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Wenn die Nase ins Knie geht

13.02.2024

Mit Knorpel aus der Nase Gelenkverschleiß im Knie behandeln: An der Zulassung dieses Verfahrens arbeitet die Universitätsmedizin Würzburg. Sie erhält dafür eine Förderung von 2,3 Millionen Euro.

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Dr. Sarah Nietzer und Privatdozent Dr. Oliver Pullig verantworten am Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin des Universitätsklinikums Würzburg die beiden Projekte, in denen die Herstellung von körpereigenem Knorpelgewebe aus der Nase zur Regeneration von Knorpeldefekten im Knie etabliert werden soll. (Bild: Kirstin Linkamp / Universitätsklinikum Würzburg)

Mit dem Disney-Film ENCANTO hat das gleichnamige EU-Projekt, das vor wenigen Tagen in Rom seinen Auftakt feierte, nichts zu tun. Auch wenn das Studienthema für Laien nach Zauber (spanisch „encanto“) klingen mag. „Wir entnehmen unseren Patienten ein kleines Stück Knorpel aus der Nasenscheidewand, züchten es auf einer strukturgebenden Kollagenmatrix und implantieren es vier Wochen später in das geschädigte Knie, damit sich der Knorpel regeneriert“, erklärt Privatdozent Dr. Oliver Pullig vom Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin des Universitätsklinikums Würzburg (UKW).

Dass diese Methode der Knorpelregeneration funktioniert und sowohl wirksam als auch sicher ist, hat der Biologe bereits in der BIO-CHIP-Studie mit einem internationalen Team unter der Leitung des Universitätsspitals Basel an mehr als 100 Personen gezeigt. In dieser Studie wurden fokale Knorpelläsionen, also nur lokal begrenzte und klar definierte Verletzungen, zum Beispiel nach einem Unfall, mit dem gezüchteten Knorpelgewebe aus der Nase behandelt.

In die ENCANTO-Studie sollen nun erstmals Patientinnen und Patienten mit weiter fortgeschrittenen Knorpeldefekten aufgenommen werden. Geprüft wird, ob das Verfahren eine Alternative zur Prothese und damit eine neue Therapie bei der Patellofemoralen Arthrose (PFOA) darstellt, also bei Knorpelschäden an der Rückseite der Kniescheibe und am gegenüberliegenden Oberschenkelknochen. Daher auch das Akronym ENCANTO: ENgineered CArtilage from Nose for the Treatment of Osteoarthritis – künstlich hergestellter Knorpel aus der Nase zur Behandlung von degenerativem Gelenkverschleiß.

Förderung von insgesamt 2,3 Millionen Euro

Für die Durchführung des ENCANTO-Projekts stehen im Rahmen des EU-Förderprogramms HORIZON-HLTH-2023-TOOL-05 (Tools and technologies for a healthy society) insgesamt 11,3 Millionen Euro zur Verfügung. Davon erhält die Universitätsmedizin Würzburg 1,88 Millionen Euro. Die von Oliver Pullig geleitete Arbeitsgruppe „GMP-konforme ATMP-Entwicklung“ ist gemeinsam mit einem Team aus Basel für die Herstellung der Implantate verantwortlich. Die Knorpelmatrix wird in zwölf klinischen Zentren in Europa eingesetzt, unter anderem in der Orthopädischen Universitätsklinik in Würzburg.

Im Rahmen eines weiteren Projekts zur Behandlung der PFOA, das vom Schweizerischen Nationalfonds mit 2,6 Millionen Schweizer Franken gefördert wird, erhält das UKW 415.000 Euro für die Herstellung nach GMP-Richtlinien, GMP steht für Good Manufacturing Practice, auf Deutsch gute Herstellungspraxis.

„Mit diesen hohen Fördersummen, die uns endlich ermöglichen, das Produkt startklar für die Zulassung zu machen, sind wir in der Champions League angekommen“, freut sich Oliver Pullig, der mit Spannung den Rekrutierungsstart Ende 2024 für die von den Schweizern geförderte Studie und Anfang 2025 für ENCANTO erwartet. In Würzburg ist die Herstellung von insgesamt 56 Implantaten geplant sowie die Rekrutierung von 25 Patientinnen und Patienten.

