Geschichte
Ein Stein, der viel erzählen könnte
Der Studentenstein im Ringpark hat eine bewegte Geschichte
Wer ohne Vorwissen am Studentenstein im Ringpark nahe der Universität am Sanderring vorbeigeht, weiß mit dem 20-Tonnen-Granitquader meist nicht viel anzufangen. „Die deutsche Studentenschaft im Gedenken an den Tod – das Opfer – das Vorbild“ steht darauf. So vage war die Inschrift aber nicht immer: „Als der Stein im Jahr 1927 eingeweiht wurde, wollte man damit an den ‚Heldentod‘ junger Soldaten im Ersten Weltkrieg erinnern“, sagt Stephan Hieronymus. Der 24-jährige Geschichtsstudent hat sich in seiner Bachelorarbeit mit der Historie des Steins beschäftigt.
„Wenn ich durch eine Stadt laufe und zum Beispiel ein Denkmal oder einen Straßennamen sehe, möchte ich wissen, welche Geschichte dahintersteckt“, beschreibt Hieronymus seine Motivation fürs Geschichtsstudium. Deshalb rannte Professor Matthias Stickler vom Lehrstuhl für Neueste Geschichte bei ihm auch offene Türen ein, als er ihm die Wahrnehmung des Studentensteins als Thema vorschlug. Denn so unscheinbar er auf den ersten Blick sein mag: Geschichten kann der Stein viele erzählen.
Ein Mythos wird beschworen
Oder vielmehr könnte beschworen werden. Denn keine Tafel, keine Inschrift erzählt von den Worten, die den Stein ursprünglich zierten: „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“, dazu die schematische Darstellung mehrerer Hände, die ein nach oben zeigendes Schwert ergreifen wollen. Die Botschaft des Steins bezog sich auf studentische Kriegsfreiwillige, die in der ersten Flandernschlacht umgekommen waren – angeblich nachdem sie im Sturmangriff das Deutschlandlied sangen, was heute als Langemarck-Mythos bezeichnet wird. Nichts zeugt davon, dass bei der Einweihung 6.000 Studenten und Professoren aus dem ganzen deutschsprachigen Raum da waren, Regimenter- und Studentenkorporationsfahnen schwingend. Nichts deutet darauf hin, dass auf dem Denkmal früher eine Pyramide mit Reichsadler saß, dass die Nazis einen noch größeren Adler und ein Hakenkreuz anbringen ließen und der Stein in dieser Zeit „Langemarck-Stein“ hieß. Und nichts lässt ahnen, dass die Amerikaner nach dem Krieg den ganzen Aufbau samt Adler wegsprengten.
„Die Bedeutung des Steins wird unterschätzt."
Stephan Hieronymus
„Ursprünglich hatte der Stein das Ziel der Sinnstiftung“, erläutert Geschichtsprofessor Stickler. Doch während Patriotismus in der Weimarer Republik gesellschaftlicher Grundkonsens war, tat man sich nach 1945 schwer damit, gefallene Soldaten zu ehren. Die Deutsche Studentenschaft, die das Denkmal ursprünglich hatte errichten lassen, wurde nach 1945 durch den Alliierten Kontrollrat verboten. Ihre Nachfolgeorganisation, der 1949 gegründete Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), wollte den Stein neu gestalten und wieder aufstellen. Ein Neuanfang sollte her. Aber offenbar wusste man nicht so recht, wie dieser konkret ins Bild gesetzt werden konnte. Erst 1959 wurde das umgestaltete Denkmal an seinem heutigen Standort neu eingeweiht.
Zwischen Kranzniederlegungen und Vandalismus
Das Resultat der damaligen Unsicherheit ist die kryptische Inschrift, die Passanten heute etwas ratlos zurücklässt. „Man spürt die Zerrissenheit der Fünfzigerjahre“, so Stickler. „Die Frage, wie man in Deutschland der eigenen gefallenen Soldaten gedenken kann, ist ja bis heute nicht geklärt.“ Manche Linke scheint die Aussage des Steins dennoch zu provozieren: „Hin und wieder gab es Scherereien, weil Antifa-Anhänger den Stein mit Farbe beschmiert haben“, sagt Stephan. Studentenverbindungen und Uni legten über viele Jahre hinweg an wechselnden Gedenktagen Kränze am Stein nieder. Seit der Auflösung des VDS in den 1990er-Jahren hat der Stein keinen wirklichen Träger mehr. Verantwortlich für dessen Pflege ist die Stadt Würzburg, die alljährlich am Volkstrauertag einen Kranz niederlegen lässt.
„Die Bedeutung des Steins wird unterschätzt“, lautet Stephans Fazit. Gerade weil die heutige Gestaltung so wenig eindeutig ist, werde er insgesamt kaum wahrgenommen. „Als Stein des Anstoßes taugt er nicht, und das gibt seine Geschichte auch nicht her.“ Eine systematische Aufarbeitung der Historie fände Stephan wichtig. Und warum nicht eine erklärende Tafel aufstellen, die den Stein historisch einordnet und ihm seine Stimme zurückgibt? „In meinen Augen wäre das auf jeden Fall sinnvoll“, so Stephan.
Text: Martina Häring; Fotos: Daniel Peter
So unscheinbar und doch so vielsagend: der Studentenstein im Ringpark. Davor Professor Matthias Stickler (l.) und Stephan Hieronymus.
Geschichte studieren
In Würzburg gibt es Geschichte als Bachelor-, Master- oder Lehramtsstudium. „Man sollte Lust auf Detektivarbeit und kein Problem damit haben, längere Texte zu lesen und zu schreiben“, so Stephan Hieronymus. Professor Stickler: „Geschichte ist etwas für kritische Leute, die selber denken und nicht nur wiederkäuen wollen.“
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