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Migration: Was die EU für Afrika tun sollte

16.08.2018

Entwicklungsminister Gerd Müller hat in Zeitungsinterviews neue Ideen für die Afrikapolitik der Europäischen Union geäußert. Politikwissenschaftler der Universität Würzburg sehen seine Vorschläge eher kritisch.

Weltkarte mit grafischer Darstellung der Migrationsbewegungen.
Weltweite Migrationsbewegungen stellen viele Länder vor Herausforderungen. (Bild: Von Thinkstock gekauft, RE)

Europa ist das Ziel vieler Migranten aus afrikanischen Ländern, und das nicht erst seit dem bisherigen Höhepunkt der „Flüchtlingswelle“ im Jahr 2015. Die Kanarischen Inseln, die spanischen Besitzungen Ceuta und Melilla in Nordafrika, Malta, die italienische Insel Lampedusa, das spanische Festland – das waren und sind einige Orte, die Migranten auf dem Seeweg erreichen wollen.

Eine Strategie, mit der Europa die Wanderungsbewegungen zu begrenzen sucht, besteht darin, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Migranten zu beseitigen. Auch vor diesem Hintergrund sind neuere Ideen von Gerd Müller zu sehen. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat in Zeitungsinterviews neue Vorschläge zur Afrikapolitik der Europäischen Union (EU) gemacht.

Gerd Müller fordert unter anderem einen Afrikakommissar. Eine Idee, die andere kritisch sehen – zum Beispiel Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Professorin für Europaforschung und internationale Beziehungen und Inhaberin eines Jean-Monnet-Lehrstuhls an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Philipp Gieg. Die Afrikapolitik der EU ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte; hier einige Fragen an die JMU-Wissenschaftler.

Minister Gerd Müller schlägt vor, einen EU-Kommissar für Afrika zu etablieren. Was könnte das bringen?

Ein Kommissar mit einer regionalen und nicht funktionalen Zuständigkeit wäre ein Novum in der EU-Kommission. Unter günstigen Umständen könnte die EU-Afrikapolitik durch ein solches Amt stimmiger werden, da sie dann in einer Hand läge. Es ist aber doch sehr fraglich, ob sich die anderen Kommissare mit afrikabezogenen Zuständigkeiten ihre Aufgabenbereiche aus der Hand nehmen ließen – etwa die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, die Kommissarin für Handel, der Kommissar für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, der Kommissar für Migration oder der Kommissar für Humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, um nur einige zu nennen. Es steht also zu befürchten, dass die Einsetzung eines Afrikakommissars gerade nicht zu einer Afrikapolitik „aus einem Guss“ führen, sondern ganz im Gegenteil nur noch eine weitere Stimme zum ohnehin schon vielstimmigen Chor der EU-Afrikapolitik hinzufügen würde.

Der Minister hat auch dafür plädiert, dass die EU ihre Märkte für Waren aus Afrika weiter öffnet. Ist das sinnvoll?

Die Forderung geht an der Realität vorbei. Die Wirtschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs), die die EU mit einigen Gruppierungen von afrikanischen und anderen ärmeren Ländern bereits geschlossen hat und noch verhandelt, sehen bereits die Abschaffung aller Zölle und Quoten für beide Seiten vor. Für die am wenigsten entwickelten Staaten gilt seit 2001 außerdem das EU-Programm „Alles außer Waffen“. Das heißt, dass alle diese Länder all ihre Produkte, außer Waffen und Munition, zollfrei in die EU einführen dürfen.

An den Zöllen liegt es also nicht, wenn es in den EU-Afrika-Handelsbeziehungen Ungleichgewicht und Unfairness gibt. Hier spielen komplexere Zusammenhänge eine Rolle. Zum einen sind das die sehr hohen Standards der EU für Agrarimporte – Fisch zum Beispiel muss noch auf See tiefgefroren werden. Viele afrikanische Agrarunternehmen können diese hohen Standards nicht einhalten. Zum anderen unterstützt die EU ihre eigenen Landwirtschaftsbetriebe. Kommt es zum zollfreien Warenaustausch mit Afrika, sind EU-Produkte dort wegen der hohen Agrarsubventionen oft billiger als einheimische Waren. Das schadet den afrikanischen Produzenten.

