Hoses Fazit.
Sippe statt Familie im Altertum
Für Alterstumswissenschaftler bedeutet es keine neue Erkenntnis zum Thema Familie, was hierüber, reichlich ernüchternd, in der Bibel steht. Das machte der Würzburger Archäologe Ulrich Sinn klar. Den antiken Griechen war der Begriff Familie, wie wir ihn heute verstehen, gänzlich unbekannt: „Es gab jedoch die Sippe, die zusammenwohnte.“ Dies geht zum Beispiel aus einer archäologisch ergrabenen Siedlung hervor, die im 8. Jahrhundert vor Christus südlich von Athen angelegt wurde. Innerhalb dieser Siedlung stand isoliert ein Herrenhaus mit prächtigem Mittelgebäude und einer Herdstelle davor. „Dort kamen die Häupter der einzelnen Familien zusammen“, erklärt Sinn.
Ein typisches Beispiel für ein antikes Sippenoberhaupt findet sich in einem erhaltenen Weihegeschenk. Auf diesem Geschenk ist ein vermögender, fettleibiger Mann zu sehen, der mit einem Trinkgefäß auf einem Polster liegt. Das Bild bringt zum Ausdruck, dass dieser Mann genügend Geld hat, um immer viel essen und außerdem selbst Symposien organisieren zu können. „Oberhaupt konnte bei den Griechen nur werden, wer im Wohlstand lebte“, erläutert Sinn. Die kostbaren Gewänder der drei Töchter des Mannes, die ebenfalls auf dem Weihegeschenk zu sehen sind, erzählen davon, dass auch sie höchstes Ansehen genossen.
Aufgrund der damals hohen Mortalität strebte in der Antike jede Familie danach, dass möglichst viele Kinder geboren wurden. „Die Mädchen wurden deshalb sehr früh verheiratet“, so Sinn. Mit Liebe hatten diese Ehen nichts zu tun. „Es ging vor allem um den Bestand der familiären Strukturen“, so der ehemalige Uni-Vizepräsident.
Das Siebold-Collegium ist das Institute for Advanced Studies (SCIAS) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Ziel von SCIAS ist es, Internationalität und Interdisziplinarität zu fördern. Außerdem sollen Gastwissenschaftler verschiedener Fachbereiche in die wissenschaftliche Gemeinschaft in Würzburg integriert werden.