Matthias Romir, Sonderpädagogik, Künstler
04.10.2010Aktuell: Professioneller Jongleur & Künstler Studium: Sonderpädagogik
"Ich denke, dass Alumni-Netzwerke gerade dann, wenn man nach seinem Studium nicht in dem Fach arbeitet, das man studiert hat, sehr nützlich sein können, auch um Kontakte zu ehemaligen Komilitonen nicht zu verlieren."
Herr Romir, Sie haben in Würzburg Sonderpädagogik studiert. Können Sie uns kurz beschreiben, warum Sie sich für dieses Studium entschlossen haben?
Ich wollte etwas machen, das mit Menschen zu tun hat. Nach meinem Zivildienst in einer Schule und Tagesstätte für Körperbehinderte, den ich sehr genossen habe, stand die Entscheidung, Körperbehindertenpädagogik auf Lehramt zu studieren.
Nach dem Abschluss Ihres Studiums arbeiten Sie mittlerweile als professioneller Jongleur.
Ich wusste schon eine ganze Weile bevor ich mein Studium beendete, dass ich erst einmal nicht Lehrer werden würde. Ich jongliere seit ich 12 bin. Es war auch eine Zeitlang eine Erwägung, nach dem Abitur auf eine Zirkusschule zu gehen. Ich dachte aber, dass ich meine Leidenschaft nicht zum Beruf machen möchte, weil ich mich keinen Zwängen aussetzen wollte. Ich wollte das aus Spaß machen. Vielleicht hab ich mich auch einfach nicht getraut.
Wie ist es zu Ihrer Entscheidung gekommen?
Irgendwann während des Studiums, als die Arbeit mehr wurde, hab ich gemerkt, dass mir das Jonglieren keinen Spaß macht, wenn ich es nur so ein bisschen abends zur Entspannung mache. Ich musste es in meinen Lebensmittelpunkt stellen oder sein lassen. Und sein lassen kann ich es nicht. Ich hab auch bemerkt, dass das, was ich mache, vielleicht was Besonderes ist, das aus der Masse der Jongleure heraus sticht und Leute berührt. Die Entscheidung, Jongleur zu werden, hat also mehrere Standbeine: Ich hab einfach keine Zeit und keine Lust, was anderes zu machen. Ich spüre aber auch, dass ich persönlich auf der Bühne momentan mehr bewegen kann als in einem Klassenzimmer.
Hat Ihre Familie Sie bei Ihrem unkonventionellen Werdegang unterstützt oder hätte sie Sie lieber in einer Tätigkeit als Sonderpädagoge gesehen? Mit welchen Zweifeln hatten Sie selbst zu kämpfen?
Mit meiner Familie hab ich, was das angeht, großes Glück. Meine Mutter steht voll hinter mir. Sie arbeitet selbst im sonderpädagogischen Bereich, hat aber auch eine Leidenschaft fürs Nähen und kann absolut nachvollziehen, dass man sein Leben einer künstlerischen Leidenschaft widmet. Mit meinem Vater hab ich darüber nicht viel gesprochen, aber er hat meine Entscheidung nie lautstark kritisiert. Immerhin hab ich aber ja auch fertig studiert und auch schon während des Studiums als Jongleur gearbeitet. Insofern ist sein Sohn ja auch kein riesiges Risiko eingegangen. Meine Eltern und auch meine Geschwister kommen gerne zu meinen Shows und obwohl niemand von ihnen selbst künstlerisch tätig ist, ist der gegenseitige Respekt vor dem Lebensentwurf des anderen auf jeden Fall da.
Zweifel gehören natürlich dazu. Das sind einerseits Zweifel, was die finanzielle Absicherung angeht. Ich lebe von einem Job zum anderen. Auch wenn bisher alles viel besser und schneller angelaufen ist, als ich vermutet hatte, und ich mir wirklich keine Sorgen machen müsste, dass ich nicht davon leben könnte, lebt man doch immer in eine ungewisse Zukunft hinein. Wenn man mal krank wird und einen Auftritt absagen muss, sind die Sorgen natürlich besonders groß.
Die größeren Zweifel sind aber von anderer Natur. Das sind die Selbstzweifel. Bin ich gut, ist das, was ich mache, von Bedeutung, und vor allem, bin ich der Freiheit meines Lebens gewachsen? Ich muss mich ja ständig selbst motivieren, zu arbeiten. Kein Chef, der mich zurechtweist, wenn ich morgens nicht im Proberaum erscheine. Das ist nicht immer einfach.
Sie beschreiben eine Ihrer aktuellen Tätigkeiten als „Forschender im Zirkuslabor“. Was genau kann man sich darunter vorstellen? Könnten Sie uns einen Tag eines professionellen Jongleurs beschreiben?