Das entscheidende Problem ist also nicht, ob die EU-Märkte für Afrika offen genug sind – das sind sie schon. Vielmehr lautet die Frage, ob die Öffnung der afrikanischen Märkte für EU-Waren tatsächlich eine nachhaltige Entwicklung auf unserem Nachbarkontinent fördert.

Was tut die EU, um in Afrika Fluchtursachen zu beseitigen?

Das Thema Migration ist integraler Bestandteil der „Gemeinsamen Afrika-EU-Strategie“ aus dem Jahr 2007, die explizit eine „Partnerschaft für Migration, Mobilität und Beschäftigung“ enthält. Auf den regelmäßig stattfindenden EU-Afrika-Gipfeln und auf Sondergipfeln werden Migration und die Bekämpfung von Fluchtursachen behandelt; zuletzt im November 2017 in Abidjan. Außerdem gehen 40 Prozent der Entwicklungshilfegelder der EU und ihrer Mitgliedstaaten nach Afrika, um dort „Good Governance“ zu fördern, also gute Regierungsarbeit. All das dient immer auch der Bekämpfung der Fluchtursachen.

Hier sind mindestens zwei Aspekte kritisch anzumerken. Zum einen wird die schwerfällige Afrika-EU-Strategie nicht effektiv genug implementiert. Zum anderen setzt die EU seit 2015 stärker auf die Abwehr „illegaler“ Migration. Im Zuge dieses Kurswechsels ist es zu einer gewissen Umdefinition von „Good Governance“ gekommen: Als „gut“ werden nun vermehrt solche afrikanische Staaten eingestuft, die die Migrationsrouten durch die Sahelzone unterbinden – ungeachtet ihrer sonstigen Good-Government-Performanz. Das kann dem Wertekanon der EU durchaus widersprechen.

Reichen diese Maßnahmen aus Ihrer Sicht?

Selbst wenn sich die Lage in Afrika in Zukunft positiv entwickeln sollte, wird weiterhin ein immenses Wohlstandsgefälle zu Europa bleiben. Das wird auf sehr lange Zeit einen gewaltigen Migrationsdruck erzeugen. Die weltweite Erfahrung zeigt, dass das aktuell hohe Bevölkerungswachstum in Afrika nur durch ein großangelegtes „Women Empowerment“ gemindert werden kann, also durch eine dezidierte Gleichstellungspolitik für afrikanische Frauen. Das würde die Geburtenraten und den Migrationsdruck senken; hier sollte die EU sich stärker engagieren.

Bis solch ein Effekt einsetzt, sollte die EU intelligente Formen der legalen Arbeitsmigration ermöglichen. Sie sollte einer gewissen Zahl von Afrikanern zeitlich begrenzte Arbeitsmöglichkeiten gewähren. Nach zwei bis vier Jahren sollten die Leute dann zurückkehren, um die in der EU erworbenen Fähigkeiten in der Heimat entwicklungsfördernd einzusetzen. An Stelle der Rückkehrer dürfen andere zu den gleichen Bedingungen nachrücken.

Mit einer solchen Migrationspolitik ließen sich gleichzeitig das entwicklungshemmende „Brain Drain“ bekämpfen und konkrete Fortschritte vor Ort erreichen. Im Sinne des dringend erforderlichen „Women Empowerment“ könnte man eine Eins-zu-eins-Regel oder ein Reißverschlussverfahren einführen: Arbeitserlaubnisse werden verteilt an Frau, Mann, Frau und so weiter. Dann könnte solch eine zirkuläre Migrationspolitik sehr gute entwicklungspolitische Effekte erzielen.

Kontakt

Prof. Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Universität Würzburg, Professur für Europaforschung und internationale Beziehungen – Jean-Monnet-Lehrstuhl, Institut für Politikwissenschaft und Soziologie, T +49 931 31-84858, mbb@uni-wuerzburg.de

Philipp Gieg, Universität Würzburg, Professur für Europaforschung und internationale Beziehungen – Jean-Monnet-Lehrstuhl, T +49 931 31-89129, philipp.gieg@uni-wuerzburg.de

Weblinks

JMU-Professur für Europaforschung und internationale Beziehungen

Von Robert Emmerich

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