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Lehre

Stereotype und die Kunst der Begegnung

19.07.2016

Der lässige Südeuropäer, der feurige Inder, der pflichtbewusste Deutsche: Im „Global Village 10“ an der Universität Würzburg wurden gängige Stereotype durchbrochen.

Warum heißt Tim Neppel eigentlich Tim? Wer sich für ihn interessiert, erfährt das aus neben stehendem Bild und dem Text. (Foto: Uni Würzburg)

Es gibt hundert Arten, sich zu begrüßen. Die einen begnügen sich mit einem schlichten „Hallo“. Für andere ist der feste Händedruck charakteristisch. Wieder andere sinken ihrem Gegenüber in die Arme. Die Arten und Weisen, sich zu begrüßen, unterscheiden sich von Land zu Land, vor allem aber auch individuell. Das lernten die Teilnehmer des interkulturellen Labors „Global Village 10“, das Studierende aus dem Kurs „Cross-Cultural Management“ der Universität Würzburg organisiert hatten.

200 Studierende aus 27 Nationen entwarfen im Sommersemester 2016 unter der Regie ihres Dozenten Philo Holland in einer 2.300-stündigen Arbeit das „Global Village 10“. Zum Projektabschluss wurde es in der Mensa öffentlich präsentiert. Unter dem Motto „Beyond Stereotypes“ erfuhren Gäste an verschiedenen Stationen, inwieweit sie den gängigen Klischees über ihre eigene Nationalität entsprechen. Und inwieweit sie selbst in Stereotypen verhaftet sind.

Nationalität anhand des Verhaltens erraten

Simuliert wurde unter anderem ein internationales Geschäftsessen. Am Einlass gab es Zettel mit Verhaltensanweisungen – also etwa, wie man sich zu Beginn des Meetings begrüßt: Zurückhaltend, stürmisch oder herzlich. Auch das Verhalten beim Dinner verlief nach den ausgehändigten Regieplänen. Am Ende war die spannende Frage zu lösen: „Welche Nationalität vertrat ich?“ Nicht selten lag die Einschätzung sprichwörtlich meilenweit von jenem Land entfernt, für das die simulierten Verhaltensweisen als typisch gelten.

Die Klischees, anhand derer im „Global Village“ aufgezeigt wurde, wie stark das Individuum von dem abweicht, was für sein Land als charakteristisch gilt, gründen sich auf eine wissenschaftlich erarbeitete, stereotype Einteilung der Menschen in drei Gruppen. Da gibt es die Nordeuropäer und US-Amerikaner als eine große Gruppe, in der zweiten Gruppe tummeln sich Südeuropäer, Lateinamerikaner, Afrikaner und Araber, die dritte Gruppe umfasst die ostasiatischen Völker.

Ein Inder war besonders deutsch

Bei einem Selbsttest erfuhren Studierende und Besucher, wie weit sie individuell den Stereotypen ihres Landes entsprechen. Oder eben auch nicht. „Der ‚deutscheste’ Deutsche in meinem Team war ein Inder“, erzählt Tim Neppel, Student im 6. Semester. Sein eigener Selbsttest ergab, dass er ein ziemlich südländischer Typ ist. Vom typischen Deutschen unterscheidet ihn sein temperamentvolles Wesen: „Außerdem bin ich nicht jemand, der Dinge anpackt und konsequent durchzieht“ – was viele von einem „typischen“ Deutschen wohl erwarten würden.

Kein einziger Besucher des „Global Village“ entsprach vollkommen den Stereotypen seiner Nationalität. Das beweist: Stereotype taugen nur sehr bedingt dazu, sich auf eine interkulturelle Begegnung im Privat- oder Geschäftsleben vorzubereiten. Es gibt etliche Faktoren jenseits der Nationalität, die das Individuum prägen. Die eigene Familie allen voran. Letztlich gibt es so viele „Typen“, wie Menschen die Erde bevölkern. Klischees können bei Begegnungen allenfalls als vage Orientierung dienen. Wer einem anderen Menschen ernsthaft begegnen möchte, muss sich tiefer auf ihn einlassen.

Die Kunst der Begegnung erfahren

Das wurde an der Station im interkulturellen Labor deutlich, die Tim Neppel mitverantwortet hat: Die Besucher wurden von einer Bilderwand empfangen. Die Bilder bezogen sich auf die Vornamen der studentischen Künstler. Ein längerer Text unter den Bildern beschrieb, woher der jeweilige Vorname geschichtlich kommt und warum der Student diesen Namen trägt. „Meine Mutter mochte Tim und Struppi“, erklärte Neppel die Herkunft seines Vornamens.

Aufgabe der Besucher war es, einen der Bildproduzenten im „Global Village 10“ aufzuspüren und sich von ihm eine bestimmte Frage beantworten zu lassen. Tim zum Beispiel ließ fragen, welches sein Lieblingsmotorrad ist. Ihn zu finden war nicht schwer, denn jeder Besucher trug ein Namensschild um den Hals. Die Antwort auf seine Frage gab es jedoch nicht so ohne weiteres. Tim klopfte den Fragenden erst mal daraufhin ab, ob er seinen Text gründlich gelesen hat: „Wie nannte mich meine Cousine als Kind?“

Wer Tims Text nur überflogen hatte, wusste nicht zu antworten. Und erhielt darum auch keine Antwort auf seine Frage nach Tims Motorradfavoriten. Was die Erkenntnis hervorrief, wie oberflächlich wir uns doch oft begegnen. Aus dieser Oberflächlichkeit resultieren Vorurteile, Missverständnisse und Konflikte. Bei Cross-Cultural Manager Philo Holland lernen die Studierenden also nicht nur, Stereotype aufzudecken. Letztlich geht es um die Kunst der Begegnung an sich.

Zur Entstehung des „Global Village“

Dozent Philo Holland über die Geschichte seines Projekts: „In 2010, the goal of the Cross-Cultural Management course was to create an entirely new approach toward working together. This worldwide unique approach was created by 2300 students from 100 countries here at the University of Würzburg. Also wanting a chance to practice what they learned, they designed Global Village as a project putting students into a group working environment with a unique set of tools, skills and agreements giving them a completely new way of working together. And because the project topic is focused on racism, sexism, discrimination and bigotry, it is an excellent space to talk about taboo topics, misunderstandings, prejudices directly in the project. The idea behind the Global Village Project is demonstrating that integration can be produced under the right circumstances.”

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