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Prof. Dr. Isabel Karremann - Lehrstuhl für englische Literaturwissenschaft

03/18/2014

Isabel Karremann ist neue Professorin in der Anglistik der Universität Würzburg. In einem soeben gestarteten Forschungsprojekt untersucht sie unter anderem Shakespeares Rolle bei der Entwicklung einer Idee von Europa und einer europäischen Gemeinschaft.

Für eine gute Shakespeare-Inszenierung reist sie auch bis nach London: Isabel Karremann hat den Lehrstuhl für englische Literatur- und Kulturwissenschaft inne. (Foto: Gunnar Bartsch)

Sie hat sich mit der Frage beschäftigt, wie eine normative Männlichkeit, die kulturell als selbstverständlicher Standard gesetzt wird und dadurch ebenso ungreifbar wie unangreifbar erscheint, im englischen Roman des 18. und frühen 19. Jahrhunderts beschrieben wird. Sie hat die Prozesse des Vergessens und des Vergessenmachens in englischen Historiendramen um 1600 erforscht. Sie interessiert sich dafür, welche Rolle das Nicht-Menschliche für die literarische Standortbestimmung des Menschen spielt. Oder, auf einen Nenner gebracht: Sie will das Verborgene und Verdrängte unserer Kultur, das aber gleichzeitig ihr Selbstverständnis bedingt, mit Hilfe der Literatur sichtbar machen.

Seit dem vergangenen Wintersemester hat Isabel Karremann den Lehrstuhl für englische Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Würzburg inne. Neben Gender- und Vergessens-Forschung und allen Fragen rund um das Verhältnis von Mensch und Tier gibt es einen weiteren Schwerpunkt in ihrer Forschung, der in diesem Jahr in besonderem Maße ins  Scheinwerferlicht rücken wird: William Shakespeare. Immerhin feiert die Welt am 23. April dessen 450. Geburtstag. Kurz davor – am 2. April – wird die junge Professorin deshalb auf Einladung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft einen Vortrag in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar halten. Am Beispiel vorangegangener Shakespeare-Jubiläen wird sie darin die Geschichte deutsch-englischer Beziehungen nachzeichnen.

Ein Nationalpoet für viele Nationen

„Shakespeare wurde im 18. und 19. Jahrhundert von vielen Ländern zur Konturierung der eigenen Nationalliteratur wie auch der eigenen Nationalidentität herangezogen. Dass er in England geboren wurde und lebte, war in deren Augen nur ein Zufall“, sagt Isabel Karremann. Vor allem in Deutschland, wo der Dichter im Zuge der Romantik wiederentdeckt worden war, war die Ansicht weitverbreitet, dass Shakespeares Texte deutsche Tugenden und Ideale auf das Beste verkörperten. Das zeigt sich beispielsweise 1771 in Johann Wolfgang von Goethes Rede zum „Schäkespears Tag“ – einer Antwort auf das erste, prachtvoll inszenierte Shakespeare-Jubiläum, das der Schauspieler, Autor und Theaterleiter David Garrick 1769 in Stratford-upon-Avon organisiert hatte. Während England damals seinen Nationalstolz an Shakespeare aufrichtete, überbrachte eine deutsche Delegation eine mit symbolträchtigem Eichenlaub umkränzte Gratulationsschrift.

In den folgenden Jahrhunderten werden Shakespeare-Jubiläen immer wieder zum Spielball politischer Ereignisse: 1864, zum 300. Jubiläum, befindet sich Deutschland mit Dänemark im Krieg. England unterstützt den kleinen Nachbarn im Norden, weshalb deutsch-englische Spannungen auf dem Treffen nicht ausbleiben. Im gleichen Jahr wird die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft gegründet. Die schon lange im Voraus geplante Kooperation zum 300. Todestag im Jahr 1916 wird gleich ganz ein Opfer des 1. Weltkriegs – man feiert unter Ausschluss deutscher Wissenschaftler. Und 1939 machen die Nationalsozialisten ihren Einfluss geltend: Von der Jubiläumstagung zum 75-jährigen Bestehen der Shakespeare-Gesellschaft werden jüdische Wissenschaftler wieder ausgeladen, der spätere britische Premierminister Winston Churchill darf nicht zum Ehrenmitglied ernannt werden. 1964, drei Jahre nach dem Mauerbau, hinterlässt der Kalte Krieg seine Spuren: Nun gibt es zwei Shakespeare-Gesellschaften in Deutschland – eine in Ost, eine in West. Die Jubiläumsfeiern  finden somit getrennt an verschiedenen Orten statt.

