Ausbau der Altorientalistik
15.11.2021Elisa Roßberger und Martin Gruber wurden auf zwei neu geschaffene Juniorprofessuren am Lehrstuhl für Altorientalistik berufen. Beide forschen und lehren im Fach Vorderasiatische Archäologie.
Forschung und Lehre in den Altertumswissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) werden nachhaltig gestärkt: Der Lehrstuhl für Altorientalistik hat im Rahmen seiner strategischen Weiterentwicklung Mittel für zwei neue Stellen eingeworben, die beide seit Herbst 2021 besetzt sind.
Dr. Elisa Roßberger wurde auf eine Juniorprofessur für Digital Humanities für Vorderasiatische Archäologie und Altorientalistik berufen, Dr. Martin Gruber auf eine Juniorprofessur für Vorderasiatische Archäologie. Beide erforschen die Zeugnisse alter Kulturen in einem Gebiet, das von der heutigen Westtürkei bis nach Afghanistan und vom Kaukasus bis auf die Arabische Halbinsel reicht. Diese Kulturen haben – von den prähistorischen Epochen bis in die Spätantike – die Menschheitsgeschichte in vieler Hinsicht geprägt.
Digital Humanities für Vorderasiatische Archäologie und Altorientalistik
Elisa Roßberger ist im Chiemgau aufgewachsen. Sie hat Vorderasiatische Archäologie, Politikwissenschaft und Altorientalistik an der LMU München, in Beirut und in Tübingen studiert. Schon früh im Studium konnte sie an Grabungen in Jordanien und Syrien teilnehmen – ab da war sie vom Alten Orient und seinen Keilschriftkulturen fasziniert.
Als Doktorandin pendelte sie zwischen Tübingen und München: An der LMU war sie Stipendiatin im Graduiertenkolleg „Formen von Prestige im Altertum“, über die Universität Tübingen war sie in ein Grabungsprojekt im syrischen Qatna eingebunden. 2010 schloss sie die Dissertation in Tübingen ab.
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Postdoc lehrte und forschte Elisa Roßberger an der Universität Freiburg und an der LMU. Dort leitete sie zuletzt ein Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm eHeritage zur digitalen Erschließung kulturellen Erbes gefördert wird.
Das BMBF-Projekt führt sie in Würzburg weiter. Es geht darin um vorderasiatische Rollsiegel – kleine zylinderförmige Steinwalzen, die Menschen im Alten Orient auf Tontafeln, Tür- und Gefäßverschlüssen abrollten. Auf diese Weise wurden zum Beispiel Haus- oder Grundstücksverkäufe besiegelt. „Nicht nur Beamte und Institutionen hatten damals Siegel, sondern auch sehr viele Privatpersonen“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Elisa Roßberger will rund 25.000 Siegel und ihre Abrollungen auf Ton – bestehend aus Bildern und Keilschriftinschriften – mit digitalen Methoden erschließen. Dazu werden zweidimensionale Scans und Zeichnungen mit Spezialsoftware und Methoden des Maschinellen Lernens bearbeitet: Per Computer sollen Bilder und Textelemente in den Scans automatisch erkannt und mit Auszeichnungen zu ihren Inhalten (Annotationen) versehen werden. Dieses Vorgehen spart viel Zeit, aber ohne manuelle Kontrolle durch Spezialistinnen und Spezialisten geht es nicht.
Ein Ziel dieser Arbeit ist es, Interaktions-Netzwerke zwischen Menschen, Bildern und Dingen aufzuspüren: Welche Menschen benutzten welche Siegelmotive, wie waren sie untereinander verbunden? Am Ende des Projekts, im Herbst 2023, soll eine öffentlich zugängliche Online-Plattform stehen, die der Fachcommunity und der interessierten Öffentlichkeit vielfältige Möglichkeiten zur Erkundung antiker Quellen bietet und als Basis für weitere interdisziplinäre Forschungen dient.
Den Studierenden bringt Elisa Roßberger bei, wie sich Objekte, Bilder und Fundkontexte der vorderasiatischen Archäologie digital erschließen, verknüpfen und vermitteln lassen. Die Wissensvermittlung in die Öffentlichkeit ist ihr wichtig: Sie plant beispielsweise Seminare über digitales Storytelling und möchte mit den Studierenden virtuelle Ausstellungen realisieren.
Weblink: Juniorprofessorin Elisa Roßberger
Vorderasiatische Archäologie
Martin Gruber hat Vorderasiatische Archäologie, Assyriologie sowie Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie an der LMU München studiert. Dort war der gebürtige Südtiroler auch Stipendiat im Graduiertenkolleg „Formen von Prestige in Kulturen des Altertums“. Promoviert wurde er 2016.
