Dr. Michael Stahl, VWL, Gesamtmetall
04.06.2012Aktuell: Geschäftsführer Bildung und Volkswirtschaft Studium: Volkswirtschaft
Herr Stahl, Sie arbeiten bei Gesamtmetall, dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie, als Geschäftsführer für die Bereiche Bildung und Volkswirtschaft. Wie war der Weg vom Studium der Volkswirtschaftslehre zu Ihrem aktuellen Beruf?
Nicht ganz so direkt, wie man auf den ersten Blick vielleicht vermuten könnte, weil ja die Arbeit in Verbänden zu einem wichtigen Beschäftigungsfeld für Volkswirte gehört. Ich habe aber nach Studium und Assistentenzeit in Würzburg beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln angefangen und war dort für rund 15 Jahre in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
Dabei bin auch regelmäßig mit dem Verband Gesamtmetall in Kontakt gekommen und 2002 dorthin gewechselt. Damals hatte der Verband noch seinen Sitz in Köln, aber der Umzug nach Berlin war schon beschlossen und für mich mit ein Grund für den Wechsel.
Das Geschäftsgebäude des Arbeitgeberbandes in Berlin hat einiges an Geschichte zu erzählen. Wie wird mit diesem geschichtlichen Hintergrund umgegangen?
In Berlin wird man fast an jedem Ort mit der Geschichte konfrontiert. So ist es auch mit unserem Dienstsitz in der Voßstraße in Berlin-Mitte. Dort stand bis 1938 das Haus einer jüdischen Bankiersfamilie, das aber für den Bau der neuen Reichkanzlei abgerissen wurde, wie die anderen Häuser auf der Nordseite der Voßstraße auch. Die Familie wurde 1936 zum Verkauf des Grundstücks gezwungen. Nach dem Krieg war an dieser Stelle das Niemandsland des Mauerstreifens zwischen West- und Ostberlin. Nach der Wende wurde das Grundstück wieder an die Erben der jüdischen Familie rückübereignet und wir haben es über eine Projektgesellschaft erworben.
Es gibt ein Buch über die Geschichte der Familie und deren Zeit in der Voßstraße, das wir auch bei einer Veranstaltung in unserem Haus vorgestellt haben. Außerdem haben wir eine Doktorandin unterstützt, die sich in ihrer Dissertation mit der Geschichte des Hauses auseinandersetzt. Die Schrift wird in Kürze veröffentlicht werden.
In einem Interview sprechen Sie davon, dass 60 Prozent der Produktion der Branche ins Ausland gehen - welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die interkulturelle Kompetenz?
Der Export ist nur eine Seite. Viele unserer Unternehmen haben auch Produktionsstätten, Vertriebszentren oder Beteiligungen an ausländischen Unternehmen und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten im Ausland. Deshalb spielt die interkulturelle Kompetenz eine immer wichtigere Rolle in der Weiterbildung.
Der korrekte Umgang mit den Sitten und Gebräuchen im Ausland ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Deshalb bieten die Bildungswerke der Wirtschaft auf diesem Gebiet den Unternehmen auch Schulungen und Seminare zu diesem Thema an.
Was, würden Sie sagen, ist besonders hervorzuheben an aktuellen Anstrengungen in Bezug auf Innovationsleistung und eine qualitativ gute Ausbildung junger Fachkräfte?
Dieser Punkt ist eigentlich ein Grund zur Sorge: Bei der Ausbildung der Facharbeiter bekommen unsere Betriebe zunehmend Schwierigkeiten, weil die Zahl der Schulabgänger sinkt und etwa 20 Prozent eines Jahrgangs weiterhin als nicht ausbildungsreif gelten müssen. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist die Zahl der Schulabgänger zuletzt Jahr für Jahr um drei bis vier Prozent zurückgegangen.
Im Jahr 2010 haben fast 100.000 Schüler weniger die allgemein bildenden Schulen verlassen als noch im Jahr 2004. Die Folge davon ist, dass unsere Unternehmen nicht mehr alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen können. Das zehrt auf Dauer an unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Wie sieht es mit den Beschäftigungschancen für Akademiker in der Branche aus?Was sollten junge Leute studieren, wenn sie in Ihren Unternehmen eine Chance haben wollen? Grundsätzlich steigt das geforderte Qualifikationsniveau weiter an, so dass akademisch Gebildete auch künftig sehr gute Chancen haben.
Einen Punkt will ich aber hervorhaben: Wir haben zu wenig Naturwissenschaftler und Ingenieure und alle Zahlen deuten darauf hin, dass es auch in den nächsten Jahren eher schlimmer als besser wird. Wer sich also noch nicht ganz schlüssig ist, was er oder sie studieren soll, der oder die möge doch bitte mit besonderem Wohlwollen auf die Natur- und Ingenieurwissenschaften schauen.
Übrigens ist die Quote der jungen Frauen in diesen Fächern bislang noch lächerlich gering. Andererseits ist die Abbrecherquote überdurchschnittlich hoch, hier sind auch die Unis gefordert.
Was verbinden Sie heute mit Ihrer ehemaligen Universität Würzburg?
Die WiWi-Fakultät war zu meiner Zeit noch gut überschaubar, man hatte noch die Chance, seine Kommilitonen kennenzulernen. Und die Fakultät hatte – damals wie heute – hochkarätige Wissenschaftler und akademische Lehrer in ihren Reihen.
Die Weinfeste in der Stadt und in der Umgebung waren zweifellos Höhepunkte des Studentenlebens, vor allem in den ersten Jahren, als sie noch nicht ein Muss für jedermann waren.
Ich erinnere mich auch gerne daran, dass ich als Studentenvertreter der WiWi-Fakultät an der Organisation eines Studenten-Festes zur 400-Jahr-Feier der Wiedergründung Uni 1982 beteiligt war. Wir kamen damals erst sehr spät auf den Trichter, dass es viele Feiern der Uni gab, aber keine ausgesprochene für die Studenten. Die Uni-Leitung ließ aber dann ein Festzelt im Hubland etwas länger stehen und die Studentenvertreter mehrerer Fakultäten haben recht spontan ein großes Fest organisiert, das zu unserer eigenen Überraschung ein Riesenerfolg wurde.
Verraten Sie uns Ihr persönliches Leitmotiv?
In der hektischen Hauptstadt Berlin kann man am besten bestehen, wenn man sich an das Motto hält: „In der Ruhe liegt die Kraft“ Ich bin kein Heimat- und Sprachforscher, aber ich finde, es könnte sehr gut ein fränkisches Motto sein.
Vielen Dank für das Gespräch!