Unconscious Bias in Berufungsverfahren
Durch eine Berufung wird die Forschungslandschaft und das Lehrangebot einer Universität nachhaltig geprägt (1). Ab dem 01.06.2024 tritt an der Universität Würzburg eine überarbeitete Version des Leitfadens für Berufungsverfahren in Kraft. Im Merkblatt des Leitfadens zur Gendergerechtigkeit wird betont, wie wichtig es ist, „unbewusste Einflüsse im Zusammenhang mit der Geschlechtszugehörigkeit, aber auch anderen diversitätsrelevanten Merkmalen von Bewerberinnen und Bewerbern zu vermeiden“ (2). Ziel ist es, Berufungsverfahren objektiver zu gestalten und dadurch Chancengleichheit zu fördern. Um Sie als Beteiligte in Ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen und für das Thema Unconscious Bias zu sensibilisieren, haben wir hilfreiche Informationen und weiterführendes Material zusammengestellt.
Unconscious Bias (übersetzt: unbewusste Voreingenommenheit) beschreiben Denkmuster, die unsere Wahrnehmung und Entscheidungen beeinflussen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind (3). Ursprünglich halfen uns diese universellen und instinktiven Prozesse, die Umwelt schnell und effizient einzuschätzen – ein evolutionärer Schutzmechanismus (4). Auch heute greifen wir, angesichts der Vielzahl an Informationen, die wir täglich verarbeiten, häufig auf solche automatischen Muster zurück (5). Werden sie jedoch nicht bewusst reflektiert, können Unconscious Bias diskriminierendes Verhalten fördern und Chancengleichheit gefährden (4). Sie treten in verschiedenen Formen auf, beispielsweise:
- Affinity Bias: Die Tendenz, Personen zu bevorzugen, die uns ähnlich sind (z.B. in Geschlechtszugehörigkeit oder Interessen; 3).
- Confirmation Bias: Informationen werden so interpretiert, dass sie bestehende Annahmen bestätigen (3, 6).
- Halo- und Horn-Effekt: Eine einzelne positive beziehungsweise negative Eigenschaft beeinflusst die gesamte Wahrnehmung einer Person (3).
- Stereotyping: Die Annahme, dass eine Person bestimmte Eigenschaften besitzt, weil sie einer bestimmten Gruppe angehört (z. B. Geschlecht, Herkunft; 6).
- Attribution Bias: Der Erfolg von Menschen wird abhängig von Geschlecht, Alter oder anderen Merkmalen unterschiedlich bewertet (6).
Studien zeigen die Auswirkungen von Unconscious Bias, hier ein paar Beispiele:
- Bewerbungen von Frauen werden bei identischem Inhalt als weniger kompetent und geeignet für eine wissenschaftliche Stelle eingeschätzt, auch von weiblichen Fakultätsmitgliedern, die an der Bewertung beteiligt sind (7).
- Mentoring-Anfragen von weißen, männlichen Interessenten erhalten signifikant häufiger eine positive Antwort, insbesondere in höher bezahlten Fachbereichen oder an privaten Institutionen (8).
- Eine stärkere Vertretung von Frauen und Minderheiten in Institutionen steht nicht in Zusammenhang mit einer Verringerung diskriminierenden Verhaltens (8).
- Frauen werden für klassisches, statusförderndes Verhalten häufig negativ bewertet, während Männer für das gleiche Verhalten positiv wahrgenommen werden (9). Dieser Unterschied in der Bewertung zeigt einen wahrgenommenen Konflikt zwischen Geschlechtszugehörigkeit, Einfluss und Führungsqualitäten, der die Gleichstellung erschwert (10).
Berufungsverfahren an Universitäten haben das Ziel, die am besten geeigneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Professuren zu gewinnen. Die Universität Würzburg betont: „Große Bedeutung für die Qualität der Berufungsentscheidungen kommt ferner der Bereitschaft aller Beteiligten zu, auch Diversität und Chancengleichheit als Maßstäbe in Berufungsverfahren anzuerkennen“ (2). Unconscious Bias können jedoch die Diversität an Universitäten reduzieren und damit Auswirkungen haben, die weit über einzelne Verfahren hinausgehen (1). Sie gefährden die Chancengleichheit und können dazu führen, dass hochqualifizierte Bewerbende unbewusst benachteiligt werden (7). Gleichzeitig erfordert das Ziel einer ausgewogenen Vertretung von Professorinnen und Professoren eine Balance zwischen akademischen Qualitätsstandards, effizienten Verwaltungsprozessen und Diversitätsmaßnahmen (1). Die unterschiedlichen Anforderungen führen zu Zielkonflikten, die sich im Verlauf von Berufungsverfahren zeigen, zum Beispiel:
- Interdisziplinarität: Frauen widmen sich häufiger interdisziplinären Forschungsgebieten, die im Vergleich zu disziplinären Schwerpunkten oft als weniger fokussiert wahrgenommen werden (11), Dies beschwert ihre Bewertung in Berufungsverfahren.
