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Zylinderrotationen in nano

16.06.2016

Es klingt wie eine High-Tech-Story, stammt aber aus längst vergangener Zeit. Klein ist es auch, aber dennoch weit entfernt vom Nano-Bereich. Trotz alledem wurde es jetzt, in „nano“ sichtbar, dem Wissenschaftsmagazin von 3sat.

Dreharbeiten für die Sendung „nano“ im Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der Psychologie.
Dreharbeiten für die Sendung „nano“ im Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der Psychologie. (Bild: presse@uni-wuerzburg.de)

Hinter dieser rätselhaften Beschreibung verbirgt sich eine scheinbare Trivialität, die jedoch zu einem kleinen Abenteuer wurde: Die Digitalisierung von Wachswalzen am Adolf-Würth-Zentrum (AWZ) für Geschichte der Psychologie der Universität Würzburg.

Wachswalzen sind die Tonträger der Urzeit, Vorläufer von Schellack- und Langspielplatte, von CD, DVD und Blu-ray. Es handelt sich dabei um etwa zehn Zentimeter lange, 5,5 Zentimeter breite und etwa einen halben Zentimeter dicke Wachszylinder.

Bespielt wurden sie rein mechanisch mit einem Edison-Phonographen. Über einen Schalltrichter, in den man sprach, sang oder musizierte, wurde der Schall verstärkt auf eine Nadel übertragen, die diese Schallwellen dann in das weiche Wachs eingravierte. Einmal bespielt, konnte eine solche Aufnahme nur wenige Male abgehört werden, bevor sie unbrauchbar wurde. Erst als es mit Hilfe einer Galvanisierungstechnik gelang, von den weichen Aufnahmewalzen Kopien auf widerstandsfähigeren Wachszylindern zu erstellen, war der Grundstein für die Musikindustrie gelegt.

Mit Wachswalzen auf Forschungsreise

Wachswalzen wurden aber auch ab Ende des 19. Jahrhunderts als Aufnahmemedium für Forschungszwecke genutzt. Der erste, der in Deutschland die Idee hatte, systematisch die Sprachen und Gesänge der Völker dieser Erde auf Wachswalzen zu konservieren und sie damit der Erforschung zugänglich zu machen, war der Psychologe Carl Stumpf (1848-1936). Über ihn ist im AWZ derzeit eine Ausstellung zu sehen.

Carl Stumpf hatte viele Forschungsreisende mit Phonographen und Walzen ausgestattet, und diese brachten dann die Aufnahmen aus aller Welt zur Analyse nach Deutschland. Die Carl-Stumpf-Ausstellung war auch der Anlass, so AWZ-Leiter Professor Armin Stock, sich intensiver mit den im Zentrum aufbewahrten Wachswalzen auseinanderzusetzen.

„Als wir unsere etwa 60 Wachswalzen genauer in Augenschein nahmen, konnten wir ermitteln, dass diese aus den Jahren zwischen 1901 und 1930 stammen und Aufnahmen aus praktisch allen Kontinenten dieser Erde enthalten“, so Stock. „Wir mussten aber auch bald feststellen, dass die Beschriftung auf der Verpackung häufig nicht mit dem Inhalt übereinstimmte. So entstand schnell das Bedürfnis, die Aufnahmen wieder hörbar zu machen und damit sozusagen ‚ein Backup‘ anzufertigen“.

Ein selbst gebautes Abspielgerät

Leicht gesagt, aber schwer getan, denn das Wissen über die Wachswalzentechnologie musste zunächst durch Recherchen zusammengetragen werden. Dabei zeigte sich schnell, dass es weltweit nur wenige Spezialisten gibt, die Wachswalzen digitalisieren können. Gemeinsam mit der Restauratorin des Zentrums, Esther Gildemann, konstruierte Armin Stock eine Apparatur, mit der die Zentrumsmitarbeiter selbst die Abtastnadel aus dünnen Glasstäbchen zogen. „Das war ein Projekt, das uns immer wieder viel Ausdauer abverlangte, und bei dem wir ständig aus unseren Fehlern lernen mussten“, erzählt Stock.

„Da wir unsere Technik im Entwicklungsstadium nicht an unseren Originalwalzen ausprobieren konnten, haben wir uns im Internet eigens eine Neuprägung eines Gesangs von Caruso und eine wissenschaftlich nicht so wertvolle alte Walze mit Zithermusik gekauft“, so Stock weiter. Während es beim Edison-Phonographen einen Antrieb gibt, der die Nadel exakt entlang der Rille führte, entschloss man sich am AWZ für das passive Mitlaufen. „Der passive Antrieb ist für die Walze gefahrloser als der aktive, bei dem man die Parallelität zwischen Nadelvortrieb und Rille exakt einhalten muss. Allerdings muss der Tonabnehmer beim passiven Antrieb möglichst leicht gebaut werden, damit die Rille der Walze ihn vorantreibt“, erklärt Stock.

Hörerlebnisse aus vergangenen Zeiten

Nachdem alles funktionierte, begann man die Walzen zu digitalisieren und konnte nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder hören, was sie bislang als geheimen Schatz verbargen. „Das waren ganz tolle Momente“, schwärmt Stock. „Es ist unglaublich beeindruckend, wenn man diese Vielfalt an Musik hört, die sich in unterschiedlichen Kulturen entwickelt hat. Wir verstehen nun viel besser, warum der Musikpsychologe Carl Stumpf sich dieser Tätigkeit mit solcher Begeisterung widmete und diesen Schatz erschuf, von dem wir nur einen Bruchteil in unserer Sammlung haben, der aber ansonsten im Phonogramm-Archiv Berlin liegt, das inzwischen zum ‚Memory of the World‘ der UNESCO gehört.“

Als die Walzen digitalisiert waren, erzählte Stock die Geschichte einer Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk und erweckte damit sofort das Interesse. Ein Kamerateam drehte einen ganzen Tag lang sehr aufwändig im Adolf-Würth-Zentrum und erstellte einen Beitrag über die Wachswalzendigitalisierung. Am Mittwoch, 16. Juni, wae er in „nano“, dem Wissenschaftsmagazin von 3sat, zu sehen.

Präsentation im Internet

Und wie geht es mit den Digitalisaten weiter? „Da die Aufnahmen natürlich stark mit Knacksern und Rauschen versehen sind, werden wir sie nach und nach digital restaurieren und anschließend über das Internet der Forschung von Ethnologen, Musikwissenschaftlern, Musikpsychologen und nicht zuletzt Psychologiehistorikern zur Verfügung stellen. Auch Filmmusikkomponisten können hier gewiss die eine oder andere Anregung erfahren“, so Stock.

Kontakt

Prof. Dr. Armin Stock, Zentrum für Geschichte der Psychologie
T (0931) 31-82620

Zur Homepage des Adolf-Würth-Zentrums

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