Shakespeares Rolle für Europa

„Am Beispiel dieser Jubiläen lässt sich sehr gut aufzeigen, welche Rolle Shakespeare zu unterschiedlichen Zeiten als kulturelle und als politische Figur gespielt hat“, beschreibt die Wissenschaftlerin ihre Forschung. Zusammen mit Kollegen aus den Niederlanden, Großbritannien und Polen will sie das Thema in den kommenden Jahren in einem Verbundprojekt intensiv untersuchen. Den Leitgedanken, der darüber steht, formuliert sie so: „Shakespeare und seine Rolle für die Entstehung einer Idee von Europa und einer europäischen Gemeinschaft“.

Gut möglich, dass dabei Würzburg auch eine kleine Rolle zukommt: „Würzburg war Etappe einer Tour von fahrenden Schauspielern seit der frühen Neuzeit “, erklärt Isabel Karremann. Und Shakespeares Dramen und Komödien waren fester Bestandteil in deren Repertoire. Die Wanderbühnen trugen somit wesentlich dazu bei, Shakespeares Ideen über die Grenzen Englands hinaus bekannt zu machen.

Shakespeare – ein politischer Dichter

Welche Rolle hat Shakespeare zu unterschiedlichen Zeiten als kulturelle und politische Figur gespielt? Und welche Rolle kann die Rezeption seiner Werke heute noch spielen? Diesen und weiteren Fragen wollen die Wissenschaftler in ihrem Forschungsprojekt nachgehen. Aber war Shakespeare überhaupt ein politischer Dichter? „Ja“, sagt Isabel Karremann. „Das Politische nimmt in all seinen Werken eine große Rolle ein“, denn seine Dramen bewegten sich ja nicht in einem „luftleeren Raum“: Immer würden sie Fragen der menschlichen Natur und der menschlichen Gesellschaft behandeln, Antworten auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen seiner Zeit geben. „Shakespeare hat zwar politisch brisante Fragen seiner Zeit nicht direkt thematisiert. Das hat auch die Zensur damals verhindert. Aber er hat diese Themen, wie etwa nach der Legitimität von Herrschaft, verschoben in eine andere Zeit und in andere Figuren, sehr wohl dargestellt“, sagt die Wissenschaftlerin.

Zur Person

Isabel Karremann (37) hat Anglistik und Komparatistik an der LMU München und der National University of Ireland studiert. 2007 schloss sie ihre Promotion ab mit einer Arbeit über „Männlichkeit und Körper: Inszenierungen eines geschlechtsspezifischen Unbehagens im englischen Roman des 18. und 19. Jahrhunderts“. Von 2008 an war sie Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit“ an der LMU. Mit einer Arbeit über das Vergessen in Historiendramen um 1600 hat sie sich habilitiert. Seit dem 1. Oktober 2013 hat sie an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für englische Literatur- und Kulturwissenschaft inne.

Hat sie unter den zahlreichen Shakespeare-Stücken eines, das ihr am Besten gefällt? Kurz zögert die Wissenschaftlerin, dann kommt die klare Antwort: „Othello!“ Und warum? „Weil die Figur des Jago eine unglaubliche Energie auf die Bühne bringt.“ Jago sei manipulativ und abgrundtief zynisch, halte aber alle Fäden in der Hand. „Man muss ihn einfach leidenschaftlich hassen“, sagt sie. Und wo geht sie hin, wenn sie eine gute Shakespeare-Inszenierung sehen möchte? Ganz klar: London. Aber halt, so weit muss die Reise gar nicht mehr gehen. Seit Neuestem zeigen auch Kinos in Würzburg Inszenierungen des National Theatre London. Wer will, kann also beispielsweise am 1. Mai Shakespeares Drama „King Lear“ in der Inszenierung von Sam Mendes sehen – auf Englisch, mit englischen Untertiteln und live aus London.

Kontakt

Prof. Dr. Isabel Karremann, T: (0931) 31-89388, isabel.karremann@uni-wuerzburg.de

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