- Quantitative Indikatoren: Scheinbar objektive Kriterien wie Publikationszahlen oder der h-Index benachteiligen Forschende mit unkonventionellen Karrieren (z.B. durch Fluchterfahrungen oder familiäre Verpflichtungen, 12). Um dies auszugleichen, sollten nicht nur Forschung, sondern auch Leistungen in Lehre und Verwaltung stärker berücksichtig werden (12).
- Altersbezogene Wahrnehmungen: Junge Wissenschaftlerinnen werden oft als unerfahren beurteilt, während gleichaltrigen männlichen Kollegen Potenzial zugesprochen wird (1).
- Koautoren- und Koautorinnenschaften: In gemeinschaftlichen Publikationen werden Wissenschaftlerinnen eher als weniger eigenständig wahrgenommen, während Männern Teamfähigkeit zugesprochen wird (1).
Ein bewusster Umgang mit Unconscious Bias ist entscheidend, um faire und transparente Berufungsverfahren sicherzustellen. Dies stärkt die Chancengleichheit, die Qualität der Entscheidungen und die Diversität in der Wissenschaft. Aktive Maßnahmen zur Minimierung von Unconscious Bias kommen sowohl den Bewerbenden als auch der Universität zugute (13).
Wichtige Maßnahmen sind:
- Selbstreflexion und Handlungswissen: Hinterfragen Sie Ihre eigenen Denkmuster und informieren Sie sich über die Entstehung und Auswirkungen sowie einen angemessenen Umgang mit Unconscious Bias.
- Offener Austausch: Thematisieren Sie potenzielle Unconscious Bias im Gremium und prüfen Sie Bewertungen kritisch. Klare Kriterien und ein gemeinsames Verständnis schaffen Verbindlichkeit für faires Verhalten.
- Schulungen und Trainings: Weiterbildungen zu Unconscious Bias vermitteln Sachwissen und handlungsbezogene und ergebnisorientierte Strategien, um Unconscious Bias zu erkennen und zu minimieren.
Niemand ist vollständig frei von Vorurteilen. Doch durch bewusste Reflexion und den Einsatz effektiver Strategien können diese Einflüsse reduziert werden (3). Dabei geht es nicht nur um persönliche Einstellungen, sondern auch darum, Unconscious Bias in der sozialen Realität von Berufungsverfahren zu erkennen und kommunikative Praktiken gezielt zu schulen (1). Dies trägt dazu bei, transparente und objektive Verfahren zu gestalten. Wir laden Sie ein, sich aktiv mit diesen Themen auseinanderzusetzen, um Berufungsentscheidungen auf höchstem Niveau zu gewährleisten.
- Chancengleichheit in Berufungsverfahren – Ein Unconscious Bias Training
Technische Universität Berlin und Universität der Künste Berlin
Zielgruppe: Mitglieder von Berufungskommissionen
Ziel: Sensibilisierung für unbewusste Bias (Fokus: Genderbias) in Berufungsverfahren
Format: Online-Training mit 9 Animationsszenen
Dauer: 40–60 Minuten
- Online-Tutorial: Gendersensible Berufungsverfahren und Personalauswahl
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Zielgruppe: Mitglieder von Berufungskommissionen und Führungskräfte
Zugangsbedingungen: Gastzugang erforderlich (gültig für 4 Tage)
Inhalt: 5 Kapitel mit Fachwissen und Handlungsempfehlungen
Dauer: ca. 60 Minuten -
Online-Tutorial zu Gender-Bias im Berufungsverfahren
Universität Heidelberg
Inhalt: Modul 1: Individuelle Karrierewege, Modul 2: Leistungsbewertung in der Wissenschaft, (Modul 3: Bezug auf das Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg)
Dauer: Modul 1 – ca. 17 Minuten, Modul 2 – ca. 15 Minuten - Vermeidung von Bias in wissenschaftlichen Urteilsbildungsprozessen
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Format: Informationsseite mit Handlungsempfehlungen, Videos und weiterführendem Material
Dauer: Lesezeit ca. 5 Minuten, Video 5 Minuten - Recruitment bias in Research Institutes
Research Centers of Catalonia (CERCA)
Format: Video (verfügbar in Englisch)
Dauer: 8 Minuten -
Chancengerechte Personalauswahl
Universität zu Köln, Gleichstellungsbeauftragte
Informationsseite mit Studienergebnissen und weiterführendem Material
Dauer: Lesezeit ca. 5 Minuten -
