Auf die richtige Balance kommt es an
20.10.2020Einen grundlegenden Beitrag für die Krebsforschung liefert eine neue Studie von Würzburger Wissenschaftlerinnen in Kooperation mit der TU Dresden. Wenn sich eine Zelle teilt, werden ausgewählte Zielproteine durch Enzyme mit Signalmolekülen markiert und daraufhin abgebaut. Die beteiligten Enzyme können sich jedoch auch selbst für den Abbau markieren. Ein multidisziplinäres Forscherteam hat nun modellhaft aufgeklärt, wie Enzyme sich vor derartiger Selbstzerstörung schützen und bei Bedarf schnell wieder zur Verfügung stehen können. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Science Signaling veröffentlicht.
Zentrale Funktionen vielzelliger Organismen, wie Wachstum, Entwicklung und Regeneration von Geweben basieren auf der präzise regulierten Teilung von Zellen. Wenn diese aus den Fugen gerät, kann Krebs entstehen. Ein Forscherteam der Universitäten Würzburg und Dresden hat einen molekularen Mechanismus entdeckt, der für die Regulation der Zellteilung von besonderer Bedeutung ist. Federführend waren Dr. Sonja Lorenz vom Rudolf-Virchow-Zentrum – Center for Integrative and Translational Bioimaging der Universität Würzburg und Dr. Jörg Mansfeld vom Biotechnology Center (BIOTEC) der Technischen Universität Dresden.
Ubiquitinierung als zentrales Steuerelement
Ein kritischer Schritt in der Zellteilung ist die gleichmäßige Verteilung der Erbinformation auf die entstehenden Tochterzellen. Dieser Prozess wird durch einen riesigen Proteinkomplex, den Anaphase-Promoting-Complex/Cyclosom (APC/C), gesteuert, der Zielproteine mit dem Signalprotein Ubiquitin markiert. Die Ubiquitinsignale ähneln einer molekularen Postleitzahl, die markierte Proteine der zellulären Proteinabbaumaschinerie zuführt. Damit dies gelingt, arbeitet der APC/C mit dem Ubiquitin-konjugierenden Enzym UBE2S zusammen. Dieses stellt sicher, dass Ubiquitinsignale auf Zielproteinen akkurat und effizient angebracht werden. Allerdings kann sich UBE2S auch selbst mit Ubiquitin markieren und somit seinen eigenen Abbau einleiten. Dieser Umstand trifft ebenso auf Ubiquitinierungsenzyme im Allgemeinen zu. „Dies wirft die fundamentale Frage auf, wie diese Enzyme die richtige Balance zwischen Selbstmarkierung und Zielproteinmarkierung erreichen und gewährleisten, dass hinreichende Enzymmengen in der Zelle vorhanden sind, wenn sie benötigt werden“, sagt Sonja Lorenz.
Wechsel zwischen aktiven und inaktiven Zuständen
Die neue Studie beantwortet diese Frage modellhaft für UBE2S und zeigt, dass das Enzym einen inaktiven Zustand einnehmen kann, der eine Selbstmarkierung mit Ubiquitin verhindert. „Wir konnten zeigen, dass UBE2S durch Dimerbildung, also zwei aneinander gebundene Moleküle, in einen inaktiven Zustand übergeht und damit der Zelle für spätere Reaktionen zur Verfügung steht“, erklärt Jörg Mansfeld. Die Zelle steuert also das Verhältnis von aktivem zu inaktivem UBE2S, damit die Zellteilung präzise funktionieren kann. Diese neuen Erkenntnisse sind von großer Bedeutung für die Entwicklung neuer krebstherapeutischer Strategien und liefern konkrete Ansätze für die Wirkstoffentwicklung.
Ubiquitinforschung auf vielen Ebenen
Die aktuelle Studie ist bereits die zweite erfolgreich publizierte Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen Lorenz und Mansfeld zur Regulation von UBE2S. Beide Veröffentlichungen wurden durch gesonderte Kommentarartikel ausgezeichnet.
