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Prof. Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Jean-Monnet-Lehrstuhl

17.09.2020

Prof. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet ist Inhaberin der Professur für Europaforschung und Internationale Beziehungen und des Jean-Monnet-Lehrstuhl am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie.

Müller-Brandeck-Bocquet bei einer Veranstaltung für die Europastipendien, (Bild: Johannes Kiefer)
Müller-Brandeck-Bocquet bei einer Veranstaltung für die Europastipendien (Bild: Johannes Kiefer)

1) was ist aktuell aus Ihrer Sicht die spannendste Forschungsfrage, mit der Sie sich beschäftigen?

Die künftige Entwicklung der Weltordnung beschäftigt mich sehr.  Wir beobachten einerseits seit längerem den Aufstieg der (ehemaligen) Schwellenländer wie insbesondere China, Indien und Brasilien. Diese wollen – auch als Vertreter und Fürsprecher des sog. Globalen Südens – die Weltordnung aktiver und maßgeblicher mitgestalten. Die Frage ist: nach welchen Wertvorstellungen und Normen? Lassen sich dabei die klassischen westlichen Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Gleichstellung von Mann und Frau etc. auf Dauer erhalten? Andererseits gibt es – insbesondere in den jüngsten Jahren – auch im sog. Westen selbst beunruhigende Entwicklungen, die seinen Zusammenhalt und sein Werte- und Normengefüge teilweise in Frage stellen, wie die Trends zur „illiberalen Demokratie“ (Ungarn) und zu Unilateralismus und Nationalismus (USA) zeigen. Eine friedliche Weltordnung, die die großen Herausforderungen wie Klimaschutz, Menschenrechtsschutz, Gleichstellung lösungsorientiert anpackt, muss sich aber – das ist meine Überzeugung – auf Kooperation und multilaterales Handeln stützen. Und auf Demokratie, die als einzige Regierungsform ihren Bürgern gegenüber rechenschaftspflichtig ist.

2) Was ist Ihr persönliches 'Lieblingsthema' im Bereich der Europapolitik?

Lieblingsthema ist: die internationale Rolle der EU. Wie aus obigem hervorgeht, ist eine ganz zentrale Frage für die Zukunft der Welt, wie die EU sich für eine friedliche, auf Multilateralismus und demokratischen Werten beruhende Weltordnung einsetzt kann. Dazu braucht sie Macht, Einflusspotenziale, Glaubwürdigkeit. Die EU auf ihrem sehr holprigen, langsamen und zögerlichen Weg zu „Weltpolitikfähigkeit“ (der Begriff stammt von Jean-Claude Juncker) wissenschaftlich zu begleiten, ist äußerst spannend, also: Lieblingsthema.

3) Warum hatten Sie sich für dieses Feld in der Politikwissenschaft entschieden?

Weil es von höchster Relevanz ist, nicht nur für uns Europäer selbst, wenn wir unseren „European way of life“, der sich allerdings in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln muss, bewahren wollen, sondern weltweit.

4) Welchen Staatsmann/Welche Staatsfrau würden (kann auch tot sein) Sie gerne treffen, wenn Sie es sich aussuchen könnten und warum?

Jean Monnet. Nicht, weil mir selbst ein Jean Monnet Lehrstuhl anvertraut wurde, sondern um mit ihm über seinen Mut, seine Vision und seine Entschlossenheit zu sprechen, kurz nach Ende des 2. Weltkriegs zusammen mit Deutschland (und Italien und den Benelux-Staaten) das so überaus kühne Projekt einer Gemeinschaft von Kohle und Stahl anzupacken, um Krieg zwischen diesen Staaten de facto auszuschließen. Wie er auf diese Idee gekommen ist, die ja Zündungsmoment der europäischen Integration insgesamt war – das würde ich mir sehr gerne von ihm persönlich erklären lassen. Außerdem würde ich gerne seine Meinung über die heutige EU erfahren: Ist er zufrieden mit dem Werdegang seines „Kinds“, oder sieht er es auf Abwegen und wenn ja auf welchen? Was würde er uns heute raten, um das europäische Projekt zu vollenden?

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