Wendepunkte des Lebens
09.12.2014Artur Becker ist ein mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller. Auf Einladung der Universität Würzburg hat er jetzt Gymnasiasten Einblick in seine Schreibwerkstatt gegeben. „Sprache und Identität“ war das Thema seines Workshops.
Was ist Ziel und Zweck literarischen Schreibens? Wochen, Monate, Jahre vor dem Papier zu sitzen – warum tut sich das ein Schriftsteller an? Viele der Jugendlichen, die sich im Würzburger Uni-Klassenzimmer mit Chamissopreisträger Artur Becker trafen, hatten darüber bisher noch nicht allzu tief nachgedacht. Der intensive Workshop mit dem Autor, den das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZfL) in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Didaktik der Deutschen Sprache und dem Internationalen Forschungszentrum Chamisso-Literatur IFC für die Jugendlichen durchführte, veränderte ihr Verhältnis zur Literatur.
Unbehagen angesichts der aktuellen Lage
Artur Becker liebt es, sich intellektuell zu streiten. Nichts schöner für den Schriftsteller, als wenn er auf Menschen trifft, die ganz anderer Meinung sind als er. Und so ging es während des Workshops zum Thema „Sprache und Identität“ mitunter ziemlich hitzig zu. Da ist zum Beispiel die Frage, wie fatalistisch der Mensch sein darf angesichts all dessen, was nicht gut ist im Leben, was schlecht läuft in der Welt. Der aus Polen stammende Autor machte keinen Hehl daraus, dass er zum Beispiel die aktuellen politischen Entwicklungen mit großem Unbehagen verfolgt.
Für ihn sei mehr als fraglich, ob es noch lange gutgehen kann mit einem Gesellschaftssystem, das sich dem Kapitalismus verschrieben hat. Mit Sorge betrachtet Becker aber auch drohende ökologische Katastrophen wie den Klimawandel. Doch gerade diese Fragen stellen sich mit 15 anders als mit 46 – dem Alter Artur Beckers. „Ich will leben und nicht immer nur an das denken, was alles Schlimmes passieren kann!“, entfuhr es einer Schülerin. Verständlich. Und genau so eine Aussage erzähle viel von ihr selbst, machte Becker klar: „Sprache ist äußerst verräterisch.“ Gerade deshalb sei es so faszinierend, sich mit ihr zu beschäftigen.
Die Angst vor dem leeren Blatt Papier
Schreiben ist schön, kann aber auch ein ziemliches Problem darstellen. Wie fängt man eine Geschichte an? Zumindest für Momente erlebten die Zehntklässler vom Würzburger Siebold-Gymnasium, die mit Deutschlehrerin Gesche Neumann ins Uni-Klassenzimmer auf den Campus Nord kamen, die berühmte Angst des Autors vor dem weißen Blatt Papier.
Sich selbst sollten die Jugendlichen thematisieren, ihrer Identitätsentwicklung sollten sie in einem kurzen Text nachgehen. Becker: „Sicher gibt es in eurem Leben eine Geschichte, die euch sehr prägte. Die zu einer Verschiebung im Denken führte, die euer Bewusstsein oder eure Haltung zur Welt änderte.“ Bei ihm selbst habe das erste Verliebtsein zu einem Wendepunkt geführt: „Damals begann ich, Gedichte zu schreiben.“
Schwierige Suche nach einem Thema
Was für ein schwieriges Thema! Wie bringt man zu Papier, was einen geprägt hat? „Wenn ich rede, kann ich mich viel besser ausdrücken, als wenn ich schreibe“, gab einer der Schüler zu. Seinen Nachbarn überfiel eine Furcht, die ebenfalls vielen Schriftstellern bekannt ist: Wird es gelingen, so zu formulieren, dass die Botschaft nicht in banalen Sätzen rüberkommt?
Und was soll man bloß auf einer halben, höchstens einer Seite erzählen? Welches der vielen Erlebnisse, die das Leben bisher prägten, soll ausgewählt werden?, fragte sich eine Gymnasiastin. Die erste Verliebtheit? Ein besonders faszinierendes Buch? Das bisher gewaltigste schulische Versagen? Ein besonders dramatischer Streit? Auch dies eine typische Herausforderung, vor der Schriftsteller mit jedem neuen Projekt stehen. Jedes Thema hat so viele Facetten. Doch unmöglich können alle behandelt werden.
Schreiben ist Knochenarbeit
Am Ende wurde die Aufgabenstellung mit Bravour gelöst. Nach einigem Ringen fiel jedem etwas ein. Und die Füller huschten über das Papier. So also geht es Schriftstellern, erlebten die Jugendlichen. Sie machen keinen leichten Job. Was Artur Becker bestätigte: „Zu schreiben, das ist Knochenarbeit.“
Egal, ob es sich um ein Gedicht, eine Erzählung oder einen Roman handelt. Voraussetzung sei natürlich eine gewisse Begabung: „Doch die ist nicht das Wichtigste.“ Das Wichtigste sei Konzentration. Und daran, bedauerte der Schriftsteller, fehle es Jugendlichen heute leider oft. Dabei kann Konzentration mitunter lebenswichtig sein. Man denke an einen einzigen unkonzentrierten Moment im Verkehr. Und das ganze Leben kann verpfuscht sein. Oder ist vorbei.
Die Robert Bosch Stiftung hat begleitend die Abendlesung mit Artur Becker gefördert.
Dr. Britta Schmidt