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Prof. Dr. Dagmar Schäfer, Sinologie & Politikwissenschaft, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte

15.04.2020

Alumna Prof. Dr. Dagmar Schäfer hat an der Universität Würzburg Sinologie, Japanologie und Politikwissenschaften studiert; hier wurde sie promoviert und habilitiert. Heute forscht sie an der Geschichte von Technik und Wissenschaft.

Chinas Studierende sind sehr gut ausgebildet und extrem motiviert. Schließlich ist eine ausgezeichnete Ausbildung gesellschaftlich hoch angesehen, aber immer noch ein Luxusgut – sagt Dagmar Schäfer, die an einer Universität in Peking lehrt. (Bild: Die Hoffotografen GmbH Berlin)
Chinas Studierende sind sehr gut ausgebildet und extrem motiviert. Schließlich ist eine ausgezeichnete Ausbildung gesellschaftlich hoch angesehen, aber immer noch ein Luxusgut – sagt Dagmar Schäfer, die an einer Universität in Peking lehrt. (Bild: Die Hoffotografen GmbH Berlin)

Frau Professorin Schäfer, wie sind Sie zu Ihrem Forschungsschwerpunkt gekommen? Während meines ersten Aufenthalts in China Anfang der 1990er-Jahre verbrachte ich fast zwei Jahre für ein Sprachstudium in Hangzhou an der Zhejiang University, damals ein Partnerinstitut der Universität Würzburg. Dort hatte ich Sinologie, Japanologie und Politikwissenschaften studiert, und mein eigentliches berufliches Ziel war der Journalismus. In Hangzhou wurde dann jedoch mein tiefes Interesse für die chinesische Geschichte und für technische Fragestellungen geweckt: Hangzhou war und ist ein Zentrum der Seidenproduktion. Professor Dieter Kuhn, damaliger Lehrstuhlinhaber für Sinologie in Würzburg und Spezialist auf dem Gebiet der Technikgeschichte, begeisterte mich für dieses Forschungsfeld.

Was begeistert an Technikgeschichte? Mich interessierte damals vor allem die Kombination von aktuellen, praktisch orientierten Fragestellungen und die textlich-historische Arbeit sowie die Herausforderung, Geistes- und Naturwissenschaften interdisziplinär zu erforschen und in einem Feld zu arbeiten, das Geschichte und Wissen, Naturwissenschaften und Technik kritisch hinterfragt.

Was fasziniert Sie besonders an Ihrem Thema? Wissen war schon immer eine der wichtigsten Ressourcen der Menschheit, so auch für die heutige Gesellschaft. Manchmal wundert es mich, wie wenig Aufmerksamkeit der historischen Entwicklung von Wissen, praktisch und theoretisch, geschenkt wird. Nehmen Sie die Fakultäten an den Universitäten als Beispiel: Fast jede Hochschule hat Fachbereiche für Religions-, Kunst- und Sozialgeschichte, kaum eine Universität hat jedoch eine Fakultät für Wissens- oder Wissenschaftsgeschichte oder gar Wissenschaftssoziologie. Wenn, dann steht Deutschland im Vordergrund, obwohl Wissenschaft doch heute wirklich klar international orientiert ist. Würzburgs Sinologie war also wirklich lange eine echte Ausnahme und führend.

Ihr Interesse gilt in der Hauptsache der Region Asien. Mich faszinieren vor allem die Möglichkeiten und das Potenzial der Region Asien als Forschungsobjekt für Langzeitstudien: Zu studieren, was für Auswirkungen, Erfolge und Nutzen Erfindungen und Entdeckungen kurz- und langfristig haben, und zu erforschen, warum manches Wissen im Lauf der Zeit verloren geht oder ignoriert wird. In Asiens Geschichte gibt es im Gegensatz zu Europa nicht das Narrativ einer Periode der Aufklärung oder wissenschaftlichen Revolution, wie sie Europa lange für sich allein in Anspruch genommen hat.

Sondern? Asien und besonders China hat eine lange Periode mit zahlreichen ganz unterschiedlichen „Aufklärungen“ – man könnte auch sagen eine lange kontinuierliche Entwicklung wissenschaftlicher und technischer Entwicklung. Chinas Geschichte schärft zudem auch den gesunden Blick auf Andersartigkeit und mögliche Alternativen: dass wissenschaftliche und damit auch politische und gesellschaftliche Entwicklung viele Formen hat, annehmen kann und muss – auch heute noch. Als Beispiel kann hier Chinas Aufstieg zur wirtschaftlichen und jetzt auch zur wissenschaftlichen „Supermacht“ dienen. Natürlich gilt dasselbe für andere Weltregionen auch: Süd-, Latein- und Nordamerika, Afrika, Australien und Asien, die man, statt sie einfach als „rückständig“ abzutun, historisch und soziologisch untersuchen und verstehen sollte.

