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Corona: Auf der Suche nach der Schwachstelle

20.04.2020

Die Würzburger Strukturbiologin Dr. Andrea Thorn leitet ein internationales Netzwerk zur Erforschung des Coronavirus. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind wesentlich für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten.

Die Hauptprotease (grün) ist ein wichtiges Molekül, das dem Virus bei der Vermehrung hilft. Mit einem geeigneten Medikament (hier in rot als Stabmodell) könnte das Molekül in seiner Funktion gehemmt werden.
Die Hauptprotease (grün) ist ein wichtiges Molekül, das dem Virus bei der Vermehrung hilft. Mit einem geeigneten Medikament (hier in rot als Stabmodell) könnte das Molekül in seiner Funktion gehemmt werden. (Bild: Thomas Splettstoesser / www.scistyle.com)

Das Coronavirus – genau gesagt: SARS-CoV-2 – hält die Welt in Atem. Wie schafft es das Virus, an seine Wirtszelle im Körper des Menschen anzudocken? Auf welche Weise gelangt es in das Zellinnere? Wie nutzt es die Zellstrukturen für seine Vermehrung? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Hochdruck. Sie hoffen unter anderem, die entscheidende Stelle zu entdecken, an der sich der Vermehrungszyklus von SARS-CoV-2 mit einem neuen Wirkstoff blockieren lässt. Zwar ist vieles über diesen Prozess schon heute bekannt, doch im Detail mangelt es an vielen Stellen noch an Wissen.

Die fehlenden Details zu liefern: Diese Aufgabe hat sich Dr. Andrea Thorn gestellt. Gemeinsam mit ihrem Team leitet sie die „Coronavirus Structural Task Force“ – ein internationales Netzwerk von Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Strukturbiologie. Ihr Ziel ist es, das bisher bekannte Wissen über die Molekülstrukturen des Coronavirus zu validieren und die noch offenen Lücken zu schließen oder – wie sie sagt: „Alles rausholen, was geht“.

Frau Dr. Thorn, wie groß sind denn die Lücken im Wissen über das jetzt grassierende Coronavirus? „Da gibt es leider noch viele ungeklärte Details. Auf atomarer Ebene ist längst nicht alles bekannt. Zwar wissen wir beispielsweise, dass das Virus-Erbgut 28 Proteine kodiert, die unterschiedliche Aufgaben beim Befall der Wirtszelle übernehmen. Sie unterdrücken etwa das Immunsystem oder programmieren die Zelle so, dass sie die Viren vermehrt. Von diesen 28 Proteinen kennt man aber nur von ungefähr der Hälfte die Strukturen - dabei sind die molekularen Strukturen potenzielle Angriffspunkte für Medikamente. Darüber hinaus interagiert das Virus mit rund weiteren 150 Proteinen der Wirtszelle. Darüber ist ebenfalls noch sehr wenig bekannt.“

Die Kunst, aus Daten ein exaktes Bild zu erzeugen

Strukturbiologen arbeiten – wie der Name bereits sagt – daran, die exakte Struktur großer biologischer Moleküle, wie beispielsweise von Proteinen, auf atomarer Ebene zu entschlüsseln und darzustellen. Die Synchrotron-Messungen, mit denen sie arbeiten, produzieren keine Bilder im landläufigen Sinne. Sie liefern stattdessen gewaltige Mengen an Daten. Die Kunst der Strukturbiologen besteht darin, aus diesen Daten dreidimensionale Modelle der Moleküle zu gewinnen. Anhand dieser Strukturen können beispielsweise Bioinformatiker gezielt nach Wirkstoffen suchen, die an die jeweiligen Moleküle andocken und diese blockieren. So können sie am Rechner in kurzer Zeit Tausende von Substanzen auf ihre mögliche Eignung untersuchen. Außerdem lassen diese Strukturen genaue Rückschlüsse auf die Funktion der Proteine, zum Beispiel bei der Infektion von Wirtszellen zu.

