Hochschule München, Fakultät Architektur
Forschungs- und Praxisverbund
„Inklusive Hochschule und Barrierefreies Bayern“ Hochschule München Fakultät Architektur
Prof. Dr. Andrea Benze - Städtebau und Theorie der Stadt
Arbeitspapier Stand: 25.1.2017
Inklusion im öffentlichen Raum
Zum Thema Öffentlichkeit äußert sich Jürgen Habermas ganz eindeutig: „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit.“ (Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1990, S.156)
Allerdings verweist Habermas auch darauf, dass es auf politischer Ebene bisher noch keinen Zustand gegeben hat, in dem jedermann die gleichen Chancen zur Teilhabe an der Öffentlichkeit eingeräumt wurden. Vielmehr führen ökonomische und soziale Bedingungen zu Unterschieden. Der Stadtforscher Walter Siebel verweist darauf, dass es sich mit dem öffentlichen Raum nicht anders verhält: theoretisch sollte er für jeden zugänglich sein, jedoch „öffentlicher Raum als jederzeit für jedermann ohne jede Einschränkung zugänglicher Raum, hat niemals in irgendeiner Stadt existiert“ (Walter Siebel: Kultur der Stadt, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2015, S.77)
Dieses soll keine Vorlage dafür bieten, beim Thema Inklusion im öffentlichen Raum zu resignieren, sondern vielmehr aufzeigen, mit welchem hohen Anspruch und über welche wichtige komplexe seit jeher ungelöste Frage geforscht wird. Inklusion meint „Allen Menschen soll die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten ermöglicht werden.“ (UN Behindertenrechtskonvention). Bezogen auf den öffentlichen Raum wird sofort die soziale Dimension dieser Forderung deutlich und um den Untersuchungsgegenstand „Inklusion im öffentlichen Raum“ nicht in unzulässiger Weise zu verkürzen, ist es erforderlich Inklusion als soziologischen Begriff zu verstehen, der sich auf viele marginalisierte Gruppen beziehen kann.
Im Rahmen Förderung im Forschungs- und Praxisverbund „Inklusive Hochschule und barrierefreies Bayern“ wird von der Hochschule München eine zweigleisige Vorgehensweise verfolgt. Erstens ist es geplant, eine Plattform/Recherchestudie zu erstellen, in der beispielhaft bestehende Projekte zur Inklusion vorgestellt werden und bezogen auf ihre Auswirkungen auf den städtischen Raum diskutiert werden. Raum wird hierbei als relationaler Raum verstanden. Er wird nicht als Behälter aufgefasst, in dem sich Handlungen abspielen, sondern Raum entsteht prozesshaft und wird – sehr kurz ausgedrückt - aus Handlungen produziert (vergleiche: Henri Lefebvre: The Production of Space, Blackwell, Oxford UK, Übersetzung Donald Nicholson-Smith 1991). Diese Raumproduktion wird im Projekt auf unterschiedlichen Ebenen mittels qualitativer Methoden wie teilnehmende Beobachtung und leitfadengestützte Interviews erschlossen und durch analytische Zeichnungen und interpretierende Texte untersucht werden. Neben baulich-räumlichen Realisierungen, spielen Organisationsnetzwerke, Kommunikationsformen ebenso eine Rolle wie individuelle persönliche Wahrnehmungen der Beteiligten. Denn eine gelingende Inklusion geschieht nur im Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Ebenen. Neben Orten, die eigens als inklusive
Orte geplant wurden, werden auch Raumproduktionen von Initiativen untersucht, die spontan und beiläufig entstanden sind. Der Beispielraum ist München.
Zweitens werden beispielhafte öffentliche Stadträume in München unter dem Aspekt Inklusion genau untersucht und kartiert. Mit der Frage, wer aus welchen Räumen aus welchem Grund ausgeschlossen ist, werden sichtbare und unsichtbare Grenzen erforscht und der Blick für unterschiedliche Ebenen, auf denen Inklusion wirksam werden sollte, geschärft.
Diese Themen werden im kommenden Sommersemester in zwei unterschiedlichen Lehrveranstaltungen angeboten. Eine davon ist seminaristisch und wird sich vor allem mit der Analyse vorhandener Projekte zur Inklusion und der Analyse von beispielhaften öffentlichen Räumen in München auseinandersetzen. In der zweiten Lehrveranstaltung - ein Entwurfsprojekt im Masterstudium - werden über die Analyse hinaus und aus den gewonnenen Erkenntnissen Werkzeuge für die Stadtentwicklung entstehen. Sie werden die Basis für Entwurfsszenarien für zukunftige Gestaltungen der untersuchten Orte. Beide Veranstaltungen werden durch Gastvorträge flankiert. Im darauf folgenden Wintersemester werden in weiteren Lehrveranstaltungen Methoden präzisiert und die Anzahl der Beispiele vervollständigt. Darüber hinaus ist ein Expertenworkshop geplant.