Wie beschreiben Sie einem Laien Ihren aktuellen Forschungsfokus? Ich untersuche den Zusammenhang zwischen historischen und gesellschaftlichen Präferenzen für bestimmte Materialien und wissenschaftlicher Entwicklung: Wie kommt es zum wirtschaftlichen und politischen Fokus auf bestimmte Materialien und welche Auswirkungen haben solche „materiellen Wirklichkeiten“ auf unser Verständnis von Natur und die wissenschaftlichen Entwicklungen beispielweise in der Mathematik, Physik und Chemie? Forschungsbeispiele wären die Wahl von Zement und Ziegel als wichtigste Baumaterialien im Römischen Reich, Seide als wichtigstes Textil im 13. bis 14. Jahrhundert in Asien und Aluminium als Leichtmetall der modernen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.

Wenn Sie von Langzeitstudien sprechen: Welchen Zeitraum meinen Sie damit? Eine Langzeitperspektive in der Wissenschaftsgeschichte bedeutet nicht nur das Hier und Heute im Blick zu haben, sondern über die Lebenszeit von ein oder zwei Generationen, ja sogar über mehrere Jahrhunderte und verschiedene Regionen hinweg zu forschen. Gleichzeitig muss man beachten, dass es zu jedem Zeitpunkt viele Entwicklungszustände gibt: Wissen entwickelt sich nicht linear. Es kommt und geht. Ohne Langzeitperspektive verbleibt man allzu leicht in dem Glauben, dass der gegenwärtige Zustand das einzig Mögliche und Machbare ist. Da die Wissenschaftsgeschichte sich in den letzten Jahren stark auf das 20. Jahrhundert konzentriert hat, möchte ich diese Langzeitperspektive stärken und die verschiedenen Epochen und Entwicklungen wieder vermehrt in den Blick nehmen. Das heißt auch, dass ich eine Wissenschaftsgeschichte propagiere, die „Entwicklung“ nach kurz- und langfristigen Effekten untersucht, nicht eine, die Entwicklungszustände als „rückständig“ oder „traditionell“ bewertet. Es geht darum zu verstehen, wie mit Wissen und den entsprechenden Techniken im konkreten Fall umgegangen wurde.

Sie unterrichten an der Pekinger Universität. Ist das Unterrichten dort anders als in Deutschland? Ja und nein. An beiden Standorten gelten ähnliche Standards, da in vielerlei Hinsicht auch das akademische System globalisiert ist. Der Wissensdurst in China ist momentan immens. Die Studierenden dort sind sehr gut ausgebildet und extrem motiviert. Natürlich gibt es das auch in Deutschland, aber ich denke in der deutschen Gesellschaft ist Bildung zu etwas Selbstverständlichem geworden – was auch gut ist. In China ist eine ausgezeichnete Ausbildung gesellschaftlich hoch angesehen, aber auch immer noch ein Luxusgut, deshalb Mangelware und teuer. Zudem herrscht in China in gewissem Sinne noch immer Aufbruchsstimmung, das große Interesse chinesischer Studierenden an neuen Methoden und Wissen ist sehr groß.

Welche Rolle spielt dabei das politische Klima? Das derzeitige politische Klima hat interessante Auswirkungen, auch auf die Universitäten: Es gibt ein nationales Selbstbewusstsein, gleichzeitig schärfen die anderen politischen und sozialen Umstände in China auch das Interesse der Studierenden an kritischem Denken – in anderen Nuancen als bei uns, aber nicht weniger reflektiert und kreativ. Der vergleichende Blick ist stark. Und auch wenn Chinesen nicht mehr das Gefühl haben, dem Westen gegenüber „aufholen“ zu müssen, sind sie sich unserer Kultur und deren Werten doch mehr bewusst als deutsche Studierende, wenn es darum geht, Chinas Werte oder Maßstäbe in ihren Blick mit einbeziehen.

An welche Begebenheit aus Ihrer Würzburger Zeit erinnern Sie sich besonders gerne? Akademisch vor allem an den wirklich wunderbaren Zusammenhalt in der Sinologie, eine tolle Gemeinschaft von Studierenden und Lehrenden und an die Unterstützung der Fakultät und der Genderstelle für Frauen in wissenschaftlicher Laufbahn. Persönlich erinnere ich mich gern an die warmen, gemütlichen Abende zum Picknick mit Wein und Brot und guten Gesprächen am Mainufer, zu Studienzeiten mit Kolleginnen und Kollegen und später mit Kind und Kegel.

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