Training für den Quantencomputer: Physiker gewinnen Preis
07.09.2023Ein Team um den Quantenphysiker Professor Ronny Thomale vom Würzburg-Dresdner Exzellenzcluster ct.qmat hat beim internationalen IBM Quantum Open Science Prize den zweiten Preis gewonnen.
Der weltweite Wettstreit um den Quantencomputer ist in vollem Gange. Die Hightech-Industrie und eine riesige Wissenschaftscommunity arbeiten an verschiedenen Wegen zu dem einen Ziel: einen extrem leistungsfähigen und universell einsetzbaren Quantencomputer zu entwickeln.
Das Quantencomputing könnte zum Beispiel Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen zum Durchbruch verhelfen. Während klassische Computer mit Bits rechnen, die nur die Zustände 0 und 1 kennen, arbeiten Quantencomputer mit Quantenbits – kurz QuBits. Ein QuBit kann sich in unendlich vielen Zwischenzuständen befinden – als Überlagerung bezeichnet. Bisher sind diese Zwischenzustände allerdings äußerst fragil und zerfallen rasant. Das wollen die Forscher ändern, denn Voraussetzung für leistungsfähige Quantencomputer sind stabile überlagerte Quantenzustände – und viele QuBits.
Training mit neuem Code
Mit Wettbewerben wie dem Quantum Open Science Prize suchen globale Player wie die International Business Machines Corporation (IBM) nach verbesserten Algorithmen, um die Leistung ihrer Quantentechnologien zu trainieren.
Die Zielsetzung der diesjährigen Ausschreibung von IBM war, einen 16-QuBit-Quantenchip so zu codieren, dass er eine konkrete Fragestellung genauso zuverlässig abarbeitet wie ein klassischer Computer. Anschließend – so die Hoffnung – könnte die Leistung des Quantenchips hochskaliert werden und ultrakomplexe Rechenoperationen ermöglichen, die bisher unerreichbar sind.
IBM hat dafür den Quantenchip Falcon mit 16 QuBits zur Verfügung gestellt. „Wir haben einen neuen Algorithmus entwickelt und ihn dann wieder und wieder auf dem IBM-Chip laufen lassen. Die Rechenzeit konnte man reservieren und den Code übers Internet ausführen“, erklärt Dr. Pratyay Ghosh, Projektleiter des fünfköpfigen Preisträgerteams vom Würzburger Lehrstuhl für Theoretische Physik I von Professor Ronny Thomale sowie Postdoktorand des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter.
Vorteil für die Physik
„Üblicherweise lassen IT-Riesen wie IBM ihre Quantentechnologien von Computerwissenschaftlern optimieren, weil das die Experten für Algorithmen sind. Jetzt haben von über 130 weltweiten Einreichungen fünf junge theoretische Physiker von meinem Lehrstuhl den zweiten Platz belegt. Das freut uns außerordentlich und zeigt zudem, dass der Paradigmenwechsel vom klassischen zum Quantencomputer nicht nur computerwissenschaftlich, sondern ebenso physikalisch-grundlagenwissenschaftlich begleitet werden sollte“, kommentiert Ronny Thomale den IBM-Preis.
„Mein Team hat viele physikalisch motivierte Programmiertricks angewendet, um die Algorithmik präzise an die Problemstellung anzupassen. Bei ct.qmat erforschen und entwickeln wir Quantenmaterialien, befassen uns mit Kagome-Gittern und Quantenmagnetismus – alles Inhalte der diesjährigen Fragestellung. Deshalb war unser Vorteil, dass wir Physiker sind.“ Aktuell bereiten die Wissenschaftler eine Publikation vor, welche die Forschungsarbeit aus physikalischer Perspektive diskutiert.
Ein schneller Algorithmus und zwei Monate Fehlersuche
Beim IBM Quantum Open Science Prize 2023 sollte mithilfe des IBM Quantum Falcon mit 16 QuBits die Energie des Grundzustands eines magnetischen Quantenmaterials möglichst genau bestimmt werden. Dieses Material basiert auf einem Kagome-Gitter mit zwölf Atomen.
„Um den Grundzustand eines Kagome-Sterns zu bestimmen, der aus zwölf Atomen besteht, hatten wir einen 16-QuBit-Chip zur Verfügung. Einen effizienten Algorithmus für den Quantenschaltkreis hatten wir schnell gefunden. Der kniffligere Teil unserer Arbeit war, das richtige Signal aus dem Quantenrauschen heraus zu filtern – also Fehlerkorrektur. Das hat uns zwei Monate beschäftigt“, so Ghosh.
