Zehn Jahre Adolf-Würth-Zentrum
01.10.2019Weltweit gibt es nur zwei Einrichtungen, die sich mit der Geschichte der Psychologie befassen. Eine davon ist das Würzburger Adolf-Würth-Zentrum, das jetzt sein zehnjähriges Bestehen gefeiert hat.
Als es noch keine Schallplatten gab, wurde Musik auf Wachswalzen aufgezeichnet. „Damit begann im Grunde die Musikindustrie“, sagt Psychologieprofessor Armin Stock. Wie solche alten Wachswalzen aussehen, ist im Adolf-Würth-Zentrum (AWZ) für Geschichte der Psychologie der Universität Würzburg zu sehen. Stock leitet das Zentrum, das Ende September 2019 sein zehnjähriges Bestehen mit Fachleuten aus Europa gefeiert hat.
Wie Stock beim Festakt berichtete, gehören die Analyse der Wachswalzenschrift und die Digitalisierung der Wachswalzenbestände zu den Höhepunkten in der zehnjährigen Geschichte der europaweit einzigartigen Einrichtung. Mit selbst gebauten Apparaten kam das Team des AWZ den Geheimnissen der teilweise mehr als 100 Jahre alten Wachswalzen auf die Spur.
Inzwischen sind die Bestände komplett digitalisiert, nach und nach werden sie nun digital restauriert. Danach soll jeder Interessierte das, was mit Hilfe der Walzen einst aufgenommen wurde, über die Internetseiten des Adolf-Würth-Zentrums anhören können. Es handelt sich dabei um Musik und Gesänge aus der ganzen Welt – dafür interessieren sich bis heute die Musikpsychologie und die Ethnologie.
Zufall führte zum Nachlass Karl Marbes
Der Geschichte der Psychologie nachzuspüren, bedeutet oft eine höchst diffizile Arbeit. Dies stellte Stock am Beispiel des Nachlasses von Karl Marbe (1869-1953) dar. Der Vertreter der Denkpsychologie war von 1909 bis zu seiner Emeritierung 1935 Leiter des Würzburger Psychologischen Instituts. Lange Jahre sucht Stock nach Marbes Nachlass. 2013 kam er dann durch Zufall in Kontakt mit einer älteren Dame, in deren Schrank der Nachlass geborgen war.
Stock machte eine bemerkenswerte Entdeckung: Der Nachlass enthielt ein noch unveröffentlichtes Manuskript Marbes mit dem Titel „Zeitgemäße populäre Betrachtungen für die kultivierte Welt“.
In dem Manuskript weist Marbe auf ein Problem hin, das wieder akut werden könnte: „Die Schrift beschäftigt sich mit Massenpsychologie“, so Stock. Marbe zeige darin auf, wie wirkmächtig die Mechanismen der Faszination und Suggestion durch die Führungsclique im Nationalsozialismus waren. Heute sei es möglich, Menschen maschinell zu beeinflussen: „Algorithmen analysieren jegliche Art von Informationen, die wir im Netz hinterlassen, und können uns selektiv manipulieren.“ Ihm liege das Thema „Massenpsychologie“ deshalb sehr am Herzen: „Es ist im Moment noch ein blinder Fleck in unserer Disziplin.“
Beeindruckt von der Würzburger Sammlung
Die Geschichte seines Fachs zu kennen, sei eine elementare Voraussetzung, um das eigene Tun im Heute und Hier zu verstehen. Das betonte Birgit Spinath, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs). Sie sei sehr beeindruckt von der Würzburger Sammlung, die sie anlässlich der Jubiläumsfeier kennen lernen durfte. Wie sehr die Geschichte der Psychologie im Fluss ist, zeigt laut Spinath jüngst die Diskussion im Bundestag über das Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung.
Dank für die seit 2009 im Adolf-Würth-Zentrum geleistete Arbeit zollte auch Würzburgs Universitätspräsident Alfred Forchel. Weltweit, so der Physiker, gebe es nur zwei Einrichtungen zur Geschichte der Psychologie: die in Würzburg und eine in Ohio. Aktuell ist das AWZ eingebunden in ein groß angelegtes Gemeinschaftsprojekt an der Uni Würzburg mit dem Titel „INSIGHT – Signaturen des Blicks – Facetten des Sehens“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Dabei geht es um die ethischen, ästhetischen und historischen Dimensionen des Blicks.
Intensive Suche nach einem Sponsor
Warum die Sammlung nach dem Firmengründer Adolf Würth benannt ist, erklärte beim Festakt der Würzburger Psychologieprofessor Wolfgang Schneider. Ursprünglich, so der ehemalige DGPs-Präsident, war die Sammlung an der Universität Passau etabliert. Werner Traxel hatte sie dort gegründet. Nach seiner Emeritierung wurde ein neuer Standort gesucht.
Die Wahl fiel auf Würzburg, weil es hier das traditionsreichste Psychologische Institut in Bayern gibt. Die Neuansiedlung in Würzburg zu finanzieren, sei jedoch nicht einfach gewesen. Intensiv wurde nach einem Sponsor gesucht. Den fand Armin Stock schließlich: Es war der Unternehmer und Kunstmäzen Reinhold Würth, der Sohn von Adolf Würth.