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Zur Agrar- und Ernährungswende beitragen

27.09.2022

Für die Menschheit wird ein nachhaltigeres Wirtschaften im Agrar- und Ernährungssektor immer wichtiger. Die Geographin Marit Rosol erforscht, wie diese Transformation gelingen könnte.

Professorin Marit Rosol auf dem Würzburger Marktplatz.
Professorin Marit Rosol auf dem Würzburger Marktplatz. (Bild: Daniel Peter)

Wie gut funktioniert unser derzeitiges Ernährungssystem, also die Art und Weise, wie Nahrung erzeugt, verarbeitet und verteilt wird?

„Die Fachwelt ist sich zu dieser Frage schon länger einig: nicht gut. Es muss sich strukturell etwas ändern, und die Zeit drängt. Das derzeit dominante industrielle Agrar- und Ernährungssystem hat den Hunger nicht beseitigt, sichert kaum noch Existenzen und trägt gleichzeitig weltweit wesentlich zur Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen bei, auf welche gerade die Landwirtschaft letztlich angewiesen ist“, sagt Professorin Marit Rosol, die neue Leiterin des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeographie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Eine Agrar- und Ernährungswende sei nötig, auf globaler wie auf regionaler Ebene.

Das Landwirtschafts- und Ernährungssystem ist maßgeblich für viele der menschengemachten Umweltprobleme verantwortlich, vor denen die Welt heute steht: für den Verlust von Biodiversität, Trinkwasser und Bodenfruchtbarkeit, für Pestizideinsatz und Monokulturen; aber auch für chronische Krankheiten, Armut und Landflucht. Auch den Klimawandel befeuert dieses System maßgeblich mit: Es ist für etwa ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich – eine Tatsache, die vielen Menschen nicht bewusst ist.

Treiber und Opfer des Klimawandels

Die Landwirtschaft ist aber nicht nur Treiber, sondern auch Opfer der menschengemachten Probleme. Hitze und Dürre – wie auch Unterfranken sie diesen Sommer wieder erlebt hat – sowie andere Extremwettereignisse schmälern die Erträge oder lassen sie ganz ausfallen. Auch ökonomisch funktioniert das System nicht gut. Der Handel zahlt den Betrieben so wenig Geld für ihre Produkte, dass sie möglichst billig und „auf Masse“ produzieren müssen, zu Lasten von Menschen und Natur. Die Existenz vieler Betriebe ist ständig bedroht.

Das alles ist lange bekannt, und trotzdem ändert sich nichts. Warum ist dieses System so sehr in sich gefangen? Dafür interessiert sich Marit Rosol. Sie fragt nach den ökonomischen Strukturen, die im Agrar- und Ernährungssektor für Stillstand sorgen. Und sie analysiert, ob und wie alternative Wirtschaftsansätze für Besserung sorgen können. Denn gerade im Agrar- und Ernährungsbereich gibt es eine Vielzahl von Ansätzen und Initiativen, die neue Wege gehen und auch ein anderes Wirtschaften praktizieren.

Solidarische Landwirtschaft kann funktionieren

Ein solcher alternativer Ansatz ist die solidarische Landwirtschaft. Dabei schließen sich Verbraucherinnen und Verbraucher mit Agrarbetrieben zusammen. Die Beteiligten teilen sich die Kosten für den Anbau sowie den Ertrag und nehmen auf diese Weise das unternehmerische Risiko gemeinsam auf sich. „Dieses Modell boomt zurzeit“, sagt Marit Rosol. Für einige Betriebe könne die solidarische Landwirtschaft durchaus lohnend sein.

Wie derartige Ansätze funktionieren, erforscht die Wissenschaftlerin auch im regionalen Vergleich. Entwicklungen in unterschiedlichen geographischen Räumen im Blick zu behalten, ist ihr wichtig. So erforschte sie bisher unter anderem alternative Wirtschaftsmodelle in Kanada und Deutschland.

Zukünftig möchte sie auch Fallstudien in Italien und Spanien durchführen sowie natürlich in der eigenen Region, in Unterfranken. Ein besonderes Augenmerk legt sie außerdem darauf, welche Rolle die Digitalisierung bei der Vermarktung und dem Vertrieb in alternativen Nahrungsnetzwerken spielt.

Aktivierende Elemente in der Lehre

Den Studierenden wird Marit Rosol Lehrveranstaltungen anbieten, die nah an ihrer Forschung und problemorientiert sind. Sie plant zum Beispiel ein Seminar „Geographien der Ernährung“ zu aktuellen Fragestellungen, welches auch Eintagesexkursionen zu Erzeuger- und Handelsbetrieben in der Region anbieten soll. In ihren Seminaren ist es Marit Rosol wichtig, dass die Studierenden eigene Ideen und Forschungsfragen zu wirtschaftsgeographischen Themen entwickeln können, denn: „Ich bin davon überzeugt, dass Neugier die wichtigste Motivation zum Lernen ist“.

