AP4: Medienkompetenzen in inklusiven Grundschulklassen im Bereich Digital Storytelling
Aus der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche und dem damit verbundenen Transformationsprozess resultiert die Frage, in welcher Form digitale Bildung bereits in der inklusiven Grundschule mit Schülerinnen und Schülern des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung erfolgen kann. Damit ist gleichzeitig ein weiterer Innovationsprozess in der Schul- und Unterrichtsentwicklung angesprochen: Inklusion. Aus dem grundschul- und sonderpädagogischen Selbstverständnis von Inklusion heraus ist für die Gestaltung von solchen Lehr- Lernsituationen zentral, dass die Teilhabe und aktive Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler ermöglicht wird (Heimlich 2018).
Der Anspruch an digitale Bildung im inklusiven Anfangsunterricht ist mit der Zielsetzung verbunden, Kinder individuell zu unterstützen, so dass sie in einer von Medien geprägten Welt sachgerecht, selbstbestimmt, kreativ und verantwortlich handeln können (Herzig 2007; Tulodziecki 2019). Dabei kommt Lehrkräften eine oder auch die zentrale Rolle zu, da sie nicht nur über eigene medienbezogene Kompetenzen, sondern auch über didaktische Konzepte zur Vermittlung von Medienkompetenz verfügen müssen. Ziel ist es, digitale Medien pädagogisch sinnvoll im inklusiven Unterricht einzubinden und so auf die mit der Mediensozialisation verbundenen Bildungs- und Erziehungsaufgaben aller Kinder, unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf, zu reagieren.
Die Forschungsziele in AP4 bestehen in der evidenzbasierten medienpädagogischen Professionalisierung der Studierenden im Rahmen der Lehrkräftebildung sowie auf der Prozessebene des Unterrichts in der Identifikation von Qualitätsmerkmalen einer lernförderlichen Mediennutzung im digital-inklusiven Unterricht. Im Fokus steht die theoriebasierte Entwicklung, Erprobung, Reflexion und Weiterentwicklung digital-inklusiven Anfangsunterrichts am Beispiel des Digital Storytelling. Beim Digital Storytelling werden Geschichten mithilfe digitaler Technologien multimodal weitererzählt, indem z.B. Videos, Fotos oder Audiodateien integriert werden (Rahiem 2021). Umgesetzt werden kann dies u.a. durch digitale Bilderbücher mit visuellen, akustischen und animierten Elementen (Schiefele 2018).
Abbildung 1: Integration von Fotoaufnahmen beim Digital Storytelling
In AP4 kooperiert der Lehrstuhl Grundschulpädagogik und -didaktik mit dem Lehrstuhl für Pädagogik bei Geistiger Behinderung. Aufbauend auf die drei Säulen der Deutschdidaktik (Medien-, Sprach- und Literaturdidaktik) wird sowohl die Lehrkräftebildung für digital-inklusiven Unterricht (Fokus 1) als auch der digital-inklusive Unterricht (Fokus 2) in den Blick genommen. Im Bereich der Lehrkräftebildung wird die medienpädagogische Kompetenz der Studierenden durch ein medien- und inklusionspädagogisches Seminarangebot mit dem Titel „Individuelle Förderung im inklusiven Schriftspracherwerb durch digitale Medien – Am Beispiel digitaler Bilderbücher“ gefördert. Die Seminare werden wissenschaftlich begleitet, wobei die mediendidaktischen Überzeugungen sowie die medienbezogene Selbstwirksamkeit im Fokus stehen (Vogelsang et al. 2019). Im Bereich des digital-inklusiven Unterrichts wird in inklusiven Grundschulklassen eine Studie zum Digital Storytelling durchgeführt, videografiert und analysiert. Im Fokus stehen Fragen zum Potenzial kognitiver Aktivierung und zur sozialen Partizipation der Schüler*innen. Abbildung 2 veranschaulicht die skizzierten Forschungsschwerpunkte des Projekts.
Abbildung 2: Zielsetzungen und inhaltliche Schwerpunkte im Forschungsprojekt AP4
Die Potenziale des Digital Storytelling anhand digitaler Bilderbücher wurden für die differenzierte Förderung der Schülerinnen und Schüler im digital-inklusiven Anfangsunterricht bislang nicht ausreichend empirisch untersucht und systematisch überprüft. Dies gilt auch für die Gelingens- und Rahmenbedingungen einer universitären Lehrkräftebildung, die die Förderung medienpädagogischer und inklusionsbezogener Kompetenzen angehender Lehrkräfte in inklusiven Grundschulen zum Ziel hat.
