Wenn Fremde beruhigend wirken
02.10.2018Schmerzlindernde Maßnahmen lösen einen Lerneffekt im Gehirn aus, der die Schmerzen reduziert. Wenn diese Hilfe von einer wenig vertrauten Person kommt, wirkt sie besser, wie eine neue Studie zeigt.
Schmerz und Psyche hängen eng zusammen, und soziale Faktoren spielen eine wesentliche Rolle dabei, wie Menschen Schmerzen empfinden. Wer sich mit dem Hammer auf den Daumen schlägt, wird den Schmerz weniger stark empfinden, wenn sein Partner tröstend zur Seite steht, aber deutlich mehr leiden, wenn der Vorgesetzte meckert, wie man nur so ungeschickt sein könne.
Wie einer der wichtigsten sozialen Faktoren – die Gruppenzugehörigkeit – das Schmerzempfinden verändert, hat jetzt ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten Würzburg, Amsterdam und Zürich untersucht. Das überraschende Ergebnis: Wenn die Studienteilnehmer von einer Person Hilfe angeboten bekamen, die ihnen fremd war, empfanden sie den Schmerz deutlich geringer, verglichen mit den Teilnehmern, die Hilfe von Menschen aus der gleichen sozialen Gruppe erhielten.
Leiterin der Studie war die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Grit Hein. Sie lehrt und forscht seit gut einem Jahr als Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften am Zentrum für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Würzburg. Weitere Beteiligte an der Studie, die jetzt in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences erschienen ist, sind Jan B. Engelmann (Universität Amsterdam) und Philippe N. Tobler (Universität Zürich)
Untersuchung von Schmerz im Tomographen
„Wir haben in unserer Studie zum Einen subjektive Schmerzurteile und zum Anderen die Gehirnaktivierungen in bestimmten Arealen bei Teilnehmern vor und nach einer Schmerzbehandlung gemessen“, schildert Grit Hein die Vorgehensweise der Wissenschaftler. Dafür erhielten die Probanden Stromschläge am Handrücken, die von ihnen selbst als schmerzhaft beurteilt wurden, und mussten deren Intensität bewerten. Währenddessen lagen sie in einem funktionellen Magnetresonanz-Tomographen, der Auskunft über die Gehirnaktivität gab.
Um den Effekt der Gruppenzugehörigkeit auf das Schmerzempfinden zu untersuchen, teilten die Wissenschaftler die Studienteilnehmer in zwei Gruppen auf: Eine Gruppe erhielt Schmerzlinderung von einer Person, die der Nationalität des Probanden, also dessen Gruppe, angehörte; die andere Gruppe von einer Person einer anderen Nationalität, die als „fremd“ eingeschätzt wurde. Da die Studie in Zürich durchgeführt wurde, waren dies im konkreten Fall auf der einen Seite Schweizer, auf der anderen Seite Menschen, die aus einem der Länder des Balkans stammten.
Geringere Aktivierung im Gehirn
Das Ergebnis: „Vor der Behandlung zeigten die Teilnehmer beider Gruppen eine ähnlich stark ausgeprägte negative Reaktion auf Schmerzen“, erklärt Grit Hein. Nach der Behandlung durch den aus ihrer Sicht „Fremden“ berichteten hingegen die Teilnehmer dieser Gruppe über weniger Schmerzen, verglichen mit der anderen Gruppe. Dieser Effekt war nicht nur auf das subjektive Empfinden beschränkt: „Wir sahen auch eine Verringerung der schmerzbezogenen Aktivierung in den entsprechenden Bereichen des Gehirns“, sagt die Wissenschaftlerin.
Der Befund, der für den Laien überraschend sein mag, geht konform mit einer zentralen Aussage aus der Lerntheorie. Diese besagt, dass Menschen dann besonders gut lernen, wenn die Ergebnisse ganz anders ausfallen, als sie das erwartet hatten. Vom „Vorhersagefehler-Lernen“ sprechen Psychologen in diesem Fall. Die Überraschung trägt dann dazu bei, dass sich die neue Erfahrung, das neue Wissen besser im Gehirn „verankert“.
Überraschung sorgt für Linderung
Auf das Schmerzexperiment bezogen, bedeutet dies: „Die Studienteilnehmer, die schmerzlindernde Maßnahmen von einem Fremden erhielten, hatten nicht damit gerechnet, dass sie von diesem tatsächlich effektiv Hilfe bekommen würden“, erklärt die Neurowissenschaftler. Und je weniger die Teilnehmer positive Erfahrungen erwartet hatten, desto größer war ihre Überraschung, als der Schmerz tatsächlich nachließ – und umso stärker war die Reduktion ihrer Schmerzreaktionen.
Auch wenn die Zahl der Studienteilnehmer mit 40 nicht besonders groß war, sind die Wissenschaftler von ihren Ergebnissen überzeugt. „Die Befunde sind auf vielen Ebenen abgesichert – von den Bewertungen der Patienten über die neuronale Antwort im Gehirn bis zu den Effektstärken“, sagt Grit Hein. Trotzdem handele es sich um eine erste Studie auf diesem Gebiet, die nun außerhalb des Labors getestet werden müsse. Schließlich könnten die Ergebnisse für den klinischen Bereich relevant sein, in dem eine Behandlung durch Pflegekräfte und Ärzte aus anderen Kulturen heute üblich ist.
Hein, G., Engelmann, J.B., & Tobler, P.N. Pain relief provided by an outgroup member enhances analgesia. Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.0501
Kontakt
Prof. Dr. Grit Hein, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
T: +49 931 201 77411, E-Mail: hein_g@ukw.de