Universitäten und Hochschulen – robuste Resistenz gegen Diversität
Autorinnen: Bereswill, M. & Ehlert, G. (2019)
Quelle: M. E. Domsch, D. H. Ladwig & F. C. Weber (Hrsg.), Vorurteile im Arbeitsleben (S. 181–193), Springer Berlin Heidelberg
DOI: doi.org/10.1007/978-3-662-59232-8_10
Format: Fachartikel
Dauer: Lesezeit ca. 45 Minuten - Quick Guide Unconscious Bias – Wie Sie unbewusste Verzerrungen verstehen, erkennen und verändern
Autorin: Claudia Salowski
Format: Buch (150 Seiten)
ISBN: 978-3-662-65653-2 (print) / 978-3-662-65654-9 (eBook)
Zugang: Kostenloser Zugang über Julius-Maximilians-Universität - Unconscious Bias: Warum religiöse Zeichen die Wahrnehmung von Personaler:innen beeinflussen können
Denkfabrik Diversität
Format: Infoseite zu Unconscious Bias bei religiösen Zeichen
Dauer: Lesezeit ca. 8 Minuten -
Impliziter Assoziationstest
Project Implicit
Format: Interaktiver Selbsttest zu verschiedenen Diskriminierungsmerkmalen
Dauer: 10–15 Minuten pro Test
Zusatz: Weiterführende Ressourcen und Erklärungen zu den Testergebnissen verfügbar
- Witzig, V. & Seyfarth, F. C. (2020). Exzellenz, Diversität oder Effizienz? „Implicit bias“ in Berufungsverfahren als Zielkonflikte sozialer Praktiken. doi.org/10.3217/ZFHE-15-03/24
- Julius-Maximilians-Universität Würzburg. (2024). Merkblatt 6 für die vorsitzende Person des Berufungsausschusses: Gendergerechtigkeit. In Berufungsleitfaden der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (S. 40–42): Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
- Kagetsu, N. & Gunderman, R. B. (2017). Unconscious Bias. Journal of the American College of Radiology, 14(9), 1253–1255. doi.org/10.1016/j.jacr.2017.01.050
- Maxfield, C. M., Thorpe, M. P., Koontz, N. A. & Grimm, L. J. (2021). You're Biased! Deal With It. Journal of the American College of Radiology, 18(1), 161–165. doi.org/10.1016/j.jacr.2020.06.028
- Suveren, Y. (2022). Unconscious Bias: Definition and significance. Psikiyatride Güncel Yaklaşımlar, 14(3), 414–426. doi.org/10.18863/pgy.1026607
- Salowski, C. (2022). Quick Guide Unconcious Bias: Wie Sie unbewusste Verzerrungen verstehen, erkennen und verändern. SpringerGabler. file:///C:/Users/frm53gu/Downloads/978-3-662-65654-9.pdf
- Moss-Racusin, C. A., Dovidio, J. F., Brescoll, V. L., Graham, M. J. & Handelsman, J. (2012). Science faculty's subtle gender biases favor male students. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 109(41), 16474–16479. doi.org/10.1073/pnas.1211286109
- Milkman, K. L., Akinola, M. & Chugh, D. (2015). What happens before? A field experiment exploring how pay and representation differentially shape bias on the pathway into organizations. The Journal of applied psychology, 100(6), 1678–1712. doi.org/10.1037/apl0000022
- Prentice, D. A. & Carranza, E. (2002). What Women and Men Should Be, Shouldn't be, are Allowed to be, and don't Have to Be: The Contents of Prescriptive Gender Stereotypes. Psychology of Women Quarterly, 26(4), 269–281. doi.org/10.1111/1471-6402.t01-1-00066
- Rudman, L. A., Moss-Racusin, C. A., Phelan, J. E. & Nauts, S. (2012). Status incongruity and backlash effects: Defending the gender hierarchy motivates prejudice against female leaders. Journal of Experimental Social Psychology, 48(1), 165–179. doi.org/10.1016/j.jesp.2011.10.008
- Rhoten, D. & Pfirman, S. (2007). Women in interdisciplinary science: Exploring preferences and consequences. Research Policy, 36(1), 56–75. doi.org/10.1016/j.respol.2006.08.001
- van den Brink, M. & Benschop, Y. (2012). Gender practices in the construction of academic excellence: Sheep with five legs. Organization, 19(4), 507–524. doi.org/10.1177/1350508411414293
- Easterly, D. M. & Ricard, C. S. (2011). Conscious Efforts to End Unconscious Bias: Why Women Leave Academic Research. Journal of Research Administration, 42(1), 61–73. eric.ed.gov