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Was Verben sagen

06.07.2021

St. Petersburg, Paris, Leiden: Der Sprachwissenschaftler Dr. Petr Kocharov hat schon an vielen Orten gearbeitet. Jetzt erforscht er als Stipendiat der Humboldt-Stiftung an der Uni Würzburg die Wurzeln des Altarmenischen.

„Die Universität Würzburg bietet für meine Forschung eine sehr gute Umgebung“: Davon ist Petr Kocharov überzeugt. Aus diesem Grund hat er sich als Humboldt-Stipendiat für den Aufenthalt an der JMU entschieden.
„Die Universität Würzburg bietet für meine Forschung eine sehr gute Umgebung“: Davon ist Petr Kocharov überzeugt. Aus diesem Grund hat er sich als Humboldt-Stipendiat für den Aufenthalt an der JMU entschieden. (Bild: Gunnar Bartsch / Universität Würzburg)

Wie wohl die Germanen im fünften Jahrhundert gesprochen haben? Und geschrieben? Kaum vorstellbar, dass ihre Sprache noch im 19. Jahrhundert zumindest in schriftlicher Form in Deutschland zum Einsatz gekommen wäre. Im Fall des Altarmenischen ist das so. Altarmenisch: Das ist die Sprache der ältesten erhaltenen Bibelübersetzung aus dem Jahr 406 nach Christi Geburt. Geschrieben in einer Schrift, die der Mönch und Gelehrte Mesrop Maschtoz eigens zu diesem Zweck erfunden hat. Die Buchstaben dieses Alphabets sind in Armenien heute noch in Gebrauch. Und das klassische Armenisch war bis in das 19. Jahrhundert hinein immerhin Literatursprache und findet auch heute noch Verwendung – wenn auch nur im kirchlichen Bereich.

Altarmenisch: Das ist das Spezialgebiet von Dr. Petr Kocharov. Der Sprachwissenschaftler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Linguistische Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und Lehrbeauftragter an der Staatlichen Universität St. Petersburg. Seit März 2021 ist er für zwei Jahre als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung zu Gast an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Bei Professor Daniel Kölligan, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Sprachwissenschaft, sucht er mit Hilfe des klassischen Armenisch nach den Wurzeln der indogermanischen Sprachen.

Ein Sprachraum von Norwegen bis Indien

„Geschätzt 7.000 Sprachen werden heute weltweit gesprochen. Sie lassen sich in rund 150 Sprachfamilien zusammenfassen. Eine davon ist das Indogermanische“, erklärt Petr Kocharov. Vom nördlichen Europa über das Mittelmeer und den Alten Orient bis nach Indien und Zentralasien erstreckt sich der Sprachraum des Indogermanischen. Zu dessen Tochtersprachen zählen unter anderem die germanischen, romanischen, baltischen, slavischen, indoiranischen und keltischen Sprachen sowie das Griechische. Sie alle sollen sich aus einer gemeinsamen Grundsprache, dem sogenannten Urindogermanischen, entwickelt haben. Auf dessen Spur ist Kocharov.

„Vom klassischen Armenisch lässt sich im Vergleich mit den Entwicklungen anderer indogermanischer Sprachen auf das Urindogermanische zurückschließen. Umgekehrt lässt sich mit dem Wissen über die Ursprünge die Entwicklung indogermanischer Sprachen nachvollziehen“, erklärt Kocharov. In seiner Zeit als Humboldt-Stipendiat will sich Kocharov auf die Geschichte des altarmenischen Verbs konzentrieren. Das hat sich über drei Jahrtausende hinweg vom Urindogermanischen zum klassischen Armenischen entwickelt – und gibt der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft immer noch viele Rätsel auf.

Komplexe Mischung aus traditionellen Bestandteilen und neuen Einflüssen

„Altarmenische Verben weisen eine reichhaltige Morphologie auf“, erklärt Petr Kocharov. Oder anders ausgedrückt: Eine Vielzahl von Verb-Enden bestimmt darüber, in welcher Zeit das Verb steht, in welchem Geschlecht, ob in Einzahl oder Mehrzahl und anderes mehr. Immer steht diese Morphologie im Zusammenhang mit der Bedeutung, und diese wiederum bestimmt den Gebrauch der Grammatik. Klingt kompliziert, wird aber von jedem Muttersprachler ganz automatisch berücksichtigt, wenn er beispielsweise im Deutschen im Perfekt mal „Ich habe etwas getan“ sagt oder „Ich bin in die Stadt gegangen“ und damit ohne Nachzudenken der Regel folgt, dass Verben der Bewegung das Perfekt mit „sein“ bilden, nicht mit „haben“.

