Forschung: Anti-Tumormittel aus dem Darm
09.08.2021Bestimmte Stoffwechselprodukte von Bakterien aus dem Darm machen Immunzellen aggressiver. Das zeigt eine neue Studie der Universitäten Würzburg und Marburg. Die Erkenntnisse könnten helfen, Krebstherapien zu verbessern.
Es soll an der Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen beteiligt sein, Diabetes auslösen, für Übergewicht sorgen, sogar neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson könnten hier ihre Ursachen haben – ganz zu schweigen von Depressionen und autistischen Störungen. Die Rede ist vom Mikrobiom – der gewaltigen Ansammlung von Bakterien im menschlichen Darm. Jeder Mensch trägt geschätzt rund 100 Billionen Bakterienzellen in seinem Verdauungstrakt, die mehreren tausend Arten angehören.
Im Mittelpunkt der Forschung steht das Mikrobiom seit gut 20 Jahren – seit eine neue Technik eine schnelle und präzise Analyse dieser Bakterien möglich gemacht hat: die Hochdurchsatzsequenzierung. Seitdem häufen sich die Befunde, dass das Mikrobiom, das bisweilen auch als zweites menschliches Genom bezeichnet wird, nicht nur für die Verdauung von zentraler Bedeutung ist, sondern auch eine Vielzahl von Körperfunktionen, wenn nicht steuert, so doch zumindest beeinflusst. Besonders häufig genannt wird dabei das Immunsystem.
Das Mikrobiom beeinflusst das Immunsystem
Jetzt ist Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Würzburg und Marburg erstmals der experimentelle Nachweis gelungen, dass bakterielle Stoffwechselprodukte in der Lage sind, die zytotoxische Aktivität bestimmter Immunzellen zu steigern und damit die Effizienz von Tumortherapien positiv zu beeinflussen. Über die Zusammensetzung der Bakterienarten im Mikrobiom könnte somit im Idealfall dessen Einfluss auf den Therapieerfolg gesteuert werden.
Die Ergebnisse seiner Studie hat das Forschungsteam in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Verantwortlich dafür war Dr. Maik Luu, Postdoc im Labor von Professor Michael Hudecek in der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Würzburger Universitätsklinikums. Weiterer Beteiligter war Professor Alexander Visekruna vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Philipps-Universität Marburg, wo Luu vor seinem Wechsel nach Würzburg geforscht hat.
Fettsäuren steigern die Aktivität der Killerzellen
„Wir konnten zeigen, dass die kurzkettigen Fettsäuren Butyrat und insbesondere Pentanoat in der Lage sind, die zytotoxische Aktivität von CD8-T-Zellen zu steigern“, beschreibt Maik Luu das zentrale Ergebnis der jetzt veröffentlichten Studie. CD8-T-Zellen werden bisweilen auch Killerzellen genannt. Als Teil des Immunsystems ist es ihre Aufgabe, für den Organismus schädlich Zellen gezielt zu töten.
Kurzkettige Fettsäuren wiederum gehören zur dominantesten Klasse von Stoffwechselprodukten des Darmmikrobioms. Sie können auf der einen Seite den Stoffwechsel von T-Zellen ankurbeln, indem sie zentrale Regulatoren des Energiestoffwechsels induzieren. Auf der anderen Seite können sie spezielle Enzyme hemmen, welche in den T-Zellen die Zugänglichkeit zum Erbgut und somit die Gen-Expression regulieren. Dabei rufen sie epigenetische Veränderungen hervor.
Solide Tumormodelle werden effektiver bekämpft
„Wenn kurzkettige Fettsäuren CD8-T-Zellen umprogrammieren, führt dies unter anderem zu einer gesteigerten Produktion entzündungsfördernder und zytotoxischer Moleküle“, erklärt Luu. Im Experiment steigerte eine Behandlung mit der Fettsäure Pentanoat die Fähigkeit von Tumor-spezifischen T-Zellen, solide Tumormodelle zu bekämpfen. „Denselben Effekt konnten wir bei der Bekämpfung von Tumorzellen mit sogenannten CAR-T-Zellen beobachten“, sagt der Wissenschaftler.
CAR-T-Zellen sind ausgeschrieben „Chimäre Antigen-Rezeptor-T-Zellen“. Während normale T-Zellen gegenüber Tumorzellen weitgehend „blind“ sind, sind CAR-T-Zellen dank einer gentechnologischen Veränderung in der Lage, spezifische Ziel-Antigene auf der Tumoroberfläche zu erkennen und die Krebszellen zu vernichten. Michael Hudecek ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der CAR-T-Zell-Forschung.
Gezielte Steuerung über die Zusammensetzung des Mikrobioms
„Die Ergebnisse sind somit ein Beispiel dafür, wie Stoffwechselprodukte der Darmbakterien den Stoffwechsel und die Gen-Regulation unserer Zellen verändern und damit die Effizienz von Tumortherapien positiv beeinflussen können“, sagt Maik Luu. Davon profitieren könnte insbesondere der Einsatz von CAR-T-Zellen gegen solide Tumore.
In diesen Fällen ist eine Therapie mit den genetisch veränderten Zellen bislang nämlich deutlich weniger effektiv als die Behandlung hämatologischer Tumorerkrankungen wie etwa einer Leukämie. Ändern könnte sich dies, wenn die CAR-T-Zellen vor ihrem Einsatz beim Patienten mit Pentanoat oder anderen kurzkettigen Fettsäuren behandelt wurden, so die Hoffnung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Über die Zusammensetzung der bakteriellen Darmbesiedlung ließe sich dieser Effekt möglicherweise gezielt nutzen – zumal Luu und die weiteren an der Studie Beteiligten auch den wesentlichen Pentanoat-Produzenten der Darmflora identifizieren konnten: das Bakterium Megasphaera massiliensis.
Weiter Weg bis zum Einsatz in der Klinik
Bis die neuen Erkenntnisse zu neuen Therapien für Krebspatienten führen, ist es allerdings noch ein weiter Weg. In einem nächsten Schritt will das Forschungsteam zunächst das Spektrum der untersuchten Tumorerkrankungen erweitern und neben weiteren soliden Tumoren auch hämatologische Tumorerkrankungen wie das Multiple Myelom betrachten. Darüber hinaus will es die Arbeitsweise kurzkettiger Fettsäuren intensiver untersuchen, um so Ansatzpunkte für gezielte genetische Veränderungen zu identifizieren.
Finanziell unterstützt wurde die Studie von der P. E. Kempkes-Stiftung, der Von Behring-Röntgen-Stiftung, der Deutschen Krebshilfe, der Fazit-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Originalpublikation
Microbial short-chain fatty acids modulate CD8+ T cell responses and improve adoptive immunotherapy for cancer. Maik Luu, Zeno Riester, Adrian Baldrich, Nicole Reichardt, Samantha Yuille, Alessandro Busetti, Matthias Klein, Anne Wempe, Hanna Leister, Hartmann Raifer, Felix Picard, Khalid Muhammad, Kim Ohl, Rossana Romero, Florence Fischer, Christian A. Bauer, Magdalena Huber, Thomas M. Gress, Matthias Lauth, Sophia Danhof, Tobias Bopp, Thomas Nerreter, Imke E. Mulder, Ulrich Steinhoff, Michael Hudecek & Alexander Visekruna. Nature Communications, https://doi.org/10.1038/s41467-021-24331-1
Kontakt
Dr. Maik Luu, Medizinische Klinik und Poliklinik II, T: +49 931 201-71094, Luu_m@ukw.de
Quelle: Pressemitteilung der JMU Würzburg vom 6. Juli 2021