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Wissenschaft auf ein Bier

04.09.2018

Das Lindauer Nobelpreisträgertreffen gab den Anstoß: Jetzt wollen zwei Nachwuchswissenschaftler der Uni Würzburg wissenschaftliche Diskussionen in Würzburger Kneipen tragen.

Adam Whisnant und Arunima Roy
Adam Whisnant (l.) und Arunima Roy sind der Meinung, dass Wissenschaftler mehr dafür tun müssen, die Ergebnisse ihrer Arbeit einem breiten Publikum bekannt zu machen. Aus diesem Grund haben sie eine neue Vortrags- und Diskussionsveranstaltung ins Leben gerufen. (Foto: Gunnar Bartsch)

Rein äußerlich gesehen wirkt es nicht so, als hätten Arunima Roy und Adam Whisnant viele Gemeinsamkeiten. Und doch gibt es vieles, worin sie übereinstimmen: Beide sind Postdoc und forschen an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) – Arunima Roy am Lehrstuhl für Molekulare Psychiatrie von Professor Klaus-Peter Lesch, Adam Whisnant bei Lars Dölken, dem Inhaber des Lehrstuhls für Virologie.

Beide sind dafür um die halbe Welt gezogen – Adam von North Carolina (USA), weil er in Würzburg auf Experten trifft, die wie er an Herpesviren forschen; Arunima, weil Klaus-Peter Lesch einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der ADHS-Forschung ist, und weil sie sich speziell für den Einfluss von Umweltfaktoren auf diese Krankheit interessiert.

Beide durften vor wenigen Wochen an der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung teilnehmen – Arunima war dafür von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nominiert worden, deren Stipendiatin sie ist; Adam kam auf Einladung der Wilhelm-Sander-Stiftung.

Und beide sind der Überzeugung: Wissenschaftler müssen mehr dafür tun, die Ergebnisse ihrer Arbeit einem breiten Publikum auch über die Grenzen der Scientific Community hinaus bekannt zu machen. Aus diesem Grund haben sie jetzt eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung ins Leben gerufen, die fern der Uni und öffentlichkeitswirksam in einer Kneipe in der Stadtmitte von Würzburg stattfinden wird. Der erste Termin steht bereits fest: am Donnerstag, 6. September, in der Kneipe „Standard“, Oberthürstraße 11a, Beginn ist um 19 Uhr.

Zunehmende Zweifel an der Wissenschaft

„Wir leben in einer Zeit, in der wissenschaftliche Erkenntnisse in der öffentlichen Diskussion immer stärker in Zweifel gezogen oder sogar als falsch dargestellt werden“, sagt Adam Whisnant. Egal, ob es dabei um den Klimawandel und seine Folgen, Gentechnik in der Lebensmittelproduktion oder um die angeblichen Gefahren von Impfungen geht: Zunehmend bestimmen Meinungen die Diskussion, und Fakten rücken dabei in den Hintergrund – vor allem, wenn solche Diskussionen in den Sozialen Medien geführt werden.

Dieser Verlust an gesellschaftlicher Relevanz der Wissenschaft sei auch vieldiskutiertes Thema während der Tagung in Lindau gewesen, bei dem 600 Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler aus 84 Herkunftsländern auf 39 Nobelpreisträger aus den Bereichen Medizin und Physiologie trafen und sich sechs Tage lang über Fragen zu Forschung und Gesellschaft austauschten. „Wir haben uns deshalb gefragt, was man tun kann, um Wissenschaft wieder unter die Leute zu bringen“, sagt Arunima Roy. Und so habe Lindau den Anstoß gegeben für eine Veranstaltung, die unter dem Titel „Wissenschaft bei einem Bier“ läuft.