Die Arbeitsgruppe von Sonja Lorenz erforscht die strukturellen Grundlagen des Ubiquitin-Systems, das nahezu alle zellulären Vorgänge kontrolliert. Besonders interessiert sie die Frage, welche molekularen Mechanismen der enormen Spezifität der Ubiquitinierung zugrunde liegen. Dazu kombiniert die Arbeitsgruppe hochauflösende strukturelle Techniken, die Einblicke auf atomarer Ebene liefern, mit biochemischen und biophysikalischen Methoden. Sonja Lorenz ist Leiterin einer durch das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Arbeitsgruppe und Ko-Sprecherin eines Ubiquitin-fokussierten Graduiertenkollegs (GRK2243; DFG). Sie ist Gründungsmitglied des Mildred Scheel-Nachwuchszentrums (Deutsche Krebshilfe) in Würzburg und engagierte sich außerdem für überregionale Ubiquitin-Initiativen. 2018 wurde Sonja Lorenz in das hochselektive EMBO Young Investigator-Programm aufgenommen. Anna Liess schloss ihre Promotion in der Arbeitsgruppe Lorenz in diesem Jahr erfolgreich ab und war Mitglied der Würzburger Graduate School of Life Sciences sowie des GRK2243.
Die Forschungsgruppe von Jörg Mansfeld beschäftigt sich mit Ubiquitinierung und anderen Modifikationen von Proteinen. Das Team verwendet zellbiologische und biochemische Methoden, um die Rolle dieser Modifikationen bei der Entscheidung der Zelle, ob sie sich weiter teilt, oder für eine bestimmte Funktion spezialisiert, zu untersuchen. Jörg Mansfeld ist Leiter einer Emmy-Noether Arbeitsgruppe an der TU Dresden und wird von ERC Starting Grant (680042) der Europäischen Union und der DFG finanziert. Alena Kučerová ist Doktorandin an der Dresden International School for Biomedicine and Bioengineering (DIGS-BB) und wurde durch ein DIGS-BB Fellowship unterstützt.
Publikation
Anna KL Liess, Alena Kucerova, Kristian Schweimer, Dörte Schlesinger, Olexandr Dybkov, Henning Urlaub, Jörg Mansfeld, and Sonja Lorenz: Dimerization regulates the human APC/C-associated ubiquitin-conjugating enzyme UBE2S. Science Signaling (Oktober 2020) doi: 10.1126/scisignal.aba8208
Kontakt
Dr. Sonja Lorenz (AG Lorenz, Rudolf-Virchow-Zentrum)
Tel: +49 (0)931 31-80526, sonja.lorenz@virchow.uni-wuerzburg.de
Dr. Judith Flurer (Pressestelle, Rudolf-Virchow-Zentrum)
Tel: +49 (0)931 31-85822, judith.flurer@virchow.uni-wuerzburg.de
Dr. Jörg Mansfeld (AG Mansfeld, BIOTEC, TU Dresden)
Tel. +49 (0)351 463 40120, joerg.mansfeld@tu-dresden.de
Das Rudolf-Virchow-Zentrum
Das Rudolf-Virchow-Zentrum gehört als Zentrale Einrichtung zur Universität Würzburg. Die Forschungsgruppen arbeiten auf dem Gebiet der Schlüsselproteine, die für die Funktion von Zellen und damit für Gesundheit und Krankheit besonders wichtig sind.
https://www.uni-wuerzburg.de/rvz/
Das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) wurde 2000 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden mit dem Ziel gegründet, modernste Forschungsansätze in der Molekular- und Zellbiologie mit den in Dresden traditionell starken Ingenieurswissenschaften zu verbinden. Seit 2016 ist das BIOTEC eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden. Das BIOTEC nimmt eine zentrale Position in Forschung und Lehre im Forschungsschwerpunkt Molecular Bioengineering ein und verbindet zellbiologische, biophysikalische und bioinformatische Ansätze miteinander. Es trägt damit entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im Bereich Gesundheitswissenschaften, Biomedizin und Bioengineering bei.
www.tu-dresden.de/biotec
www.tu-dresden.de/cmcb