Das Zirkuslabor ist ein kleines Zentrum für Artistik und Körperarbeit in Nürnberg. (www.zirkus-labor.de) Ich trainiere dort mit zwei anderen Artisten. Forschender hab ich mich erstmal nur genannt, weil der Raum Labor heißt. Aber eigentlich trifft es meine Arbeit schon ganz gut. Ich bin immer auf der Suche nach Neuem, untersuche also immer wieder die Konstellationen zwischen Körper, Objekt, Raum und Zeit und die Möglichkeiten, mich dadurch zum Ausdruck zu bringen. Das ist, ganz allgemein formuliert, meine Forschungsarbeit.
Der Tag eines professionellen Jongleurs kann ganz unterschiedlich aussehen. Ich werde ein paar typische Tage ganz kurz skizzieren, damit man sich eine Vorstellung machen kann.
* Version a: Ich stehe morgens um 9 auf, steige direkt in meine Joggingschuhe, danach Duschen, Frühstück, Mails und Auftrittsanfragen beantworten, vielleicht ein Video schneiden, meine Homepage aktualisieren und dann in den Proberaum. Ich habe ein kleines Pflichtprogramm, das ich jeden Tag absolviere. Danach trainiere ich - ich nehme mir vor, jeden Tag mindestens drei Stunden zu trainieren. Manchmal sind es auch mal 14 oder 15 (manchmal habe ich aber auch nach einer halben Stunde keine Motivation mehr). Danach gehe ich nach Hause, beantworte weitere Mails und informiere mich auf Youtube darüber, was die anderen Jongleure machen.
* Version b: vom Plan wie Version a, aber nichts davon tun, außer Letztgenanntes.
* Version c: Ich habe eine Idee und eine Deadline für eine neue Show. Ab jetzt habe ich eine 70-Stunden-Woche, bin nicht mehr ansprechbar und rund um die Uhr in meine Arbeit und meine Ideen versunken.
* Version d: Morgen habe ich einen Auftritt irgendwo in Europa, deshalb sitze ich schon den ganzen Tag im Auto.
Was fasziniert Sie am Leben als Künstler? Was sind Nachteile?
Die Nachteile und Vorteile meines Lebens liegen sehr nahe beieinander. Einerseits genieße ich beispielsweise meine Freiheit, andererseits ist es auch sehr oft schwierig, damit umzugehen. Ich bin sehr viel unterwegs, dieses Jahr war ich in der Schweiz, in Österreich, in Ungarn, in Polen, in Belgien, in ganz Deutschland und meine nächste Station ist Mexiko. Ich bin immer gerne gereist, aber es ist schwierig, zu Hause Wurzeln zu schlagen. Ich war seit Mai beinahe jedes Wochenende weg. Da ist es schwierig, zu Hause Kontakte zu knüpfen. Familie ist gerade kein Thema für mich, aber irgendwann wird das sicher auch ein Problem werden. Im Rampenlicht zu stehen und Leute zu begeistern oder zu berühren ist toll, ich hatte einige echt unglaubliche Shows dieses Jahr, aber manchmal möchte man nach der Show auch einfach im Boden versinken.
Wo treten Sie auf? Wie würden Sie Ihre Programme kurz beschreiben? Kommen Sie gelegentlich in Ihre ehemalige Studentenstadt zurück?
In diesem Sommer bin ich hauptsächlich auf Straßenkunstfestivals aufgetreten, aber auch auf anderen Festivals auf der Bühne, teilweise mit Soloshows, teilweise mit einer Nummer in einem Varietéprogramm. Dann hab ich leider erst zweimal mein Bühnensoloprogramm in Theatern gespielt, ich hoffe, das nimmt noch zu. Außerdem bin ich für Galas, Firmenfeste, Hochzeiten, Sportveranstaltungen gebucht, mache mit bei Jonglierconventions, einer Kindervarietéproduktion, Feuershows etc. mit. Zwischendurch habe ich hoffentlich genug Zeit für Experimente jeglicher Art ohne finanzielle Motivation; z. B. Improvisationen mit Musikern ausprobieren, schräge Dinge auf Experimentierbühnen zeigen, etc.. Meine Programme sind dementsprechend sehr unterschiedlich. Was sie vielleicht gemeinsam haben, ist, dass ich sehr eng an der Musik arbeite und hoffentlich niemals dem gängigen Klischee eines Jongleurs im Glitzerkostüm entspreche, der nach dem Motto „schneller, höher, weiter“ in immer wieder gleichen Schemen und Showstrukturen arbeitet. Meistens arbeite ich alleine. Aber ich träume davon, eine interessante Kompanie zu finden, ein tolles Stück auf die Beine zu stellen und damit zu touren.
Ich bin immer mal wieder in Würzburg, hab ja noch Freunde da, gelegentlich auch zum Arbeiten. Ich mag die Stadt sehr gerne und hoffe, dass ich nächstes Jahr öfter dort spielen kann.
Vielen Dank für das Gespräch!