Studie zeigt hohe soziale Bedeutung des Vereinssports
21.08.2023Sehr viele Menschen gehen auch darum in Sportvereine, weil sie dort mit anderen in Kontakt kommen. Das gaben 86 Prozent der Befragten in einer neuen Studie zum Amateursport an.
Menschen, die sich mit Leib und Seele im Sportverein engagieren, ist Sport sehr wichtig. Allerdings gibt es erstaunlicherweise etwas, das Sportvereinsmitglieder noch mehr schätzen, erläutert Sportwissenschaftler Professor Harald Lange von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg: „Und zwar die soziale Dimension.“
Das geht aus einer neuen, repräsentativen „Amateursport-Studie“ der Voting-Plattform FanQ hervor, an der Harald Lange mitgewirkt hat. 10.452 Vereinssportler in ganz Deutschland wurden in die Studie einbezogen.
„Amateursport als Agent des Sozialen“
Wer Profisport betreiben will, muss in der Lage sein, bei Wettbewerben mitzuhalten. Amateursportlerinnen und -sportler stehen nicht unter diesem Druck. In Sportvereine gehen die Menschen der Studie zufolge denn auch vor allem deshalb gerne, weil sie dort mit anderen in Kontakt kommen und gemeinsam Bewegungserfahrungen sammeln können. Das gaben mehr als 86 Prozent der Befragten an.
„Das ist ein gigantischer Wert“, sagt Harald Lange, der an der JMU den Lehrstuhl für Sportwissenschaft leitet. Damit habe die Studie eine überraschend klare Botschaft: „Nämlich, dass der Amateursport ein Agent des Sozialen in unserer Gesellschaft ist.“
Bereitschaft zum Ehrenamt als Herausforderung
Die Studie offenbart auch ein Problem: Wenn im Verein Engagement gefragt ist, finden sich nicht so einfach Menschen, die helfen, ohne zu zögern. Die Befragten schätzen die Sicherung des ehrenamtlichen Einsatzes als die momentan größte Herausforderung ein. Mehr als 72 Prozent gaben an, dass sie aktuell ehrenamtliche Unterstützung bräuchten.
„Hier wird eine Lücke sichtbar“, sagt Harald Lange, der die Studie zusammen mit Axel Faix von der Fachhochschule Dortmund konzipiert hat. Womöglich ist der Einbruch beim ehrenamtlichen Engagement auf wenig günstige Rahmenbedingungen für Vereinsvorstände und andere Aktive zurückzuführen – etwa wenn es darum geht, im Verein behördliche Auflagen zu erfüllen. Hinzukomme eine hohe Erwartungshaltung der Vereinsmitglieder gegenüber dem ehrenamtlichen Vorstand als Dienstleister.
„Ehrenamtliches Engagement im Sportverein hat grundsätzlich zwei Säulen“, erklärt Harald Lange. Ehrenamtliche hätten zum einen Spaß daran, etwas für andere zu machen. Zum anderen koste das Engagement natürlich Zeit und Kraft, und das könne manchmal sehr anstrengend sein.
Im besten Fall halten sich beide Säulen die Waage. Doch das ist dem JMU-Professor zufolge nicht immer so. Oft höre man Vereinsvorstände klagen, dass ihr Ehrenamt permanent viel zu viel Zeit und viel zu viel Kraft erfordert. Dadurch entsteht laut dem Sportwissenschaftler ein Missverhältnis.
Als Impuls aus der Studie wäre zu fragen, ob es all die Bürokratie, die Vereinen aufgebürdet wird, tatsächlich braucht. Ein weniger guter Weg wäre für Harald Lange eine weitere Kommerzialisierung des Ehrenamts. Dadurch, dass zum Beispiel manche Trainer regelrechte Gehälter bekommen und andere in finanzieller Hinsicht leer ausgehen, entstünde eine schwierige Debatte um das Gerechtigkeitsthema. „Allerdings sollten wir im Zusammenhang mit dem Ehrenamt vermehrt über das Thema ‚Anerkennung‘ nachdenken.“
Corona-Krise als mutmaßliche Ursache
Dass die Amateursport-Studie in Bezug auf die soziale Dimension des Sportvereinswesens verblüfft, ist möglicherweise auf die Corona-Krise zurückzuführen. „Dadurch, dass man sich nicht mehr treffen und gemeinsam Sport treiben konnte, hat man den Wert des sozialen Miteinanders erst richtig schätzen gelernt“, vermutet Harald Lange. Aus der Studie selbst allerdings ließen sich keine Zusammenhänge zwischen der Corona-Krise und der aktuell hohen sozialen Bedeutung des Amateursports ableiten.
Die Studie zeige aber, wie es um die „komplexe soziale Realität Sportverein“ im Moment bestellt ist. Im Sportverein gehe es demnach nicht in erster Linie darum Muskeln zu stärken, sondern soziale Beziehungen: „Maßgeblich darauf lassen sich Zufriedenheit und Glückserleben zurückführen.“ Sportvereine könnten durch die Studie angeregt werden, sich noch mehr als bisher auf das Soziale zu besinnen.
Weitere Studien sind geplant
Der soeben publizierten Untersuchung sollen weitere Studien zu weiteren Themen folgen. Harald Lange denkt da etwa an Aspekte wie Inklusion oder Integration. Schön fände es der Professor, wenn Anbieter von Amateursport und sportliche Fachverbände eigene, sie aktuell bewegende Fragen formulieren und an das Studienteam schicken würden.
Auch wenn noch nicht alle Aspekte abgeklopft sind, erhellt die aktuelle Studie die Situation des Vereinssports auf bedeutsame Weise. Eindeutig geht daraus hervor, dass sich der Vereinssport, anders, als oft behauptet, nicht in einer Krise befindet. Für Harald Lange sind die Studienergebnisse nicht zuletzt mit Blick auf die Stimmung im Land von Bedeutung: „Wir haben gerade enorme Probleme in der Gesellschaft, viele Themen polarisieren.“ Umso wichtiger sei es, soziale Instanzen wie den Amateursport zu haben: „Vor allem die nachwachsende Generation kann hier soziales Verhalten einüben.“
Publikation
„Amateursport in der Krise? Eine Studie aus Perspektive der Amateursportler:innen in Deutschland“. Dr. Joachim Lammert, Prof. Dr. Axel Faix, Prof. Dr. Harald Lange, Wilke de Boer, 2023. Frei abrufbar auf der Webseite von Fan.Q als pdf-Datei.
Kontakt
Prof. Dr. Harald Lange, Institut für Sportwissenschaft, Universität Würzburg, harald.lange@uni-wuerzburg.de