In ihre Vorlesungen baut die Professorin gern aktivierende Elemente ein, zum Beispiel Quiz- und Feedbackfragen, gegenseitige Interviews und Murmelrunden. In letzteren können die Studierenden kurz in kleinen Gruppen miteinander besprechen, was sie verstanden und welche Fragen sie vielleicht noch haben. Ein weiterer wichtiger Punkt in ihrer Lehre: Marit Rosol möchte die Bedeutung des richtigen Recherchierens vermitteln – die Studierenden sollen lernen, aus der weltweiten Informationsflut seriöse Quellen und Informationen zu filtern.

Werdegang der Professorin

Schon frühzeitig interessierte sich Marit Rosol für Umweltfragen. Um wichtige Weichenstellungen für oder gegen Umweltaspekte in unserem Alltag besser zu verstehen, entschied sie sich nach dem Abitur für den interdisziplinären Studiengang Stadt- und Regionalplanung. An der Technischen Universität Berlin machte sie 2001 darin ihren Abschluss als Diplom-Ingenieurin. Es folgte die Promotion in Geographie, als Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Stadtökologie“ an der Berliner Humboldt-Universität. Anschließend war Marit Rosol zehn Jahre an der Goethe-Universität Frankfurt tätig, wo sie sich 2012, ebenfalls in Geographie, habilitierte.

2016 nahm sie einen Ruf als Associate Professor für Geographie an der Universität Calgary in Kanada an und wurde dort 2021 zur Full Professor befördert. Verbunden war diese Position mit der erfolgreichen Bewerbung auf einen Canada Research Chair (CRC). CRCs sind sehr renommierte Forschungs-Professuren, die in einem aufwändigen Begutachtungsprozess vergeben und durch den kanadischen Staat gefördert werden. 2021 konnte Marit Rosol die Laufzeit ihres CRC erfolgreich verlängern. Ebenso wie die Beförderung zur Full Professor spricht das für die hohe internationale Anerkennung ihrer Arbeit.

Ihre Forschungstätigkeit über nachhaltiges und alternatives Wirtschaften im Ernährungsbereich führte sie im Lauf ihrer Karriere unter anderem an die kalifornischen Universitäten UC Berkeley und UC Santa Cruz sowie in Kanada an die University of Toronto und die Concordia University in Montreal.

Dem Ruf auf den JMU-Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie folgte sie zum 1. Juli 2022. „Die Ausschreibung hat mich durch ihre Verbindung von Wirtschaftsgeographie mit Nachhaltigkeitsforschung und Transformationsprozessen stark angesprochen“, sagt sie.

Für die Rückkehr nach Deutschland gab es noch weitere Gründe. Unter anderem hat Marit Rosol die Hoffnung, dass man hier die Herausforderungen des Klimawandels ernster nimmt als in der kanadischen Provinz Alberta, die weiterhin sehr abhängig von der Förderung und dem Export fossiler Energieträger ist. „Allerdings“, so ergänzt sie, „besteht hinsichtlich der Anpassung an den Klimawandel auch in Würzburg noch einiger Handlungsbedarf, wie ich in den vergangenen Wochen feststellen konnte“.

Als Senior Fellow nach Freiburg

Bevor die neue Lehrstuhlinhaberin an der JMU durchstartet, forscht sie von September bis Dezember 2022 als Senior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS), gefördert durch das FRIAS und die Europäische Union. Dort interessiert sie sich unter anderem für die Regionalwert AG. Das ist eine durch Bürgerinnen und Bürgern getragene Aktiengesellschaft, welche Geld akquiriert und in die nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft investiert. In Freiburg wurde die erste AG dieser Art in Deutschland gegründet.

„Ich freue mich schon sehr darauf, ab Januar 2023 in Würzburg mit einem starken Team die lange Liste drängender Fragen zur sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, und dabei insbesondere Fragen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft anzugehen. Die Herausforderungen sind komplex, doch es gibt Lösungsansätze. Nicht nur die Probleme, sondern auch diese innovativen Ansätze besser zu verstehen und bekannter zu machen, dazu möchten wir gern einen Beitrag leisten“, so die Professorin.

Kontakt

Prof. Dr. Marit Rosol, Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie, Universität Würzburg, marit.rosol@uni-wuerzburg.de

Webseite Prof. Rosol

Zum Weiterlesen

ROSOL, Marit / ROSOL, Christoph (2021): Welt im Fieber. Zur Notwendigkeit einer globalen Agrar- und Ernährungswende in Zeiten des Anthropozäns. In: AgrarBündnis e.V. (Ed.): Der Kritische Agrarbericht. Hamm: ABL-Verlag, 8–12. (Open access)

https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2021/KAB_2021_8_12_Rosol.pdf

ROSOL, Marit / BARBOSA, JR., Ricardo (2021): Moving beyond direct marketing with new mediated models: evolution of or departure from alternative food networks? In: Agriculture and Human Values 38(4): 1021-1039.

https://doi.org/10.1007/s10460-021-10210-4

ROSOL, Marit (2020): On the Significance of Alternative Economic Practices – Reconceptualizing Alterity in Alternative Food Networks. In: Economic Geography 96(1): 52–76

https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00130095.2019.1701430

Von Robert Emmerich

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