Christine Ott, Deutsche Sprachwissenschaft, Verlag Stellwerck
06.07.2015Aktuell: Geschäftsleitung des Verlags Stellwerck und Doktorandin Studium: Deutsche Sprachwissenschaft
Was arbeiten Absolventen der Universität Würzburg? Um den Studierenden verschiedene Perspektiven vorzustellen, hat Michaela Thiel, Geschäftsführerin des zentralen Alumni-Netzwerks, ausgewählte Ehemalige befragt. Diesmal ist die Germanistin Christine Ott an der Reihe.
Noch während ihres Studiums gründete Alumna Christine Ott zusammen mit Michael Pfeuffer im Jahr 2008 den Verlag Stellwerck. Ihre Motivation war, für Nachwuchsautoren eine Plattform für erste Veröffentlichungen zu schaffen. Neben ihrer Tätigkeit für den Stellwerck-Verlag promoviert Christine Ott an der Philosophischen Fakultät im Fach Deutsche Sprachwissenschaft.
Frau Ott, schlagen in Ihrer Brust zwei Herzen? Oder wie vereinbaren Sie zwei so intensive Tätigkeiten wie eine Promotion und die Verlagsleitung?
Nicht ganz zwei Herzen, schließlich sind beide Tätigkeiten über das Interesse am gesprochenen und geschriebenen Wort miteinander sehr eng verbunden!
Was steht denn im Mittelpunkt Ihres wissenschaftlichen Interesses?
Als Wissenschaftlerin forsche ich zum Beispiel zur Frage, welches Weltbild und welche Wertehandlungen wir in unserem Sprechen und Schreiben transportieren. Welche Rollenbilder aktualisieren beispielsweise Bezeichnungen wie Familienvater? Wer benutzt zu welchem Zweck und mit welcher Wirkung Angstwörter wie Überfremdung, welche Karriere nehmen diese dann in der öffentlichen Diskussion und Meinungsbildung? Der Literatur kommt, so finde ich, eine zentrale Rolle dabei zu, neue Sichtweisen auf ‚unsere‘ Welt zu ermöglichen. In ihr kann anhand einer Romanfigur beispielsweise nachvollzogen werden, wie essentialistische Konzepte wie ‚Deutsch-Sein‘ oder ‚Mann-Sein‘ auf einmal hinterfragt und vieldeutiger werden. Literatur ermöglicht es uns, in Vermittlung des fiktionalen Personals Abenteuer zu erleben, persönlichkeitsverändernde Erfahrungen zu machen, und sie fordert uns heraus, über uns selbst zu reflektieren.
Und wo kommt da die Verlegerin ins Spiel?
Als Verlegerin suche ich nach solchen zum Teil sehr persönlichen Momenten in den uns zugeschickten Texten. Für mich wenigstens ist diese Doppeltätigkeit also eine runde Sache (lacht)!
Was war die Initialzündung für die Gründung Ihres Verlages?
Junge Literaten und Literatinnen haben es sehr schwer im Literaturbetrieb. Sie müssen vor allem gut ‚vermarktbar‘ sein - also zum Beispiel eine besonders aufregende Lebensgeschichte oder berühmte Eltern haben; oder sie sind Journalisten, beziehungsweise Journalistinnen und bringen beste Kontakte zur Presse mit. Das fanden wir problematisch, weil die Textqualität häufig nicht an erster Stelle steht. Wie soll literarische Innovation so in den Markt finden, wenn die Verlage vor allem die Verkäuflichkeit zur Grundlage ihrer Entscheidung über einen Titel machen?
Was ist hierbei die größte Herausforderung?
Wir haben uns nie zum Ziel gesetzt, über die Verlagstätigkeit ein Einkommen zu generieren. Insofern ist Stellwerck ein reines Liebhaberprojekt. Die größte Herausforderung dabei ist gar nicht so sehr, die Refinanzierung jedes unserer Titel sicherzustellen – das funktioniert erstaunlicherweise sehr gut. Nein, die größte Herausforderung ist es, in den etablierten Medien als Kleinstverlag Gehör zu finden.
Was gefällt Ihnen an dieser Arbeit besonders gut?
Wunderbar sind die Rückmeldungen von Lesern und Leserinnen und vom Publikum auf unsere Bücher und Veranstaltungen – und natürlich die Freundschaften, die inzwischen zu unseren Autoren und Autorinnen entstanden sind!
Wie bewerten Sie die deutsche Literaturszene – gibt es „Vorbild-Verlage“ für Sie?
Die Branche ist weiterhin im Umbruch, der Markt durch ePublishing-Möglichkeiten liberalisiert. In den traditionellen Verlagen wird immer mehr Arbeit aus den Lektoraten auf Literaturagenturen ausgelagert. Das macht es für Autoren und Autorinnen fernab des Mainstreams aber nicht unbedingt einfacher. Verlage mit Vorbildcharakter sollten in meinen Augen die Rolle der Lektorin oder des Lektors wieder stärken.
Gibt es Ihrer Meinung nach herausragende Autorinnen?
Natürlich gibt es herausragende Autorinnen! Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt sind immer wieder Perlen der Gegenwartsliteratur dabei. Und auch in der Vergangenheit gab es fantastische Literatinnen, häufig sind große Literatinnen der Geschichte noch gar nicht entdeckt. Ich persönlich finde Katja Petrowskaja und Nora Gomringer herausragende Vertreterinnen der Gegenwartsliteratur – und aus meiner eigenen Altersklasse: Pauline Füg und Nathalie Keigel.
Womit befassen Sie sich in Ihrer Doktorarbeit?
Ich untersuche in meinem Dissertationsvorhaben, wie Geschlechterkonzepte in Sprache aktualisiert und transformiert werden. Einfach gesagt: Welche Geschlechtervorstellungen werden im Sprechen und Schreiben transportiert? Ich schaue mir im Konkreten Schulbücher an, die aktuell wieder heiß diskutiert werden. Mich interessiert an den Schulbüchern auch, welche Rolle Geschlechterfragen in der Arbeit an Schulbüchern und in der Begutachtung von Schulbüchern durch Behörden einnehmen und eingenommen haben.
Was würden Sie Studierenden raten, die einen ähnlichen Weg einschlagen möchten – in Bezug auf die Selbstständigkeit; in Bezug auf eine Promotion?
Netzwerken und sich mit Gleichgesinnten austauschen – das ist banal, aber meiner Erfahrung nach zentral, will man nicht jeden Fehler selbst machen.
Vielen Dank für das Gespräch!