Stadt, Straße, Straßenbahn. Kulturanthropologische Fragen an die Schienen im Straßenpflaster (Gruppe 2)
Date: | 10/21/2022, 2:00 PM - 7:00 PM |
Category: | Blockseminare, B, C |
Location: | Hubland Süd, Geb. Z6 (Zentrales Hörsaal- u. Seminargebäude), 01.005 |
Organizer: | Europäische Ethnologie/Volkskunde // Fachbereich: Europäische Ethnologie/Volkskunde |
Speaker: | Dr. Peter Hörz |
»Eine Besonderheit des Basler Trams«, so Johanna Rolshoven vor gut zwanzig Jahren, läge in dessen speziellem Verhältnis zu ›seiner‹ Stadt, und weiter heißt es, dass die Straßenbahn in Basel »konkret und symbolisch einen großen Raum« einnähme (Rolshoven 1998, 221). Was sich in Rolshovens Buchbeitrag an diese Feststellung anschließt, sind nicht nur sozial- und technikhistorische Abhandlungen, die den öffentlichen Verkehr in der Stadt betreffen, sondern auch Überlegungen zur männlich dominierten Begeisterung für alte und neue Straßenbahnfahrzeuge, zur Verortung des raumzeitlichen Phänomens ›Tramfahrt‹ im Gefüge der Stadt und zum Verhalten der Passagiere in den Fahrzeuginnenräumen. Damit ist Rolshovens Text in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zum einen darf er als eine der wenigen Wortmeldungen aus der deutschsprachigen Kulturanthropologie gelten, die sich überhaupt auf schienengebundene Verkehrsmittel beziehen. Zum anderen umreißt er ein ethnografisches Forschungsprogramm das bislang in Stadt- und Raumkulturforschung, Technikkulturforschung und Mobilitätsstudien selten aufgegriffen worden ist.
Nun mögen sich Basel und Würzburg in Einwohnerzahl und Stadtstruktur und ihre Straßenbahnsysteme in Streckenlänge und Netzdichte auch deutlich unterscheiden, doch lässt sich auch für Würzburg konstatieren, dass die Straßenbahn in den Alltagen der ansässigen und einpendelnden Bevölkerung wie auch in der Wahrnehmung der Stadt und ihrer Räume eine bedeutende Rolle spielt. Und mit einigem Recht lässt sich sagen, dass einiger der repräsentativsten Würzburger Stadträume wesentlich von den Schienen im Straßenpflaster und der in kurzen Zeitabständen wiederkehrenden Epiphanie der Trams geprägt sind.
Dabei ist die heutige Präsenz der Straßenbahn in Würzburg keine Selbstverständlichkeit, wurde doch ihre vollständige Stilllegung in den 1950er und 60er Jahren wiederholt diskutiert. Doch während in Europa und Nordamerika zahllose Straßenbahnbetriebe der Begeisterung für die autogerechte Stadtplanung zum Opfer fielen, hielt Würzburg an der Tram fest, erweiterte sogar das Streckennetz und modernisierte den Fahrzeugpark. Und dieser Prozess hält weiter an – etwa in Gestalt der in greifbare Nähe gerückten Streckenverlängerung in Grombühl und einer Erschließung von Frauenland und Hubland, für die aktuell planungsrechtliche Voraussetzungen geschaffen werden. Dabei ist die technische Apparatur ‚Straßenbahn’ längst Teil der Diskurse über urbane Lebensqualität, nachhaltige Stadtentwicklung, Luftreinhaltung und Klimapolitik geworden. Schienen-Nerds, Umwelt- und Verkehrsinitiativen fordern deshalb für die Zukunft noch eine ›Regionalstadtbahn‹, die Verbindungen in das Umland herstellen soll.Ausgehend von einer Rezeption ausgewählter sozialwissenschaftlicher und kulturanthropologischer Literatur zu Mobilität, Städtebau und (schienengebundenen) Verkehrsmitteln zielt die Lehrveranstaltung darauf ab, kulturanthropologische Fragen an die Würzburger Straßenbahn zu richten und mittels eigenständiger forscherischer Aktivitäten der Studierenden einer Beantwortung näher zu bringen. Dabei werden das mit dem räumlich-zeitlichen Phänomen ›Straßenbahn‹ verbundene Stadterlebnis, die Qualität der Tram als »Großstadtmöblierung« (Hartmann 1985), die stadtstrukturbildende ›Kraft‹ von Straßenbahnlinien und ihr Stellenwert im Kontext von Nachhaltigkeitsdebatten in den Blick genommen. Nicht zuletzt sollen die Diskussionen um Erweiterungen des Straßenbahnnetzes, näher beleuchtet und gefragt werden, welches ›Stadtbild‹ jene Planer*innen und Verkehrspolitiker*innen vor Augen haben, die sich durch die »Renaissance der Straßenbahn« (Köstlin 1998) die »Wiedergeburt des urbanen Raumes« (Jahn 2010) versprechen.
Das Blockseminar findet an folgenden Terminen statt:
Fr., 21..10.22,
Fr., 11.11.22, 12.11.22,
Fr.03.02.23
Das Seminar kann auch für das >Zertifikat "Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit" angerechnet werden.
Anmeldung und weitere Informationen auf WueStudy.