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MIND-Center

In der Weltmaschine läuft's rund

09.09.2010

Teilchenphysik: Am europäischen Forschungslabor CERN in Genf hat für die Forscher der Routinebetrieb begonnen

Kollisionen am Bildschirm: Im Kontrollzentrum des Teilchenbeschleunigers am CERN werden die Messungen rund um die Uhr überwacht.DPA

Netzwerk Teilchenwelt

Urknall, dunkle Materie, ferne Galaxien: Teilchenphysik ist ein „extrem wichtiger“ Bestandteil der modernen Physik, sagt Professor Thomas Trefzger. Weil es für den Schulunterricht keine Experimente zur Teilchenphysik gab, hat der Physikdidaktiker eine Versuchsanordnung entwickelt: Eine mit Wasser gefüllte, innen verspiegelte Thermoskanne, daraufgesetzt ein Photo-Multiplier und eine selbst gebaute Impulswandler-Elektronik – damit lassen sich tatsächlich Myonen und ihre Lebensdauer nachweisen.


Im „Netzwerk Teilchenwelt“, an dem Trefzger mitwirkt und das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird, können junge Leute die Forschungswelt der Teilchen- und Astroteilchenphysik entdecken. An Projekttagen lernen sie beispielsweise betreut von jungen Wissenschaftlern, Originaldaten von Teilchenkollisionen auszuwerten.


Informatives, Lehrreiches und Verständliches aus der Welt der Teilchenphysik und zum LHC gibt es für jedermann nachzulesen unter: www.teilchenwelt.de

Atlas-Projekt am Cern

Als Teilchenphysiker braucht man Geduld. Als Physiker am CERN, der im Experiment nach supersymmetrischen Teilchen sucht, braucht man einen besonders langen Atem. Als Thomas Trefzger 1996 Mitglied am großen ATLAS-Projekt wurde und begann, Detektoren für das europäische Forschungszentrum in Genf mitzuentwickeln, ging man von einem Start des Experiments im Jahr 2001 aus. Dann sollte unter dem Grenzgebiet zwischen Frankreich und der Schweiz der weltgrößte Teilchenbeschleuniger in Betrieb genommen werden. Physiker aus aller Welt sollten ab dann im ATLAS-Experiment Quarks und Leptonen untersuchen können und neue Erkenntnisse über den Aufbau der Elementarteilchen gewinnen. Irgendwann war von einem Start der „Weltmaschine“ im Jahr 2004 die Rede – doch wie gesagt, als Experimentalphysiker braucht man einen langen Atem. Jahrelang wird nur vorbereitet, gebaut, geprüft, jahrelang werden Kabel gezogen, Elektronik installiert, aber es wird nicht gemessen und experimentiert. Und 2004 sollten es noch ein paar Jahre mehr werden bis zum Routinebetrieb . . .


In München entwickelte Thomas Trefzger Ende der 1990er Jahre Prototypen von Detektor-Kammern zur Messung von Myonen: die schweren Geschwister der Elektronen, die zur zweiten Generation von Elementarteilchen gehören. In unserer heutigen Welt entstehen sie nur noch kurzzeitig, wenn viel Energie im Spiel ist – beispielsweise, wenn kosmische Strahlung auf die Atmosphäre trifft. Im Jahr 2000 gingen die Kammern für den Large Hadron Collider (LHC) in Serienproduktion: Insgesamt 1200 Stück wurden am CERN eingebaut. „Pro Tag konnte man drei Kammern installieren, wenn man Glück hatte“, sagt Trefzger. Drei Jahre lang dauerte der Aufbau.


Das ATLAS-Experiment – ein gigantisches Großprojekt, an dem über 2000 Wissenschaftler aus rund 170 Universitäten und Instituten arbeiten. 45 Meter lang ist ATLAS, der Vielzweck-Detektor für Proton-Proton-Kollisionen. 22 Meter beträgt sein Durchmesser, 7000 Tonnen wiegt der Zylinder. Im scheinbaren Chaos der Proton-Proton-Kollisionen suchen die Forscher mit den „Supermikroskopen“, die das Allerkleinste sichtbar machen, nach Hinweisen auf neue Teilchen – oder nach „dem Unerwarteten“, wie der Würzburger Physikprofessor sagt.


Seit drei Jahren ist Thomas Trefzger an der Julius-Maximilians-Universität Inhaber des Lehrstuhls für Physik und ihre Didaktik. Gemeinsam mit Raimund Ströhmer, Professor für experimentelle Hochenergiephysik ist er für den Würzburger Beitrag am gewaltigen ATLAS-Projekt verantwortlich.