Hohe Auflagen für die Herstellung und Qualität

Die Implantation des Knorpelgewebes ist relativ einfach. Der Aufwand, die Knorpel außerhalb des Körpers zu züchten, ist jedoch immens. Da das Implantat aus lebenden Zellen besteht, gehört es zu den Arzneimitteln für neuartige Therapien, für „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMP). Das heißt: Es unterliegt besonderen Regularien.

„Wir haben uns bereits im BIO-CHIP-Projekt um die komplexen Aufgaben und Formalitäten rund um die Herstellung und Logistik gekümmert“, berichtet Oliver Pullig. Nun liege die Herausforderung darin, die hohen Auflagen für die Herstellung und die Qualität des Produkts konstant zu halten.

„Es sind menschliche Zellen. Die machen nicht immer das, was wir wollen oder erwarten“, schildert Dr. Sarah Nietzer. Die Biologin war am UKW-Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin zehn Jahre lang in der Forschung und Entwicklung tätig. Jetzt hat sie den Schritt in die Herstellung und Regulatorik gemacht. „Wir benötigen mehr Daten, um zu verstehen, warum zum Beispiel die Zellen von einer Person nicht so gut wachsen wie die von einer anderen. Außerdem arbeiten wir an einem Verfahren, wie wir die Qualität der Zellen und ihre Viabilität über den gesamten Herstellungsprozess, also in real time, überwachen und nicht erst am Ende prüfen können. Es wäre großartig, wenn wir diese neue Methode auch auf andere Modelle übertragen könnten, mit denen wir am Lehrstuhl verschiedene Krankheiten nachstellen.“

So läuft die Herstellung des Gewebeimplantats

Doch wie wird solch ein Gewebeimplantat überhaupt hergestellt? Zunächst wird den Studienteilnehmenden ein winziges Stückchen Knorpelgewebe aus der Nasenscheidewand entnommen. Die Knorpelzellen aus der Nase sind denen des Knies sehr ähnlich. Sie sind mechanisch belastbar und lassen sich gut im Labor vermehren.

Nach der Entnahme wird das Knorpelgewebe unter strengsten aseptischen Bedingungen im Reinraum aufbereitet. Die Zellen werden isoliert und kultiviert und schließlich auf eine 4 x 5 Zentimeter große Trägerstruktur gegeben. Dort wandern sie in die als Medizinprodukt zugelassene Kollagenmembran ein und bauen ihre eigene Knorpelmatrix. Nach vier Wochen ist das Implantat namens N-TEC (nasal chondrocyte-based tissue-engineered cartilage) einsatzbereit.

Echte Chance für Volkskrankheit Arthrose

„In der BIO-CHIP-Studie hatten wir auch ein weniger zeitaufwändiges Verfahren untersucht, bei dem die Zellen nur zwei Tage auf der Matrix waren. Die Qualität war gut, doch die länger gereifte Matrix war stabiler und wurde auch vom Operateur bevorzugt, der das neue Gewebe aus körpereigenen Zellen auf die defekte Stelle im Knorpel legt und mit dem unversehrten Knorpelgewebe vernäht“, berichtet Oliver Pullig. Neu sei, dass für die Kultivierung der Zellen kein körpereigenes Blut mehr benötigt wird und statt einer Matrix zwei hergestellt werden können. Somit ließen sich auch große Flächen an Knorpeldefekten therapieren.

Sollten sich die Implantate als echte Alternative zur Prothese erweisen, würden sie Pullig zufolge die Behandlung von Knorpeldegenerationen geradezu revolutionieren. Bislang beschränken sich die therapeutischen Ansätze auf Schmerzbehandlung oder künstlichen Gelenkersatz. Dabei sind weltweit mehr als 500 Millionen Mensch von der schmerzhaften und mit Behinderungen einhergehenden Arthrose im Kniegelenk betroffen. Und die Volkskrankheit Arthrose nimmt aufgrund des vermehrten Übergewichts und der steigenden Lebenserwartung stetig zu.

Webseite des Lehrstuhls für Tissue Engineering und Regenerative Medizin

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Von Pressestelle Universitätsklinikum Würzburg

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