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Ein molekularer Lautstärkeregler

08.08.2017

Vor gut zwei Jahren haben Wissenschaftler der Uni Würzburg entdeckt, dass eine bestimmte Klasse von Rezeptoren mechanische Reize wahrnehmen kann. Jetzt haben sie begonnen, die molekularen Mechanismen zu entschlüsseln.

Das larvale Drosophila Chordotonalorgan, aufgenommen mit dem Rasterelektronenmikroskop. In dieser sensorischen Funktionseinheit wird die Verarbeitung von mechanischen Reizen durch den Latrophilin-Rezeptor moduliert. Maßstab: 10 µm. (Foto: Scholz et al.,
Das larvale Drosophila Chordotonalorgan, aufgenommen mit dem Rasterelektronenmikroskop. In dieser sensorischen Funktionseinheit wird die Verarbeitung von mechanischen Reizen durch den Latrophilin-Rezeptor moduliert. Maßstab: 10 µm. (Foto: Scholz et al., 2017)

Er funktioniert ein wenig wie der Lautstärkeregler an der Stereoanlage. Er verstärkt das Signal, das von außen kommt, oder schwächt es ab: Der Rezeptor, den Wissenschaftler der Universitäten Würzburg und Leipzig in den vergangenen Jahren unter die Lupe genommen haben. Sein Name: Latrophilin/CIRL.

Vor etwas mehr als zwei Jahren hatten die Forscher zur großen Überraschung der Wissenschaft nachgewiesen, dass bestimmte Rezeptoren, zu denen auch Latrophilin gehört, auf mechanische Reize aus der Umwelt reagieren, etwa auf Vibrationen, Schallwellen oder auf eine Dehnung. Damit tragen sie beispielsweise dazu bei, dass Lebewesen hören, Bewegungen wahrnehmen und die eigenen Bewegungen steuern können.

Wie Informationen in die Zelle gelangen

Wie dieser Beitrag jedoch genau aussieht, sprich: auf molekularer Ebene abläuft, war zu dem Zeitpunkt noch unklar. Inzwischen haben die Forscher wichtige Details hierzu aufklären können. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift eLife stellen sie ihre Ergebnisse vor. Gleichberechtigte Hauptautoren der Studie sind Dr. Robert Kittel, Arbeitsgruppenleiter am Physiologischen Institut/Schwerpunkt Neurophysiologie der Universität Würzburg, und Professor Tobias Langenhan, der vor kurzem von Würzburg an die Universität Leipzig gewechselt ist.

„Damit Zellen Informationen von außen wahrnehmen und darauf reagieren können, müssen diese Informationen irgendwie ins Zellinnere gelangen“, erklärt Robert Kittel die Basis dieser Studie. Das kann zum einen über Ionenkanäle geschehen, in denen ein mechanischer Reiz in eine elektrische Antwort mündet, die sehr direkt und schnell abläuft.

Anders im Fall des Latophilin-Rezeptors: „Er bildet keinen Kanal und leitet den Reiz nicht elektrisch weiter“, sagt Kittel. Stattdessen aktiviert er intrazelluläre Botenstoffe und setzt damit spezielle Signalkaskaden im Zellinneren in Gang, die am Ende allerdings auch Einfluss auf die Ionenkanäle nehmen. Damit wirke er modulatorisch – wie eine Art Lautstärkeregler – auf den Prozess der Reizwahrnehmung ein, so Kittel.

Zusammenarbeit zahlreicher Spezialisten

Die jetzt veröffentlichte Studie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Spezialisten aus den unterschiedlichsten Bereichen an der Universität Würzburg – ein Aspekt, den Robert Kittel persönlich besonders schätzt.

An erster Stelle steht dabei der Pflanzenphysiologe Professor Georg Nagel. Er gehört zu den Entdeckern einer trickreichen Technik, die unter dem Stichwort „Optogenetik“ bekannt wurde. Das Prinzip dahinter: Nagel charakterisiert Ionenkanäle und Enzyme, die mit Licht gesteuert werden können. Weil Robert Kittel und Tobias Langenhan ihre Experimente an den Larven der Taufliege Drosophila durchführen, die so gut wie durchsichtig sind, konnten sie mit simplen Lichtblitzen die Arbeitsweise der Rezeptoren erforschen.