Für die Arbeit im AP4 sind folgenden Fragestellungen leitend:
Fokus 1: Lehrkräftebildung für digital-inklusiven Unterricht
- Wie sind die mediendidaktischen Überzeugungen und die medienbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen als zentrale Bereiche medienpädagogischer Kompetenz bei den Studierenden des Lehramts an Grundschulen und des Lehramts für Sonderpädagogik ausgeprägt, bevor sie das Seminarangebot besuchen?
- Unterscheiden sich die mediendidaktischen Überzeugungen und medienbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen der Seminarteilnehmer*innen in ihren Ausprägungen von denen der Lehramtsstudierenden, die ein Seminarangebot im gleichen Modul ohne medienpädagogischen Schwerpunk besuchen?
- Verändert das Seminarangebot die mediendidaktischen Überzeugungen und medienbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen der Seminarteilnehmer*innen?
- Lassen sich für mögliche Veränderungen Prädiktoren identifizieren?
- Wie erleben und bewerten die Studierenden einzelne medien- und inklusionspädagogische Aspekte des Seminarangebots?
Fokus 2: Digital-inklusiver Unterricht
- Welche potenziell kognitiv aktivierenden Lehr- und Lernsituationen lassen sich in einer Kleingruppenphase zum Digital Storytelling im inklusiven Anfangsunterricht beschreiben?
- Welche Formen von Partizipation von Schüler*innen mit Schwerpunkt Geistige Entwicklung können in der Arbeitsphase einer Kleingruppenarbeit zum Weitererzählen einer digitalen Geschichte am Tablet im inklusiven Anfangsunterricht beschrieben werden?
Seit September 2020 sind die wissenschaftlichen Mitarbeitenden des AP4 in dem Forschungsprojekt tätig. Im Folgenden wird das Vorgehen im Rahmen der Lehrkräftebildung für digital-inklusiven Unterricht und im Bereich des digital-inklusiven Unterrichts erläutert.
Fokus 1: Lehrkräftebildung für digital-inklusiven Unterricht
Im Rahmen der universitären Lehrkräftebildung erstellen Studierende des Lehramts an Grundschulen sowie des Lehramts für Sonderpädagogik in interdisziplinären Kleingruppen digitale Bilderbücher für den digital-inklusiven Anfangsunterricht. Das Seminarkonzept wird durch Fragebögen im Pretest-Posttest-Design sowie Lerntagebücher wissenschaftlich begleitet. Über den digitalen Bücherschrank stehen interessierten Lehrkräften digitale Bilderbücher für die Unterrichtspraxis zur Verfügung, die im Rahmen des Seminars von Studierenden konzipiert wurden.
Abbildung 3: „Zuhause gesucht“ von L. Kaufmann und A. Nagler (2021) in zwei Leseversionen
Fokus 2: Digital-inklusiver Unterricht
Mithilfe der Unterstützung von Studierenden aus den Lehrveranstaltungen wurde eine Projektwoche zum Digital Storytelling geplant und in einem iterativen Prozess durch Pilotierungen an Grundschulen, an Förderschulen mit Schwerpunkt Geistige Entwicklung und in inklusiven Settings weiterentwickelt. Die eingesetzten Unterrichtsmaterialien sind in der nachfolgenden Abbildung 4 im Überblick abgebildet.
Abbildung 4: Überblick über die eingesetzten Unterrichtsmaterialien
Die Studie wurde in acht ersten und zweiten Grundschulklassen sowie Klassen mit Schüler*innen des Schwerpunkts Geistige Entwicklung durchgeführt und videografiert. Auf der Grundlage der videografierten Beobachtung wird in zwei Teilstudien einerseits die Partizipation von Schülerinnen und Schülern mit einer geistigen Behinderung untersucht (Henrik Frisch). Andererseits steht die Beschreibung potenziell kognitiv aktivierender Lehr- und Lernsituationen im inklusiven Anfangsunterricht im Vordergrund (Julia Warmdt).
Die digitalen Bilderbücher in den Seminaren sowie das Lehr- und Lernmaterial für den digital-inklusiven Unterricht werden vor allem mithilfe der App BookCreator und der App SketchBook am iPad erstellt.
Durch die beiden Studien, die sich in der Professions- und Unterrichtsforschung verorten lassen, wird das Ziel verfolgt, theoretische, forschungsbasierte und anwendungsbezogene Aspekte digitalen Lehrens und Lernens in inklusiven Settings stärker zu verzahnen. Studierende entwickeln in Lehrveranstaltungen digitale Bilderbücher, die Lehrkräften im digitalen Bücherschrank kostenlos zum Download zur Verfügung stehen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des medien- und inklusionspädagogischen Seminarkonzepts sowie die Analysen der Videostudie finden wiederum Eingang in die Gestaltung der universitären Lehrveranstaltungen.