Dass es mit dem Start der „Weltmaschine“ so lange dauerte, hat Gründe: Die Kosten stiegen, es gab Lieferengpässe, dann – kurz nach dem ersten Startversuch im September 2008 – ein Unfall wegen fehlerhafter elektrischer Verbindungen. Das flüssige Helium, das die Anlage kühlt, erhitzte sich und verdampfte. Die Zerstörungskraft war so groß, dass tonnenschwere Magnete gegeneinander versetzt und die Verbindungen schwer beschädigt wurden. Langwierige Reparaturen waren nötig, 55 der lastwagengroßen Dipole mussten ausgetauscht werden. Für die Datensammler war erneut ein Jahr lang Stillstand.


Ende 2009 wurde der Beschleuniger wieder angefahren, seit diesem März läuft nun der Routinemessbetrieb. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Im 27 Kilometer langen Ringbeschleuniger lassen die Physiker Wasserstoffkerne auf gegenläufigen Bahnen kreisen und miteinander kollidieren. Und: „Es läuft sehr, sehr gut“, sagt Trefzger. „Wenn Sie Teilchenphysiker fragen: Es läuft besser und runder, als viele gedacht haben. Die vielfältigen Informationen von Millionen Messkanälen liefern in sich schlüssige Ergebnisse.“ Auch wenn der LHC derzeit „nur“ einige Zehntausend Kollisionen pro Sekunde schafft. Eine Milliarde Crashs pro Sekunde sollen es einmal werden. Denn: Bei jeder Kollision treffen nur wenige Protonen wirklich aufeinander. Je höher die Kollisionsrate ist, desto mehr Messdaten bekommen die Physiker, desto eher können die Forscher seltene Prozesse entdecken.


Wo Protonen kollidieren entsteht ein Energieblitz, aus dem Teilchen in alle Richtungen fliegen. Die aufwendigen Messgeräte erfassen die exakte Richtung und Geschwindigkeit. In den ersten Wochen des Routinebetriebs haben die Wissenschaftler fast alle bekannten Elementarteilchen, auf denen das Standardmodell der Teilchenphysik gründet, erneut nachgewiesen. „Das hat das Gefühl der Sicherheit gegeben, dass der Detektor verstanden ist“, sagt Trefzger. Die CERN-Forscher hoffen, bald das schwere Top-Quark sehen und messen zu können, das bislang erst am Fermilab bei Chicago nachgewiesen wurde.


Wie alle Forscher, die an den Experimenten beteiligt sind und die Zugang zu den Daten bekommen, übernimmt Trefzger regelmäßig Schichten am CERN. Mehrere Male im Jahr ist er für einige Tage in Genf. Der Kontrollraum ist rund um die Uhr mit zehn Leuten besetzt, die die Detektor-Teile überwachen, den Gasfluss in den Millionen Messkanälen überprüfen, schauen, ob die Spannungen korrekt eingestellt und die Messdaten in Ordnung sind.


Die ersten wirklichen neuen physikalischen Ergebnisse werde man in ein, zwei Jahren sehen. Und das Higgs-Teilchen, nach dem intensiv gesucht wird und auf dessen Nachweis alle warten? Jenes Teilchen, das die Frage lösen könnte, warum die Teilchen des Universums Masse besitzen? Auf seine Entdeckung werde man wohl noch eine Weile warten müssen, sagt Trefzger. Erst wenn im LHC noch höhere Kollisionsenergien erreicht werden und lange Zeit gemessen wird, könnte man auf das Higgs-Teilchen stoßen. „Ich denke, nächstes Jahr können wir sagen, in welchem Messbereich es liegt. Finden werden wir es wohl erst in zwei oder drei Jahren.“


Noch bis Ende 2010 soll der Teilchenbeschleuniger erst einmal zuverlässig und möglichst reibungslos bei halber Energie laufen. Dann soll die Maschine abgeschaltet, ein Jahr lang optimiert und umgerüstet werden. Ab 2012 soll der LHC dann seine eigentliche Leistung erreichen können: Bis zu sieben Teraelektronenvolt soll die Energie der gegenläufigen Teilchenstrahlen dann groß sein, im Moment haben sie eine Energie von je 3,5 Teraelektronenvolt.


Die „Wartezeit“ werden Thomas Trefzger und seine Kollegen gut überbrücken können. Das ATLAS-Experiment hat in den vergangenen Wochen schon so viele Daten geliefert, „dass man gar nicht mit dem Analysieren nachkommt“. Und tagtäglich kommen neue Daten dazu. Dank der Zusammenarbeit mit 14 weiteren Universitäten in Deutschland haben die Physiker ein leistungsstarkes Rechner-Netzwerk, das sie mit Daten aus der Genfer Tunnelröhre füttern. Sind die Ergebnisse da, beginnt die Interpretation. „Wir können auch das Unerwartete entdecken“, sagt der 44-jährige Wissenschaftler. Tauchen in den Daten Besonderheiten auf, liegt es an den Forschern, Rückschlüsse auf unbekannte Phänomene jenseits des Standardmodells zu ziehen.