Im Lauf seiner Karriere sammelte er bei vielen Grabungen in verschiedenen Ländern einen reichen Erfahrungsschatz. Mit einem Fortbildungsstipendium des Deutschen Archäologischen Instituts Istanbul beteiligte er sich nach seiner Promotion an den langjährigen Forschungen in der Hethiter-Hauptstadt Hattuscha (Türkei) und war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Grabungsprojekten im Kaukasus und Irak.
Die Feldforschungen in Hattuscha wird er an der JMU weiterführen. Ab Sommer 2022 übernimmt er eine Teilgrabung an einem der westlichen Stadttore. „Geophysikalische Messungen haben gezeigt, dass dort Überreste von Gebäuden vorhanden sein müssen“, sagt der Forscher. Als Grenze zwischen Stadt und Umgebung sei das Umfeld von Stadttoren archäologisch besonders interessant.
Mindestens sechs Jahre lang soll das Grabungsprojekt in Hattuscha laufen. Es bietet kommenden Studierendengenerationen ein Betätigungsfeld für archäologische Praktika und Abschlussarbeiten. Das gilt natürlich auch für die Projekte von Elisa Roßberger: „Wir wollen an der JMU neue Bachelor- und Masterstudiengänge für Vorderasiatische Archäologie mit einer starken digitalen Komponente aufbauen“, kündigen sie an. Die ersten Studierenden können sich voraussichtlich zum Wintersemester 2022/23 einschreiben.
Ein weiteres Projekt von Martin Gruber ist im Kaukasus angesiedelt. Mit Förderung durch die Gerda-Henkel-Stiftung erforscht er seit 2020 in Aserbaidschan die Überreste einer fast vergessenen Kultur, die rund 3000 Jahre alt ist. Entdeckt wurde sie bereits im 19. Jahrhundert, als im Zuge von dort begonnenen Bergbauarbeiten des Unternehmens Siemens auch erste archäologische Untersuchungen durchgeführt wurden. Man legte zahlreiche Gräber frei und fand unter anderem reiche Bronzebeigaben und Keramikgefäße, mitunter auch große Grabhügel mit Wagen- und Pferdebestattungen.
„Bis heute ist wenig über diese Kultur bekannt“, so Martin Gruber. Viele Funde liegen in aserbaidschanischen Archiven und Museen, sind aber oft nicht wissenschaftlich bearbeitet. Sein nunmehr auch an der JMU angesiedeltes Projekt startet darum mit Recherchen in Museen. Später sollen Feldforschungen dazukommen.
Weblink: Juniorprofessor Martin Gruber
Tenure-Track-Stellen mit Förderung
In beiden Fällen handelt es sich um Tenure-Track-Professuren. Sie werden zunächst befristet besetzt, sind aber von Beginn an mit einer festen Zusage verbunden: Nach einer Bewährungsphase (zwei mal drei Jahre, mit Zwischenbegutachtung) erfolgt ein direkter Übergang auf Lebenszeitprofessuren an der JMU.
Die Volkswagen Stiftung (Hannover) fördert die beiden Juniorprofessuren in den kommenden sechs Jahren mit einer Million Euro. In der Zeit danach finanziert die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz eine der beiden Stellen zur Hälfte. Weitere finanzielle Förderung stammt aus dem Tenure-Track-Programm des Bundesforschungsministeriums.
Deutliche Stärkung der Altorientalistik
Warum die beiden Juniorprofessuren die Würzburger Altertumswissenschaften stärken? Professor Daniel Schwemer, Leiter des JMU-Lehrstuhls für Altorientalistik, erklärt es.
Punkt 1: Bislang hatte die Würzburger Altorientalistik eine philologische Ausrichtung. Die wichtige archäologische Schwesterdisziplin dagegen war nicht angemessen vertreten. Mit den neuen Juniorprofessuren ändert sich das. Davon profitieren sowohl die Studierenden als auch die anderen archäologischen Fächer der JMU (Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Klassische Archäologie, Ägyptologie). Ihnen und vielen anderen Fächern, etwa den Geowissenschaften, bieten sich hier neue Kooperationsmöglichkeiten.
Punkt 2: Die Forschung der JMU-Altorientalistik hat starke digitale Komponenten. Hier werden unter anderem Texte digital ediert und innovative Methoden der computergestützten 3D-Texterkennung entwickelt. „Hierfür Fachleute zu finden, ist bislang schwierig“, sagt Professor Schwemer. Denn die Verknüpfung von Informatik, Philologie und Archäologie kommt in den klassischen Studiengängen für Altorientalistik bislang kaum vor. Und die Studiengänge für Digital Humanities bereiten ihre Absolventinnen und Absolventen in der Regel nicht auf die Herausforderungen vor, die sich etwa beim Umgang mit Keilschrifttexten oder Siegelabrollungen auf Tontafeln stellen. Dem soll die Juniorprofessur für Digital Humanities für Vorderasiatische Archäologie und Altorientalistik abhelfen.