Ein klassischer Computer ist problemlos in der Lage, die diesjährige Fragestellung von IBM exakt auszurechnen. „Das Ergebnis des klassischen Computers ist eine notwendige Referenz, um die Codierung des Quantencomputers zu bewerten“, sagt Thomale. Denn jedes Problem, was ein Quantenchip löst, erzeugt ein Rauschen – das sogenannte Quantenrauschen. Es entsteht, weil die Überlagerungszustände sehr fragil sind und muss geschickt überwunden werden, damit der Quantencomputer die klassischen Computertechnologien überhaupt überholen kann.
„Mein Team hat es geschafft, die Abweichung von unserem Quantenalgorithmus zum klassischen Referenzwert auf unter ein Prozent zu reduzieren. Damit haben wir den Algorithmus so optimiert, dass er den Grundzustand des 12er-Kagome-Gitters exakt definiert – trotz Quantenrauschen.“
Wissenschaftliches Rätsel in Zukunft lösbar?
IBM hat nicht nur die Effizienz des Codes bewertet, sondern ebenfalls die Skalierbarkeit: Zunächst musste das Team einen Algorithmus finden, der das kleine 12er-Quantensystem genauso gut beschreibt wie der klassische Computer.
„Nachdem wir das geschafft haben, hoffen wir auf einen baldigen Übergang unseres Ansatzes auf größere Quantensysteme. Denn das, was uns vor allem interessiert, ist ein Phänomen, das die Physik schon seit 40 Jahren nachweisen möchte“, verrät Thomale: „Zu den ungelösten Problemen im Feld des Frustrierten Magnetismus gehört es, die Eigenschaften des Grundzustands eines Kagome-Heisenberg-Magneten zu bestimmen.“
Der Quantenmagnetismus gehört zu den zentralen Forschungsgebieten des Exzellenzclusters ct.qmat. „Wir vermuten, dass sich im Kagome-Magnet eine Spinflüssigkeit verbirgt. Um dieses Rätsel zu lösen, wäre aber die Berechnung eines sehr viel größeren Kagome-Gitters notwendig“, so Thomale. Eine Spinflüssigkeit beschreibt den Zustand eines Quantenmagneten, der keine Ordnung einnimmt. Ein neuartiger Materiezustand, der völlig neue Ansatzpunkte für Technologien eröffnen könnte. „12 QuBits reichen nicht, um eine Spinflüssigkeit nachzuweisen. Wir bräuchten vermutlich mindestens 1.000.“
IBM Quantum Open Science Prize
Das IT-Unternehmen IBM hat den internationalen Open Science-Wettbewerb 2020 zum ersten Mal ausgelobt und den hochdotierten Preis in diesem Jahr zum dritten Mal vergeben. Es gab mehr als 130 Einsendungen, die nach Leistung, Skalierbarkeit und Kreativität bewertet wurden. Die Gewinner des ersten und zweiten Platzes erhalten 30.000 bzw. 20.000 Dollar.
Angehörige öffentlicher Einrichtungen, wie zum Beispiel die Würzburger Forscher, erhalten kein Preisgeld. Zu diesem zweitplatzierten Gewinner-Team des Exzellenzclusters ct.qmat gehören: Pratyay Ghosh, Alexander Fritzsche, Alexander Stegmaier, Richard Strunck und Jannis Seufert, alle vom Lehrstuhl für Theoretische Physik I von Professor Ronny Thomale an der Universität Würzburg.
Exzellenzcluster ct.qmat
Das Exzellenzcluster ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter (Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien) wird seit 2019 gemeinsam von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der TU Dresden getragen. Fast 400 Wissenschaftler:innen aus mehr als 30 Ländern und von vier Kontinenten erforschen topologische Quantenmaterialien, die unter extremen Bedingungen wie ultratiefen Temperaturen, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Phänomene offenbaren. Zu den Zielen gehören die Entdeckung, Synthese und Untersuchung von neuartigen magnetischen Materialien, die überraschende, von Wechselwirkungen getriebene Phänomene zeigen. Ein Forschungsfeld sind Spinflüssigkeiten. Das Exzellenzcluster wird im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert – als einziges bundeslandübergreifendes Cluster in Deutschland.