Schwaches Herz, schwaches Hirn
19.07.2018Patienten mit einer Herzinsuffizienz haben bisweilen kognitive Defizite. Das liegt nicht an der verminderten Pumpkraft des Herzens, wie ein Würzburger Forschungsteam jetzt herausgefunden hat.
Bei einer Herzinsuffizienz sind eine umfassende Therapie und eine exakte Einhaltung des Medikamentenplans nötig. Doch an Letzterem scheitern manche Patienten – nicht etwa, weil sie unwillig oder nachlässig sind, sondern weil sich die Herzschwäche negativ auf ihr Gedächtnis und ihre Aufmerksamkeit auswirkt.
Ein schwaches Herz beeinflusst die Hirnfunktion: Diese Hypothese wird durch eine neue Studie aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) Würzburg nun weiter untermauert. Die gestörte Hirnfunktion lässt sich sogar abbilden: Aufnahmen mittels MRT (Magnetresonanztomographie) zeigen Auffälligkeiten im Temporallappen des Gehirns. Bislang standen Veränderungen in der weißen Substanz des Gehirns im Verdacht, doch hier scheint das Problem nicht zu liegen.
Das berichtet ein Forschungsteam aus der Kardiologie, Neurologie, Neuroradiologie und Neuropsychologie der Universität und des Universitätsklinikums Würzburg im Journal of the American College of Cardiology: Heart Failure.
Patienten durchliefen zahlreiche Tests
Das Team hat in die Studie „Cognition.Matters-HF“ am Universitätsklinikum Würzburg 148 Patienten mittleren Alters einbezogen. Bei allen war mindestens ein Jahr zuvor eine Herzschwäche diagnostiziert worden. Die Patienten durchliefen innerhalb von zwei Tagen zahlreiche Tests. Dazu gehörten neben EKG und Echokardiographie auch Herz-Kreislauf-Untersuchungen inklusive des 6-Minuten-Gehtests. Hinzu kamen neurologische Tests mit Ultraschalluntersuchungen der Halsgefäße, neuropsychologische Tests und eine MRT-Aufnahme des Gehirns.
Dabei kam heraus, dass 41 Prozent der Herzschwäche-Patienten Defizite in der Reaktionszeit aufwiesen, 46 Prozent Mängel im verbalen Gedächtnis und 25 Prozent im Arbeitsgedächtnis. Die MRT-Bilder zeigten im Vergleich mit herzgesunden Menschen eine Art Verkümmerung (Atrophie) des Temporallappens, der für die Gedächtnisbildung wichtig ist. Die Atrophie steht im Zusammenhang mit den kognitiven Beeinträchtigungen.
Geleitet wird das Forschungsteam von Dr. Anna Frey und Professor Stefan Störk (Kardiologie) sowie von Professor Guido Stoll (Neurologie). Die Studie hat 2011 begonnen. Alle Untersuchungen wurden bzw. werden nach einem Jahr, nach drei Jahren und dann noch einmal nach fünf Jahren wiederholt. Inzwischen hat gut ein Drittel der Patienten die 5-Jahres-Untersuchung abgeschlossen.
Vergleich mit MRT-Bildern von Herzgesunden
„Um die MRT-Bilder unserer Herzschwäche-Patienten auszuwerten, haben wir sie mit Bildern von 288 gesunden Probanden gleichen Geschlechts und Alters aus einer österreichischen Schlaganfall-Studie verglichen“, sagt Professor Stoll. „Ohne die Kooperation mit Professor Reinhold Schmidt aus der Grazer Universitätsklinik für Neurologie hätten wir nicht solche aussagekräftigen Hinweise für eine Verbindung zwischen insuffizienten Herzen und kognitiven Defiziten und Veränderungen im Gehirn erhalten.“
Doch wieso beeinflusst das kranke Herz die Hirnfunktion? „An der Pumpfunktion scheint es nicht zu liegen“, erklärt die Erstautorin der Studie, Anna Frey. „Es findet sich nämlich kein direkter Zusammenhang zwischen der eingeschränkten Pumpleistung und der eingeschränkten Kognition. Auffällig bei den Patienten mit kognitiven Störungen war jedoch die geringere körperliche Ausdauer: Beim 6-Minuten-Gehtest schnitten die Patienten mit verminderter Herz- und Hirnfunkton nicht so gut ab wie diejenigen, deren Hirnfunktion unauffällig war.“
Patienten stecken in einem Dilemma
„Die Ergebnisse zeigen den Bedarf an weiteren Studien, die auf eine Verbesserung der kognitiven Funktionen bei herzinsuffizienten Patienten abzielen“, sagt der Ärztliche Direktor des Uniklinikums Würzburg, Professor Georg Ertl. „Denn die Patienten, die von einer verminderten Herz- und Hirnleistung betroffen sind, befinden sich in einem Dilemma. Eine Herzschwäche erhöht aufgrund des komplexen Therapieplans mit regelmäßiger Prüfung der Vitalwerte, konsequenter Einnahme der Medikamente und Beschränkung der Trinkmenge die kognitiven Anforderungen. Demgegenüber stehen die verminderten kognitiven Fähigkeiten. Viele Patienten können aus diesem Grund den Therapieplan schlichtweg nicht einhalten. Das hat zur Folge, dass sich sowohl die Lebensqualität als auch die Erkrankung zunehmend verschlechtern.“
Ärzte sollten die Betreuung weiter intensivieren
Professor Störk, Leiter der Herzinsuffizienz-Ambulanz des DZHI Würzburg, zieht folgendes Fazit: „Die Studie bestärkt uns Ärzte darin, dass wir die Herzschwäche-Patienten künftig noch intensiver betreuen müssen. Das fängt bei der Diagnose an, die wir patientengerecht vermitteln müssen, idealerweise in Gegenwart eines Angehörigen. Das geht weiter über den Behandlungsplan, den wir möglichst schriftlich mitgeben, und hört auf bei der Unterstützung der Patienten durch eine Herzinsuffizienz-Schwester, die den Patienten regelmäßig kontaktiert, seine Werte überprüft, die Medikamenteneinnahme kontrolliert und ihn somit bis zur Stabilisierung der Symptome begleitet. Wir wussten bereits aus eigenen Studien, dass dieser Ansatz entscheidend ist. Auf dem Boden der Ergebnisse von Cognition.Matters-HF verstehen wir jetzt zunehmend besser, warum das so ist. Mit kognitiven Tests können wir in Zukunft hoffentlich bereits bei der Diagnosestellung hierzu eine Aussage treffen und den Patienten noch zielgerichteter helfen.“
Viele Patienten haben keine Gedächtnisstörungen
Anna Frey warnt jedoch vor einer Pauschalisierung: Nicht jeder Patient mit Herzschwäche habe zwangsläufig auch eine Gedächtnisstörung: „Immerhin haben wir bei 32 Prozent aller Studienteilnehmer keine Auffälligkeiten im Gehirn gefunden. Lediglich 16 Prozent unserer Patienten hatten ernsthafte kognitive Störungen.“
Publikation zur Studie
Cognitive Deficits and Related Brain Lesions in Patients With Chronic Heart Failure, JACC: Heart Failure, Vol. 6, Issue 7, July 2018, DOI: 10.1016/j.jchf.2018.03.010