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Prof. Dr. Matthias Gamer - Lehrstuhl für Psychologie I

03.03.2015

Worauf richten Menschen im Kontakt mit Anderen ihre Aufmerksamkeit? Und warum entspricht ihr Verhalten dabei so gar nicht den klassischen Theorien? Diese Fragen untersucht Matthias Gamer. Der Psychologe ist neuer Professor an der Universität Würzburg.

Wie entsteht soziale Aufmerksamkeit? Diese Frage steht im Zentrum der Forschung von Matthias Gamer (Foto: privat)

Die Lippen der Frau sind hellrot geschminkt, an ihren Ohren baumeln funkelnde Anhänger, ihre blonden Haare sind kunstvoll hochtoupiert – und doch schaut ihr Gegenüber ihr während der Unterhaltung beinahe ununterbrochen in die Augen. Ein Verhalten, das sich mit traditionellen Aufmerksamkeitstheorien der Psychologie nicht vereinbaren lässt. „Den klassischen Theorien nach müsste sich die Aufmerksamkeit primär auf jene Merkmale verteilen, die aus der Umgebung hervorstechen“, erklärt Matthias Gamer. Seit diesem Jahr ist Gamer Professor für Experimentelle Klinische Psychologie an der Universität Würzburg. Die Mechanismen sozialer Aufmerksamkeitsprozesse bilden einen seiner derzeitigen Forschungsschwerpunkte.

„Wir leben in einer sozialen Umgebung, sind einen Großteil unserer Zeit von anderen Menschen umgeben. Wie wir in dieser Situation reagieren, ist auf einer höheren Ebene recht gut erforscht“, sagt Matthias Gamer. Soll heißen: Wie Menschen das Verhalten und die Absichten Anderer interpretieren, mitfühlen oder sich in sie hinein versetzen, hat die Wissenschaft hinlänglich erkundet. Relativ unklar ist jedoch, wie Menschen diese Leistungen überhaupt vollbringen können. Ein Schlüssel dazu liegt in der Frage, wie die Aufmerksamkeit in sozialen Situationen verteilt wird, welche Merkmale wahrgenommen und verarbeitet werden und welche Prozesse dabei im Gehirn ablaufen.

Ein ERC Grant für die Aufmerksamkeitsforschung

Gamers Ziels ist es, das zu ändern. Er arbeitet an einer umfassenden Charakterisierung sozialer Aufmerksamkeit und hat dafür vor gut einem Jahr vom Europäischen Forschungsrat einen „ERC Starting Grant“ erhalten, der mit rund 1,4 Millionen Euro dotiert ist. Mit der Hilfe von sogenannten Eye Trackern – Geräten, die die Augenbewegung messen, mit Messungen der Hirnströme und mit der funktionellen Magnetresonanztomographie will er die Details dieser Vorgänge aufklären.

Teilnehmer an diesen Experimenten sind in erster Linie gesunde Erwachsene. „Es wäre natürlich sehr spannend, mit Kleinkindern zu arbeiten, um so die Entwicklung nachvollziehen zu können“, sagt Gamer. Das allerdings sei mit einem enorm hohen Aufwand verbunden – unter anderem müsse dafür ein spezielles Baby-Labor eingerichtet werden. Deshalb hat er darauf vorerst verzichtet. Später will der Psychologe klinische Gruppen in seine Untersuchungen mit einbeziehen: Zum einen Patienten mit sozialen Angststörungen und zum anderen Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Seine Vermutung: „Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung sind weniger auf soziale Signale wie die Augen ihres Gegenübers fixiert. Sie nehmen stärker andere auffällige Reize aus der Umgebung wahr.“ Den gegenteiligen Effekt erwartet er von Angstpatienten: Diese könnten sich noch stärker auf die Augen konzentrieren, weil sie ständig in Furcht von einem „abschätzigen Blick“ sind.

Experimente in der Virtuellen Realität

Fotos mit Aufnahmen realer Szenarien, auf denen auch Menschen zu sehen sind, stehen am Anfang von Gamers Experimenten. Mit Hilfe von ausgeklügelten Algorithmen hat ein Computerprogramm zuvor errechnet, wie sich die Aufmerksamkeit der Betrachter dort verteilen müsste, und daraus eine sogenannte „Salienzkarte“ erstellt. Diese wird anschließend mit dem tatsächlichen Muster der Augenbewegungen verglichen . Auf die Fotos folgen Videos, bevor es zum Schluss in die virtuelle Realität geht. Dort können die Versuchspersonen beispielsweise in einer simulierten Restaurantszene mit einem virtuellen Gegenüber interagieren.

Die Expertise im Bereich der Virtuellen Realität an der Universität Würzburg sei mit ein Grund dafür gewesen, warum er von Hamburg an den Main gewechselt ist, erzählt Matthias Gamer. Am Lehrstuhl für Psychologie I, zu dem Gamer jetzt gehört, treffe er auf eine „deutschlandweit so gut wie einzigartige Kompetenz im Bereich der Virtuellen Realität mit den dazugehörigen technischen Voraussetzungen“, sagt er. Dies passe sehr gut zu seinem Vorhaben.

Weitere Forschungsschwerpunkte

Wie sich Menschen an emotionale Ereignisse erinnern: Diese Frage bildet einen weiteren Schwerpunkt von Matthias Gamers Forschung. „Die Erinnerung an solche Ereignisse ist oft sehr lebhaft und hält über einen langen Zeitraum an“, sagt der Wissenschaftler. Dabei zeige sich jedoch ein merkwürdiger Effekt: Während zentrale Elemente dieser Ereignisse immer besser erinnert werden, gehen Randdetails typischerweise verloren. Warum dies so ist, interessiert Gamer auch aus Sicht der forensischen Psychologie. Schließlich habe dieses Phänomen Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit von Augenzeugenberichten und könnte sich auch bei Verfahren bemerkbar machen, in denen es darum geht, die Glaubwürdigkeit bestimmter Aussagen zu bewerten – landläufig auch „Lügendetektion“ genannt.

Darüber hinaus beschäftigt sich Gamer mit der Emotionsverarbeitung bei Depersonalitätsstörungen, also dann, wenn Menschen das Gefühl haben, von ihrem eigenen Selbst getrennt zu sein. Und mit dem Wechselspiel kognitiver und emotionaler Prozesse bei ökonomischen Entscheidungen. Dabei untersucht er unter anderem die Frage, wie sich die Struktur solcher Märkte, beispielsweise Online-Auktionen, auf diese Interaktion auswirkt.

Lebenslauf von Matthias Gamer

Matthias Gamer wurde 1976 in Idstein (Hessen) geboren. Von 1997 bis 2003 studierte er Psychologie an der Universität Mainz. Dort schloss er 2008 in der allgemeinen experimentellen Psychologie auch seine Promotion ab. Als Postdoc forschte er am Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, wo er 2011 die Leitung einer Arbeitsgruppe für soziale und angewandte Psychophysiologie übernahm. Von dort wechselte er zum 1. Januar 2015 auf die Professur für Experimentelle Klinische Psychologie an der Universität Würzburg. Neben dem ERC Grant erhielt Gamer 2013 den Preis als bester Doktorandenbetreuer in der Biopsychologie und 2005 den mit 10.000 Euro dotierten Lehrpreis des Landes Rheinland-Pfalz.

Kontakt

Prof. Dr. Matthias Gamer, Lehrstuhl für Psychologie I (Biologische und Klinische Psychologie, Psychotherapie), T (0931) 31-89722, matthias.gamer@psychologie.uni-wuerzburg.de

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