Von Würzburg in die Welt - Simone Buchholz
10/25/2024Alumna Simone Buchholz hat zuerst als Journalistin gearbeitet und sich dann als Autorin von Romanen etabliert. Kaum dass sie ein Buch beendet hat, wirbelt schon die nächste Geschichte durch ihren Kopf.
Was arbeiten Absolventinnen und Absolventen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU)? Um den Studierenden verschiedene Perspektiven vorzustellen, befragt Michaela Thiel, Geschäftsführerin des zentralen Alumni-Netzwerks „Uni Wü Community“, regelmäßig ausgewählte Ehemalige.
Diesmal ist Simone Buchholz an der Reihe. Sie hat an der Uni Würzburg Literaturwissenschaft und Philosophie studiert und danach die Henri-Nannen-Schule für Journalismus besucht. Sie lebt als Autorin in Hamburg und ist gerade mit ihrem neuen Roman „Nach uns der Himmel“ fertig geworden, der im Herbst 2024 bei Suhrkamp erscheint.
Frau Buchholz, wie ist das Gefühl, einen Roman beendet zu haben?
Auch nach dem zwölften Roman warte ich immer noch auf eine Art Euphorie, die sich eigentlich einstellen müsste, nachdem so ein großes Projekt vom Hof ist – aber diese Euphorie passiert mir einfach nicht. Ich muss dann immer eher aufpassen, dass ich nicht in ein kreatives und emotionales Loch falle, also lasse ich die Erzählmaschine im Kopf direkt weiterlaufen und beschäftige mich sofort mit dem nächsten Roman. Weil ich vom Schreiben lebe, alleinerziehend mit einem Teenager, geht es finanziell auch gar nicht anders. Mein Leben als Schriftstellerin läuft, frei nach Miranda July in ihrem Roman „Auf allen Vieren“, so: ächz, ächz, ächz, puh … und weiter geht’s! Ich arbeite im Grunde genau wie jeder andere Mensch in einem Vollzeitjob auch, nur dass ich weniger freie Zeit habe, weil sich mein Gehirn nur schwer abschalten lässt.
Wie geht die Arbeit an einem Roman weiter, wenn die letzte Seite geschrieben ist?
Das Buch selbst geht nach dem Schreiben ins Lektorat, dann in den Satz, dann in den Druck. Bis hin zum Satz bin ich in alles noch ziemlich eingebunden. Inzwischen trudeln die ersten Lesungstermine ein, zum Erscheinungsdatum Mitte Oktober bin ich auf der Frankfurter Buchmesse präsent, Herbst und Winter sind geprägt von Lesereisen, ab dem Frühjahr werde ich mich ans nächste Manuskript setzen, worauf ich mich jetzt schon freue. Die neue Geschichte wirbelt durch meinen Kopf, bevor ich den letzten Satz des aktuellen Romans geschrieben habe.
Wie sind Sie zum Romaneschreiben gekommen?
Ich habe 15 Jahre lang als Journalistin gearbeitet und hatte irgendwann das Gefühl, dass ich mehr Freiheit in meiner Arbeit, in meinem Schreiben will. Da war der Schritt zur Prosa nicht weit. Ehrlich gesagt, habe ich es einfach mal ausprobiert, und es hat mir gefallen und es funktioniert. Da war schon auch eine große Portion Glück dabei. Seit 16 Jahren lebe ich jetzt als Schriftstellerin, und es bereitet mir immer noch so viel Freude, dass ich nicht damit aufhören möchte – aber wer weiß? Ich nehme das Leben in der Reihenfolge seines Auftauchens, das habe ich vielleicht im Philosophiestudium gelernt.
Wie sind Sie auf Chastity Riley gekommen, die Protagonistin Ihrer Kriminalromane?
Chastity Riley ist das Ergebnis eines Experiments. Ich bin und war immer ein großer Fan von Raymond Chandler und seiner Figur Philip Marlowe, und ich habe mich gefragt, ob so eine Figur sich nicht auch anders erzählen lässt – als weibliche Version und in einer europäischen Großstadt. Das ist eigentlich alles, was man zu meiner Protagonistin wissen muss. Ein britischer Literaturkritiker hat mal gesagt: „If Philip Marlowe and Bruce Willis had a love child, it would be Chastity Riley.“
Wie entwickeln Sie die Ideen zu Ihren Romanen? Sind Sie dann zum Beispiel tage- und nächtelang in St. Pauli unterwegs?
Ich bin tatsächlich viel unterwegs, wenn ich meine Geschichten baue – früher auch viel nachts, heute, mit 52, eher tagsüber. Denn Menschen sind das, wovon ich erzähle, also muss ich sie treffen und mit ihnen reden, sie beobachten, sehen, wie sie sich verhalten und entscheiden. Und ich muss die Orte kennen, an denen die Geschichte spielt. Meine beiden wichtigsten Werkzeuge sind aber meine Vorstellungskraft – was könnte als nächstes passieren, was ist das Wahrscheinlichste und das Unwahrscheinlichste, und ein großes, weißes Blatt Papier und Stifte in verschiedenen Farben. Ich zeichne meine Geschichten auf, bevor ich anfange zu schreiben, ich male Settings, Figuren, strukturiere die Story in drei, fünf oder acht Akten. Ohne diese Vorarbeit wäre ich ziemlich sicher nach 50 Seiten am Ende.
Welche Eigenschaft braucht eine Romanautorin?
Die Liebe zu Menschen, Empathie für die Figuren – und eine knallharte Arbeitsdisziplin, sonst geht es nicht. Ich bin ja meine eigene Chefin, und die ist ein eiserner Brocken.
Was lieben Sie besonders an Ihrem Beruf und was ist die größte Herausforderung?
Ich liebe es, Geschichten erzählen zu dürfen, und dafür auch noch bezahlt zu werden. Das ist ein unglaubliches Geschenk, so als würde ich die ganze Zeit spielen dürfen. Mein doch sehr anstrengendes Leben wäre für mich nicht zu bewältigen ohne den Zwang zum permanenten Spiel. Die größte Herausforderung besteht für mich darin, Mutterschaft und diesen Beruf, für den man ja sehr viel Ruhe und Zeit für sich alleine braucht, unter einen Hut zu bringen. Schreibende Mütter sind niemals Thomas Mann, dem seine Frau rund um die Uhr den Rücken freihielt. Wir sind alle Katia Mann – das ist ein 24-Stunden-Job. Wir sind wie die Sportler*innen der Paralympics: Wir liefern Höchstleistungen ab, trotz all der Hindernisse, die uns das Leben in die Bahn wirft. Meinen Kolleginnen gilt mein höchster Respekt, und ich bin stolz auf das, was wir erschaffen.
Was ist Ihre schönste Erinnerung an Ihre Studienzeit?
Ganz klar: Die Montagabendseminare in Philosophie bei Johannes Königshausen. Das war wild, erhaben, präzise, voller Klarheit, Mut und Radikalität. Dort habe ich viel von dem gelernt, was ich übers Leben weiß. Ich erinnere mich noch genau an jenen Abend, an dem ich nach einem dieser Seminare mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, vollkommen aufgelöst nach der Erkenntnis „Jeder stirbt allein“, und inmitten dieser Auflösung, in totalem inneren Aufruhr, bin ich frontal gegen einen Kant(!)stein gefahren und dachte: Na bravo, so geht Philosophie, setz deinen Verstand ein, verdammt nochmal!
Vielen Dank für das Gespräch!
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