Neue Erkenntnisse über Anti-Malaria-Wirkstoff
30.01.2019Forscher des Rudolf-Virchow-Zentrums der Universität Würzburg haben die Wirkungsweise von Artemisininen aufgeklärt. Die Erkenntnisse könnten zu Medikamenten gegen Krankheiten wie Alzheimer, Schizophrenie und Epilepsie führen.
Artemisinin wird aus den Blättern und Blüten des Einjährigen Beifußes (Artemisia annua) gewonnen und bereits seit Jahrhunderten in der traditionellen chinesischen Medizin eingesetzt. Die Wirksamkeit wurde von der chinesischen Forscherin Tu Youyou erforscht und ihre Arbeit 2015 mit dem Nobelpreis honoriert. Artemisinin und seine halbsynthetischen Derivate – man spricht zusammenfassend von Artemisininen – werden zur Behandlung der tropischen Infektionskrankheit Malaria eingesetzt.
Außerdem beeinflussen diese Moleküle auch verschiedene zelluläre Prozesse beim Menschen. So sind Artemisinine zum Beispiel in der Lage, das Immunsystem gegen mehrere Krebsarten zu aktivieren oder die Differenzierung der alpha-Zellen in der Bauchspeicheldrüse zu regulieren, was potenziell in der Diabetes-Therapie von Nutzen sein könnte.
Molekulare Mechanismen bislang unbekannt
„Obwohl diese klinisch zugelassene Wirkstoffgruppe durchaus verbreitet und teilweise schon seit Jahrhunderten eingesetzt wird, war bislang unklar, welche molekularen Mechanismen den entsprechenden zellulären Aktivitäten, also zum Beispiel der Zielproteinerkennung und -modulation, zugrunde liegen“, erläutert Dr. Vikram Kasaragod. Der Postdoktorand in der Forschungsgruppe von Professor Hermann Schindelin am Rudolf-Virchow-Zentrum ist der Erstautor des Artikels und sorgt mit dieser Forschungsarbeit für einen wesentlichen Erkenntnisgewinn. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Neuron“ veröffentlicht.
Modell der Regulation der Neurotransmission entwickelt
Der Strukturbiologe löste als erster die Kristallstrukturen von zwei verschiedenen Artemisinin-Derivaten – Artesunat und Artemether – in einem Komplex mit Gephyrin. Durch die Bindung an inhibitorische Glyzin- und GABAA-Rezeptoren fungiert Gephyrin als zentrales Gerüstprotein inhibitorischer Postsynapsen im Zentralnervensystem von Säugetieren. Gephyrin wurde erst vor Kurzem als Artemisinin-Zielprotein identifiziert.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, wie Artemisinine auf die universelle Rezeptorbindungstasche in Gephyrin abzielen und mit den inhibierenden Neurotransmitterrezeptoren um eine überlappende Bindungsstelle konkurrieren. Diese neuen Erkenntnisse könnten somit auch als wirksames Instrument für die Aufklärung der Physiologie des menschlichen Gehirns dienen.
Laut Kasaragod bilden die Kristallstrukturen zusammen mit biochemischen, elektrophysiologischen und In-vivo-Daten ein umfassendes Modell der Regulation der inhibitorischen Neurotransmission durch Artemisinine. Mit diesem Modell lassen sich nach seinen Worten die Wechselwirkungen zwischen Proteinen und Medikamenten eindeutig beschreiben.
Wichtiger Schritt für die Entwicklung von Medikamenten
„Unsere Daten liefern nicht nur eine solide Grundlage für das Verständnis, wie Artemisinine von einem Zielmolekül erkannt werden, sondern werden Forschern auch helfen, diese Wirkstoffe zu hochspezifischen Modulatoren von Gephyrin zu entwickeln und zu optimieren. Diese Modulatoren könnten zukünftig bei der Behandlung von neurologischen Krankheiten wie Morbus Alzheimer, Schizophrenie und Epilepsie eine wichtige Rolle spielen“, erläutert Schindelin, der Leiter der Studie.
Die in Neuron veröffentlichten Daten sind das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit anderen Forschern der Universität Würzburg, des Universitätsklinikums Hamburg und der Universität Kopenhagen.
Pressemitteilung des Rudolf-Virchow-Zentrums
Publikation
Vikram Babu Kasaragod, Torben Johann Hausrat, Natascha Schaefer, Maximilian Kuhn, Nikolaj Riis Christensen, Ingrid Tessmer, Hans Michael Maric, Kenneth Lindegaard Madsen, Christoph Sotriffer, Carmen Villmann, Matthias Kneussel and Hermann Schindelin: Elucidating the Molecular Basis for Inhibitory Neurotransmission Regulation by Artemisinins. Neuron (2019) Published: January 28, 2019 DOI: https://doi.org/10.1016/j.neuron.2019.01.001 ; Publikation
Kontakt
Dr. Vikram Kasaragod, AG Schindelin, Rudolf-Virchow-Zentrum, vikram.kasaragod@virchow.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Hermann Schindelin, Rudolf-Virchow-Zentrum, T.: +49 931 31-80382, hermann.schindelin@virchow.uni-wuerzburg.de
Dr. Daniela Diefenbacher, Pressestelle, Rudolf-Virchow-Zentrum, T.: +49 931 31-88631, daniela.diefenbacher@uni-wuerzburg.de