Ein niedrigschwelliges Angebot, nah am Alltag der Menschen, interdisziplinär und im Idealfall regelmäßig einmal pro Monat: So stellen sich die beiden Nachwuchswissenschaftler die Veranstaltung in einer Würzburger Kneipe vor. Nach einem kurzen Einführungsvortrag soll Zeit für Diskussionen sein; erhofftes Ziel ist es, wissenschaftlichen Argumenten wieder mehr Gehör zu verschaffen. „Früher hat man Experten eher geglaubt. Heute werden sehr schnell Zweifel formuliert“, sagt Adam. Den Grund dafür sieht er in einer gewissen Überforderung der Gesellschaft: „Es ist leichter, etwas abzulehnen, als sich mit einem Thema auseinanderzusetzen und versuchen herauszufinden, was tatsächlich stimmt.“

Vom Druck des Publizierens

Herausfinden, was tatsächlich stimmt: Das ist auch das Motiv, weshalb Arunima Roy und Adam Whisnant tagtäglich im Labor stehen, experimentieren und an ihrem nächsten Paper feilen. Knapp zweistellig ist die Liste ihrer bisherigen Veröffentlichungen in der Datenbank PubMed. "Family environment interacts with CRHR1 rs17689918 to predict mental health and behavioral outcomes” lautet der Titel der jüngsten Publikation von Arunima Roy; “Identification of novel, highly expressed retroviral microRNAs in cells infected by bovine foamy virus” ist das Thema einer Veröffentlichung von Adam Whisnant.

Verspüren sie – als Wissenschaftler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen – den vielbeklagten Druck, möglichst viel zu publizieren, weil nur das zählt, wenn es um Stellen und Drittmittel geht? „Ja, denn nur so kann man zeigen, dass man gut ist“, sagt Adam. Bisweilen verfolge sie das Thema sogar bis in ihre Träume, ergänzt Arunima. Nicht zu wissen, ob andere Teams am gleichen Thema forschen und möglicherweise schneller sind; die Überlegung, ob man noch ein Kontrollexperiment durchführen oder die vorliegenden Ergebnisse lieber gleich veröffentlichen soll; die Frage, ob man Erst- oder Mitautor ist; die Auswahl der Fachzeitschrift: All dies sind Faktoren, die die beiden Nachwuchswissenschaftler beständig unter Druck setzt.

Unseriöse Verlage sind leicht zu erkennen

Ist man da nicht manchmal versucht, seine Arbeit in einem Verlag zu veröffentlichen, der vor wenigen Wochen unter dem Stichwort „Raubverlag“ für viele Schlagzeilen in den Medien gesorgt hat? Die Artikel dort werden kaum oder gar nicht auf wissenschaftliche Relevanz geprüft; gegen eine meist vierstellige Gebühr ist die Veröffentlichung garantiert. „Definitiv nein“, sagen die beiden. Natürlich erhalten auch sie regelmäßig per Mail Aufforderungen, in solchen Zeitschriften zu publizieren. Die seien aber meist leicht als unseriös zu erkennen: „Da ist schon im Anschreiben mein Name falsch geschrieben, und mein Forschungsthema passt ebenfalls nicht“, sagt Arunima. „Dass diese Zeitschriften nicht seriös sind, erkennt man in der Regel auch daran, dass zwischen Einreichen der Arbeit und der Veröffentlichung nur wenige Tage vergehen“, ergänzt Adam. Normalerweise dauere die Überprüfung durch Kollegen aus dem gleichen Fachgebiet Monate.

Laut einem Artikel in der Berliner Zeitung vom 8. August 2018 zählte die internationale Gesellschaft für wissenschaftliche, technische und medizinische Verleger im Jahr 2014 etwa 28.100 englischsprachige Journale – sie veröffentlichten pro Jahr insgesamt 2,5 Millionen Artikel. So viele neue Erkenntnisse, und doch kommt es einem unbedarften Beobachter bisweilen so vor, als würde jede neue Antwort noch viel mehr neue ungelöste Fragen nach sich ziehen. „Natürlich, man erreicht nie das Ende des Wissens“, sagt Adam Whisnant. Und die praktische Bedeutung mancher Forschungsergebnisse werde von den Medien bisweilen überschätzt, ergänzt Arunima Roy. Dennoch sind die beiden davon überzeugt, dass Wissenschaft die Welt besser mache. Und auch deshalb wollen sie auch in Zukunft viel Zeit im Labor verbringen und Antworten suchen auf die Fragen, die sie umtreiben.

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