Zweiter Experte im Bunde war Professor Markus Sauer, Inhaber des Lehrstuhls für Biotechnologie und Biophysik am Biozentrum der Universität Würzburg. Gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe hat Sauer spezielle Formen hochauflösender Fluoreszenzmikroskopie entwickelt. Diese „Super Resolution“-Mikroskopie macht es möglich, zelluläre Strukturen und Moleküle mit bis zu zehnfach verbesserter Auflösung im Vergleich zur sonst üblichen Lichtmikroskopie abzubilden. „Durch die Anwendung von Super-Resolution-Mikroskopie konnten wir genau sehen, an welcher Stelle der Zellmembran sich der Rezeptor befindet“, sagt Robert Kittel.

Ebenfalls auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren sind Dr. Isabella Maiellaro und Professor Esther Asan Spezialistinnen. In Zusammenarbeit mit Isabella Maiellaro, vom Lehrstuhl für Pharmakologie, konnten die Forscher das intrazelluläre Rezeptorsignal direkt visualisieren. Und Esther Asan, Professorin am Lehrstuhl für Anatomie und Zellbiologie II der Würzburger Uni, hat mit ihrer Expertise auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie zum Erfolg der Studie beigetragen.

Unterstützt wurde das Projekt auch durch die langjährige Erfahrung von Matthias Pawlak, Professor am Physiologischen Institut der Uni Würzburg, im Bereich sensorischer Physiologie und Dr. Simone Prömel, Pharmakologin an der Universität Leipzig. Für Robert Kittel sind diese Kooperationen ein gutes Beispiel dafür, wie moderne biotechnologische Ansätze dabei helfen, physiologische Fragestellungen zu bearbeiten.

Eine Molekülfamilie mit großer Bedeutung

Latrophilin/CIRL gehört zu einer bestimmten Molekülfamilie, die mehr als 30 Mitglieder beim Menschen hat: den sogenannten Adhäsions-GPCRs – einer Untergruppe der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs). Diese werden zu Hunderten im menschlichen Erbgut kodiert; für ihre Bedeutung spricht unter anderem die Tatsache, dass rund die Hälfte aller verschreibungspflichtigen Medikamente auf diese Rezeptoren wirken – und so bei der Behandlung weitverbreiteter Krankheiten helfen, wie beispielsweise Bluthochdruck, Asthma oder Morbus Parkinson.

Dementsprechend wichtig sind die Forschungsergebnisse der Würzburger und Leipziger Wissenschaftler. Schließlich sei das Wissen über die Vorgänge in den Zellen Voraussetzung für ein besseres Verständnis krankhafter Prozesse und die Entwicklung neuer Therapien. „Die zellbiologischen Prozesse sind evolutionär gut konserviert“, sagt Robert Kittel. Ähnliche Mechanismen laufen auch in menschlichen Zellen ab.

Unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, wird das Signalverhalten von Adhäsions-GPCRs im Rahmen einer Forschergruppe untersucht (DFG FOR 2149), an der auch Robert Kittel und Tobias Langenhan beteiligt sind. Die aktuelle Studie nutzt die gute experimentelle Zugänglichkeit von Drosophila, um neue Technologien schneller in einen biomedizinischen Kontext zu überführen. So können grundlegende molekulare Mechanismen erstmals beschrieben werden. Im Austausch mit Forscherkollegen sollen diese nun in weiteren Organismen und physiologischen Zusammenhängen studiert werden.

Mechano-dependent signaling by Latrophilin/CIRL quenches cAMP in proprioceptive neurons. Nicole Scholz, Chonglin Guan, Matthias Nieberler, Alexander Grotemeyer, Isabella Maiellaro, Shiqiang Gao, Sebastian Beck, Matthias Pawlak, Markus Sauer, Esther Asan, Sven Rothemund, Jana Winkler, Simone Prömel, Georg Nagel, Tobias Langenhan, Robert J Kittel. eLife 2017;6:e28360. DOI: 10.7554/eLife.28360

Kontakt

Dr. Robert J. Kittel, T: (0931) 31-86046; robert.Kittel@uni-wuerzburg.de

Prof. Tobias Langenhan, T: (0341) 97-22100; tobias.langenhan@uni-leipzig.de

Von Gunnar Bartsch

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