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Gutes Gespür für Moskitos

08.07.2019

Venusfliegenfallen können sogar Berührungen von extrem leichten Tieren wahrnehmen. Auf diese Weise schützen sie sich vor dem Verhungern durch Überaktivität. Das zeigt eine neue Studie von Forschern aus Würzburg und Cambridge.

Die Venusfliegenfalle erkennt die Größe ihrer Beute. Zu kleine Insekten (links) sind nicht in der Lage die nötige Kraft aufzubringen, um das sensorische Haar der Pflanze zu stimulieren (rechts) und damit den Fangmechanismus auszulösen.
Die Venusfliegenfalle erkennt die Größe ihrer Beute. Zu kleine Insekten (links) sind nicht in der Lage die nötige Kraft aufzubringen, um das sensorische Haar der Pflanze zu stimulieren (rechts) und damit den Fangmechanismus auszulösen. (Bild: Sönke Scherzer / Universität Würzburg)

Weil Pflanzen nicht dazu in der Lage sind, ihren Standort zu verlassen, müssen sie eine andere Technik entwickeln, um sich mit lebenswichtigen Nährstoffen zu versorgen. Die meisten von ihnen bilden dafür ein Wurzelsystem aus und holen sich aus dem Boden, was sie zum Leben benötigen. Was aber, wenn der Boden dauerhaft nichts hergibt? Einen Ausweg aus dieser Zwangslage haben fleischfressende Pflanzen gefunden, wie beispielsweise die Venusfliegenfalle.

Die Venusfliegenfalle wächst in den nährstoffarmen Sümpfen von North und South Carolina an der Ostküste der USA. Sie hat ihre Blätter zu Insektenfallen umgewandelt, die in einem Bruchteil einer Sekunde zuschnappen können. Ihre Beute nimmt die Pflanze über Sinneshaare auf der Fallenoberfläche war. Und weil die Beutetiere in unterschiedlichen Größen daherkommen, die Venusfliegenfalle aber fast alles nehmen muss, was sie bekommen kann, bildet die Pflanze unterschiedlich große Fallen aus.

Forscher der Universitäten Würzburg und Cambridge haben jetzt herausgefunden, dass die Berührungssensoren in diesen Fallen selbst auf mikroskopisch kleine Drücke anspringen, diese in elektrische Signale umwandeln und so das Zuschnappen der Falle auslösen. Ihre Ergebnisse haben sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Plants publiziert.

Sinneshaar wandelt Berührung in elektrischen Strom

„Aus der Oberseite jeder Fallenhälfte entspringen drei bis vier multizelluläre Haare, die insgesamt verwindungssteif sind, bis auf eine Einkerbung an der Basis. Wenn ein Insekt, angelockt von Duft, Farbe oder Nektar der Falle, gegen das Sinneshaar stößt, gibt dieses im Bereich der nicht verstärkten Einkerbung nach. Dies führt dazu, dass die in diesem Bereich befindlichen Sinneszellen auf der einen Seite gedehnt und auf der anderen eingedrückt werden“, erklärt Professor Rainer Hedrich die Arbeitsweise der Venusfliegenfalle. Der Biophysiker und Pflanzenforscher hat an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) den Lehrstuhl für Botanik I inne und forscht schon lange an der fleischfressenden Pflanze.

Werden die Sinneszellen dementsprechend verformt, reagieren in einem nächsten Schritt die Berührungssensoren und wandeln die mechanische Energie in elektrische um; ein Aktionspotential wird ausgelöst und breitet sich von der Basis des Sinneshaars schnell über die ganze Falle aus. Kommt es innerhalb kurzer Zeit zu einer zweiten Berührung, wiederholt sich dieser Prozess – und erst dann schnappt die Falle zu.

Wie weit verbiegt aber ein Insekt das Sinneshaar? Wie groß und schwer muss es sein, damit es von der Venusfliegenfalle wahrgenommen wird? Diese Fragen wollte Hedrich mit seiner jüngsten Studie beantworten. „Es war von Anfang an klar, dass wir die Antworten mit Insekten, die fliegen können, nicht so leicht bekommen würden“, so Hedrich. Bei der Suche nach einem geeigneten Forschungstier hätten er und sein Team sich deshalb für Ameisen entschieden. Das entsprechende Fachwissen und die notwendige Unterstützung in ihren Experimenten erhielten die Würzburger Pflanzenwissenschaftler von Professor Walter Federle, einem Biomechaniker und Ameisenexperten der Universität von Cambridge.

Minimale Verbiegung löst elektrische Reizung aus

Wie kann man Ameisen dazu bewegen, auf Befehl gegen ein Sinneshaar zu stoßen? Zur Lösung dieses Problems setzte der Ameisenkenner Federle auf Blattschneideameisen. Diese Ameisenart pendelt regelmäßig zwischen der Blattsammelstelle und dem Nest. Im Experiment führte Federle die Tiere auf ihrem Heimweg über eine Brücke, auf der das letzte Teilstück durch eine Fliegenfallenhälfte ersetzt wurde. Den Ameisenverkehr über die Fliegenfallenbrücke überwachte er mit einer Hochgeschwindigkeitskamera, die alle Zusammenstöße festhielt. Das Ergebnis: Federles Auswertung ergab eine minimale und maximale Sinneshaarauslenkung von 3,5 und 7,5 Grad.