Im Fall der altarmenischen Verben steht die Wissenschaft vor dem Problem, dass nur eine relativ kleine Anzahl sicher aus bekannten urindogermanischen Verbalwurzeln abgeleitet werden kann. Diese Verben zeigen in ihrer morphologischen Struktur eine komplexe Mischung aus ererbten Bestandteilen und neuen Einflüssen. Nach mehr als einhundert Jahren Forschung wird der genaue Umfang dieser sogenannten Archaismen und Neuerungen immer noch debattiert, und die Faktoren, welche die jeweiligen morphologischen Merkmale bedingen, harren zum Großteil einer Erklärung. Petr Kocharov will seinen Teil dazu beitragen, diese Rätsel zu lösen.

JMU: Der perfekte Gastgeber

„Die Universität Würzburg bietet für meine Forschung eine sehr gute Umgebung, und Professor Kölligan ist der perfekte Gastgeber für mich“, sagt der Humboldt-Stipendiat, wenn man ihn fragt, warum er sich für die JMU entschieden hat. Tatsächlich sei Kölligan einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachwissenschaft. Dazu kommen eine überaus reich ausgestattete Bibliothek, die auch den Zugang zu einer Vielzahl von Fachzeitschriften gewährleistet, und ein sehr kollegiales Umfeld und ein gutes Teamwork.

Letzteres sei für ihn besonders wichtig, sagt Kocharov. Zwar verbringt er für seine Forschung viel Zeit am Computer, wo er in umfangreichen Datenbanken Verben mit indogermanischen Wurzeln auf ihre morphologischen, syntaktischen und semantischen Eigenschaften hin untersucht oder definiert, untereinander vergleicht und den Zusammenhang zwischen Lexikalität – also der Bedeutung – und der Grammatik untersucht. Wenn er dann aber seine Theorien entwickelt, sei es von großem Vorteil, wenn er diese mit den Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl diskutieren kann. Auch die Lage des Lehrstuhls am Rande des Campus Hubland Nord schätzt Kocharov. „Hier ist es sehr still. Das hilft mir sehr mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.“

Beste Voraussetzungen also, um in den zwei Jahren als Humboldt-Stipendiat das Wissen über die Verben des Altarmenischen und das Urindogermanische entscheidend voran zu bringen. Was er danach vorhat? „Das ist schwer zu sagen. Die Welt ändert sich heutzutage sehr schnell“, sagt er. Offen steht ihm auf alle Fälle die Rückkehr nach St. Petersburg an die Russische Akademie der Wissenschaften. Dort könne er sich habilitieren; seine Forschungsergebnisse aus Würzburg könnten dafür die Basis liefern.

Zur Person

Petr Kocharov wurde am 17. Dezember 1981 in Leningrad, UdSSR (heute St. Petersburg, Russland), geboren. 1999 nahm er das Studium der Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Staatlichen Universität St. Petersburg auf. Dort wählte er Indogermanistik als Hauptfach mit einer Spezialisierung auf die historische Grammatik des Altarmenischen. Im Jahr 2005 schloss er sein Studium an der Staatlichen Universität St. Petersburg mit Auszeichnung ab. Von 2005 bis 2008 absolvierte er ein Postgraduiertenprogramm an der Staatlichen Universität St. Petersburg und erwarb den Grad eines Kandidaten der Wissenschaften. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Linguistische Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und Lehrbeauftragter an der Universität St. Petersburg.

Während seines Studiums erhielt Kocharov ein einjähriges Stipendium für den Studiengang Indogermanistik an der École pratique des hautes études (Paris, 2003/2004), den er mit dem Diplom der EPHE abschloss. Im Rahmen seines Postgraduierten-Programms erhielt er außerdem ein Stipendium für das Studium der Indogermanistik und der altarmenischen Philologie an der Universität Leiden (2007/2008).

Kontakt

Dr. Petr Kocharov, Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, T: +49 931 31-82550, petr.kocharov@uni-wuerzburg.de

Von Gunnar Bartsch

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