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Der Faktor Mensch

04.10.2023

Wie es dem Coronavirus bei einer Infektion gelingt, sich zu vermehren, ist bislang noch nicht voll verstanden. Forschende vom Helmholtz-Institut Würzburg haben dazu jetzt überraschende Erkenntnisse veröffentlicht.

Ein Team um Forschungsgruppenleiter Mathias Munschauer am Würzburger Helmholtz-Institut hat das Zusammenspiel verschiedener SARS-CoV-2-RNAs mit Proteinen der menschlichen Wirtszelle untersucht.
Ein Team um Forschungsgruppenleiter Mathias Munschauer am Würzburger Helmholtz-Institut hat das Zusammenspiel verschiedener SARS-CoV-2-RNAs mit Proteinen der menschlichen Wirtszelle untersucht. (Bild: HIRI / Lucky Panda Studios)

SARS-CoV-2, das Virus, das für die Infektionskrankheit Covid-19 mit weltweit bislang fast sieben Millionen Todesfällen verantwortlich ist, hat ein charakteristisches genetisches Profil, das vollständig aus Ribonukleinsäure (RNA) besteht. Diese RNA enthält den Bauplan für die Herstellung neuer Viruskopien. Wenn SARS-CoV-2 eine Zelle infiziert, übernimmt es gewissermaßen den Maschinenraum dieser Wirtszelle, um sich selbst zu kopieren und so zu vermehren. Dabei werden verschiedene Arten von viraler RNA erzeugt, die jeweils eine spezifische Rolle im Replikationszyklus des Virus spielen.

In einer soeben im Fachmagazin „Cell“ veröffentlichten Studie des Würzburger Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, hat ein Team um Forschungsgruppenleiter Mathias Munschauer das Zusammenspiel verschiedener SARS-CoV-2-RNAs mit Proteinen der menschlichen Wirtszelle untersucht.

RNA mit negativer Polarität

„Es ist mittlerweile viel über die Funktionen der SARS-CoV-2-Proteine bekannt. Wir wissen jedoch noch zu wenig darüber, wie die Proteine der infizierten menschlichen Zelle die Fähigkeit des Virus beeinflussen, sich zu vermehren“, erläutert Munschauer den Hintergrund der aktuellen Studie, deren leitender Autor er ist.

Nora Schmidt ist Postdoc im Labor von Mathias Munschauer und gehört zu den Erstautorinnen beziehungsweise -autoren. „Wir haben entdeckt, dass ein Wirtsprotein namens SND1 einen spezifischen RNA-Typ erkennt, nämlich RNA mit negativer Polarität", sagt sie und ergänzt: „Negativ orientierte RNA dient als Vorlage für die Produktion und Vervielfältigung von neuer viraler RNA, ohne selbst in neue Proteine übersetzt zu werden.”

Update für die Corona-Lehrbücher

Es zeigte sich, dass SND1 im Vermehrungsprozess von SARS-CoV-2 eine entscheidende Rolle spielt: Einerseits erkennt es den Anfang der negativ orientierten RNA-Vorlage, die zur Virusreplikation benötigt wird. Andererseits interagiert dieses menschliche Protein auch mit einem viralen Protein namens NSP9.

Ebenfalls im Erstautorenteam ist Yuanjie Wei. „Unsere Forschung hat einen wesentlichen Mechanismus enthüllt“, freut sich die Doktorandin. „Stimuliert durch den menschlichen Faktor SND1, beginnt das Virus seine Replikation, wobei es sein eigenes Protein NSP9 als sogenannten Primer nutzt.“ Das bedeutet, dass NSP9 als erster Baustein eines wachsenden neuen RNA-Strangs fungiert.

Mit SND1 beschreibt das Forschungsteam erstmals ein Wirtsprotein, das negativ orientierte RNA erkennt. Erstmals konnte es außerdem zeigen, dass die Bindung eines menschlichen Proteins an SARS-CoV-2-RNA und seine Interaktion mit NSP9 das Startsignal für die Virusreplikation setzt. Fehlt der Wirtsfaktor SND1, so ist dieser Startschuss beeinträchtigt und die Produktion viraler RNA weniger effizient.

Überraschende Erkenntnisse

Diese Erkenntnisse seien überraschend und Anlass zu einem Update der Lehrbücher, so das Team, zu dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterer Forschungseinrichtungen in Deutschland und den USA zählten, darunter das Forschungsnetzwerk FOR-COVID und das Broad Institute von MIT und Harvard in Boston. Neben der Grundlagenforschung könnte die Medizin in Zukunft von neuen therapeutischen Angriffsmöglichkeiten profitieren. Zudem gibt es erste Hinweise darauf, dass seltene Varianten im SND1-Gen mit schweren COVID-19-Infektionen und Krankenhausaufenthalten in Verbindung stehen könnten.

Weitere Forschung ist hier nötig, ebenso zur Funktion von SND1 und NSP9 in anderen Coronaviren oder zum Beispiel zur Frage, ob das menschliche Protein SND1 auch bei der Vermehrung anderer respiratorischer RNA-Viren wie Influenza oder RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) eine Rolle spielt. Darüber hinaus müssen künftige Studien die genauen molekularen Eigenschaften aufklären, die die Bindung von SND1 an negativ orientierte RNA von SARS-CoV-2 oder anderen Coronaviren steuern.

Auf einen Blick

• Das virale Protein NSP9 startet als Primer die RNA-Synthese des Coronavirus SARS-CoV-2 in menschlichen Zellen – ein grundlegender Mechanismus, der bisher noch nicht bekannt war.

• Das Wirtsprotein SND1 stimuliert dieses Priming durch seine direkte Interaktion mit negativ orientierter viraler RNA und dem viralen Protein NSP9.

• SND1 ist für die Produktion neuer viraler RNA zu Beginn der Infektion erforderlich.

Originalpublikation

Schmidt N, Ganskih S, Wei Y, Gabel A, Zielinski S, (…) Munschauer M: SND1 binds SARS-CoV-2 negative-sense RNA and promotes viral RNA synthesis through NSP9, Cell, 3.10.2023, DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2023.09.002 

Video

Ein Begleitvideo zu dieser Medieninformation finden Sie auf YouTube

Von Britta Grigull / HIRI

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