Um nun den Biegewinkel und die Kraft zu bestimmen, die nötig ist, um bei der Venusfliegenfalle ein Aktionspotential auszulösen, haben die Wissenschaftler die Ameisen gegen computergesteuerte Mikromanipulatoren mit speziellen Kraftaufnehmern eingetauscht. Nachdem die Mikromanipulatoren auf dem Sinneshaar aufsetzten, wurde schrittweise der Abknickwinkel verändert. „Zu unserer Überraschung zeichneten unsere Spannungsdetektoren schon bei einer Auslenkung um 2,9 Grad ein Aktionspotential auf“, so Dr. Sönke Scherzer, Erstautor der Arbeit und wissenschaftliche Mitarbeiter an Hedrichs Lehrstuhl. Das bedeute, dass schon der schwächste Zusammenstoß mit der Blattschneideameise von der Fliegenfalle bemerkt wird.

Eine Falle für jede Fliegengröße

Eine Ameise oder Stubenfliege bringt beim Laufen eine Kraft auf, die in etwa ihrem Körpergewicht entspricht. Eine Fliege mit einem Gewicht von zehn Milligramm schafft demnach 100 Mikro-Newton, eine Kraft, die gut ausreicht, eine große Falle elektrisch zu erregen. Verirrt sich aber beispielsweise ein Moskito, der nicht mehr als drei Milligramm wiegt, in solch eine große Falle, verbiegen sich die Sinneshaare nicht.

Weil aber auch ein Moskito eine wichtige Nahrungsquelle sein kann, hat die Venusfliegenfalle im Laufe der Evolution auch kleinere Fallen entwickelt. Dort reagieren die Sinneshaare auch auf den Druck eines Moskitogewichts. „Diese fallengrößenabhängige Berührungsempfindlichkeit der Sinneshaare ist für die Wirtschaftlichkeit der Fallen wichtig“, erklärt Rainer Hedrich. Schließlich kostet es die Pflanze deutlich mehr Energie, eine große Falle wieder zu öffnen als eine kleine. „Wenn selbst untergewichtige, nährstoffarme Beutetiere den Verschluss großer Fallen auslösen könnten, fiele die Kosten-Nutzen-Bilanz negativ aus und die Venusfliegenfalle würde im Extremfall langsam verhungern“, so Hedrich.

Wenn das Sinneshaar ermüdet

Wenn die Falle geschlossen ist, ergeben sich die Beutetiere in der Regel nicht ihrem Schicksal. Stattdessen versuchen sie auszubrechen. In ihrer Panik berühren sie dabei fortwährend die Sinneshaare und lösen so bis zu 100 Aktionspotentiale innerhalb von zwei Stunden aus. Diese elektrischen Signale verrechnet die Fliegenfalle und setzt eine der Anzahl entsprechende Reaktion in Gang, die von der Herstellung und dem Ausschütten eines Verdauungssekret bis zur Aufnahme der Nahrungsbestandeile aus dem zersetzten Tierischen reicht, erklärt Hedrich.

Die Frage, wie oft in einer Stunde ein einzelnes Sinneshaar stimuliert werden kann, haben die Wissenschaftler in einem weiteren Experiment untersucht. Das Ergebnis: „Ab einer Frequenz von einem Zehntel Hertz, also einer Stimulation alle zehn Sekunden, stellen sich beim Sinneshaar Ermüdungserscheinungen ein“, sagt Sönke Scherzer. Bei noch höheren Frequenzen löste nicht mehr jede Berührung ein Aktionspotential aus, und schließlich blieben die elektrischen Ereignisse völlig aus. Unterbrachen die Forscher die wiederholte Stimulationsfolge für eine Minute, erlangte das Haar seine mechano-elektrischen Eigenschaften wieder vollständig.

Die sensorischen Zellen unter der Lupe

In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, wie die Fliegenfalle zählt und was der Grund für die Aussetzer des Sinneshaars bei hochfrequenter Beanspruchung ist. Dazu werden sie Sinneshaare und Sinneszellen isolieren und eine Reihe von Eigenschaften bestimmen, wie beispielsweise die Ermüdung und Erholung der Ionenkanäle, die Berührung in ein elektrisches Ereignis umsetzen.

Venus flytrap trigger hairs are micronewton mechano-sensors that can detect small insect prey, S. Scherzer, W. Federle, K. A. S. Al-Rasheid and R. Hedrich. Nature Plants, DOI: 10.1038/s41477-019-0465-1. https://www.nature.com/articles/s41477-019-0465-1.

Kontakt

Prof. Dr. Rainer Hedrich, Lehrstuhl für Botanik I (Pflanzenphysiologie und Biophysik), Universität Würzburg, T +49 931 31-86100, hedrich@botanik.uni-wuerzburg.de

Von Gunnar Bartsch

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