Forschung an SARS zu früh eingestellt

Parallel mit der Ausbreitung des neuen Coronavirus nimmt die Forschungsaktivität auf diesem Gebiet zu. Wöchentlich erhalten Andrea Thorn und ihr Team Informationen über neue Strukturen, die sie am Computer bearbeiten. Gleichzeitig durchforsten sie bereits vorhandene Daten, kontrollieren deren Validität oder verbessern bestehende Strukturlösungen. Denn Coronaviren – und speziell das SARS-Virus – sind keine neuen Entdeckungen. Bereits 2002/2003 hatte ein SARS-Virus eine Pandemie ausgelöst, an der weltweit fast 800 Menschen gestorben sind. Nachdem die Zahl der Neuinfizierten im Sommer 2003 stark zurückging, erklärte die WHO am 19. Mai 2004 die Pandemie für beendet.

Frau Dr. Thorn, das Coronavirus, mit dem wir es heute zu tun haben, ist nicht gänzlich unbekannt. Hilft Ihnen das bei Ihrer Arbeit? „Tatsächlich sind sich die beiden SARS-Coronaviren in ihrem Erbgut und ihren Molekülstrukturen sehr ähnlich. Dass die Krankheitsverläufe und das Ausbreitungsverhalten so stark voneinander abweichen, ist aber durch die Unterschiede bedingt. Wir arbeiten deshalb mit Hochdruck daran, diese Unterschiede auch strukturell zu identifizieren. Leider hat man mit dem Ende der Pandemie vor 15 Jahren die Forschung an SARS-Viren wieder zurückgefahren. Hätte man die Forschung kontinuierlich fortgeführt, gäbe es möglicherweise heute ein wirksames Medikament.“

Suche nach einem geeigneten Medikament

An solch einem Medikament will Andrea Thorn in nächster Zeit forschen. Einen entsprechenden Antrag hat sie bereits gemeinsam mit Kollegen aus Lübeck und Berlin beim Bundesministerium für Bildung und Forschung eingereicht. Im Blickpunkt des Teams steht eine spezielle Protease – ein Enzym aus der Wirtszelle des Coronavirus, das dem Virus bei der Vermehrung hilft. Mithilfe eines Arzneimittel-Screenings hoffen die Wissenschaftler einen Stoff zu identifizieren, der diese Protease hemmt. Dann könnte das Virus keine weiteren Kopien seiner selbst mehr herstellen.

Wie lange SARS-CoV-2 noch die Welt in Atem hält, vermag auch Andrea Thorn nicht abzuschätzen. Von der Zukunft nach der Coronakrise hat sich aus Sicht der Wissenschaft allerdings sehr genaue Vorstellungen: „Wir haben bereits in den wenigen Wochen, die die Task Force jetzt existiert, gesehen, dass die verschiedenen Arbeitsgruppen eng zusammengerückt sind. Strukturbiologen und Modellentwickler haben eine neue Wissensbasis geschaffen und ihre Methoden verbessert. Diese Erfahrungen sind auf zukünftige Projekte übertragbar.“

Zur Person

Andrea Thorn hat an der Universität Erlangen Molecular Science studiert und anschließend an der Universität Göttingen promoviert. Weitere Stationen ihrer akademischen Laufbahn waren Cambridge, Oxford und die Universität Hamburg. Seit 2019 ist sie assoziierte Gruppenleiterin am Rudolf-Virchow-Zentrum der Universität Würzburg als Teil der Forschungsgruppe von Professor Hermann Schindelin. Ihre Gruppe entwickelt Methoden und Software, um Strukturen aus experimentellen Daten zu lösen.

Die Coronavirus Structural Task Force hat Andrea Thorn ins Leben gerufen, kurz nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO die Ausbreitung des neuen Coronavirus zur Pandemie erklärt hatte. Mit dem gebündelten Wissen und den Fähigkeiten der Strukturbiologie will sie dazu beitragen, dem Virus Einhalt zu gebieten.

Kontakt

Dr. Andrea Thorn, T: +49 931 31-83677, andrea.thorn@virchow.uni-wuerzburg.de

Andrea Thorns Homepage

Die Task Force-Homepage

Von Gunnar Bartsch

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