Ursache für Zwangsstörungen entdeckt
16.03.2017Wenn ein molekularer Signalweg in der Gehirnregion Amygdala zu stark aktiviert ist, kann das zu Zwangsstörungen führen. Diesen Zusammenhang hat ein Würzburger Forschungsteam aufgedeckt.
Manche Menschen haben große Angst vor Schmutz und Krankheitserregern. Bei ihnen kann sich ein Waschzwang entwickeln; sie reinigen sich dann ständig die Hände oder den Körper. Ein Teufelskreis, denn nach dem Waschen kommt die Angst vor neuem Schmutz schnell zurück. Die Betroffenen finden keinen Ausweg mehr. Sie können ihr Verhalten sogar dann nicht ändern, wenn sich durch das viele Waschen schon Hautirritationen zeigen oder Wunden entstanden sind.
An solchen und anderen Zwangsstörungen leiden etwa zwei Prozent der Bevölkerung wenigstens einmal im Leben. Charakteristisch für die Krankheit sind anhaltende, zwanghafte Gedanken, die durch immer wiederkehrende, ritualisierte Zwangshandlungen kompensiert werden.
Zwangsstörungen werden, wie auch Depressionen, Essstörungen und andere psychiatrische Krankheiten, mit Antidepressiva behandelt. Deren Wirkmechanismus ist allerdings unspezifisch, also nicht auf die Ursachen der jeweiligen Krankheit zugeschnitten. Darum sucht die Wissenschaft nach neuen Therapiemöglichkeiten, die gezielter wirken und weniger Nebenwirkungen haben.
Fehlendes Protein löst Reinigungszwang aus
Professor Kai Schuh vom Physiologischen Institut der Universität Würzburg und sein Team erforschen in Zusammenarbeit mit der Psychiatrie und der Neurologie die Grundlagen von Zwangserkrankungen. „Wir haben jetzt an einem Mausmodell nachgewiesen, dass allein ein Fehlen des Proteins SPRED2 ein übersteigertes Sauberkeitsverhalten auslösen kann“, sagt er. Das sei bedeutsam, weil für diese Art von Leiden noch kein klarer Auslöser identifiziert ist. Bislang deute alles darauf hin, dass es mehrere Faktoren sind, die zu einer Zwangsstörung führen.
Das Protein SPRED2 kommt in allen Zellen des Körpers vor, besonders konzentriert tritt es im Gehirn auf – und zwar in den Basalganglien und der Amygdala-Region. Normalerweise hemmt das Protein einen wichtigen Signalweg der Zelle, die so genannte Ras/ERK-MAP-Kinase-Kaskade. Wenn es fehlt, läuft dieser Signalweg mit einer höheren Aktivität ab als im Normalfall.
Signalkaskade im Gehirn wird übermäßig aktiv
„Es ist vor allem der gehirnspezifische Initiator des Signalwegs, die Rezeptortyrosinkinase TrkB, die hier verstärkt aktiv ist und die überschießende Reaktion der nachgeschalteten Komponenten bewirkt“, erklärt die Biologin Dr. Melanie Ullrich.
Wird die übermäßig aktive Signalkaskade im Tiermodell mit einem Hemmstoff beruhigt, führt das zu einer Milderung der Zwangshandlungen. Zudem konnte die Würzburger Forschungsgruppe die Zwangsstörung – in Analogie zur gängigen Therapie beim Menschen – mit einem Antidepressivum behandeln. Die Ergebnisse sind im Fachblatt „Molecular Psychiatry“ detailliert nachzulesen.
Neue Ansatzpunkte für Therapien erkannt
„Unsere Studie liefert ein wertvolles neues Modell, mit dem sich die Krankheitsmechanismen untersuchen und neue Therapiemöglichkeiten bei Zwangserkrankungen erproben lassen“, sagt Professor Schuh.
Durch die erstmals aufgedeckte Verbindung von Zwangserkrankungen mit der Ras/ERK-MAP-Kinase-Signalkaskade ergeben sich auch neue Ansatzpunkte für Therapiemöglichkeiten. Denn es gibt bereits Medikamente, die diese Kaskade hemmen und die teils zur Behandlung des Menschen zugelassen sind.
Laut Melanie Ullrich handelt es sich dabei um Krebsmedikamente, denn die Überaktivierung der Ras/ERK-MAP-Kinase-Kaskade sei häufig auch ein Auslöser von Krebserkrankungen: „Da ist es nun fraglich, ob solche Medikamente auch gegen Zwangsstörungen wirken und ob sie hinsichtlich der Nebenwirkungen Vorteile bringen.“
“OCD-like behavior is caused by dysfunction of thalamo-amygdala circuits and upregulated TrkB/ERK-MAPK signaling as a result of SPRED2 deficiency”, Molecular Psychiatry, DOI: 10.1038/mp.2016.232
Kontakt
Dr. Melanie Ullrich, Physiologisches Institut der Universität Würzburg, T +49 931 31-80133, m.ullrich@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Kai Schuh, Physiologisches Institut der Universität Würzburg, T +49 931 31-82740, kai.schuh@uni-wuerzburg.de