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Rudolf-Virchow-Zentrum - Center for Integrative and Translational Bioimaging

Schlaganfall: Neue Erkenntnisse

04.02.2020

Einem interdisziplinären Forscherteam des Uniklinikums Würzburg ist es gelungen, bei Schlaganfallpatienten winzige Blutproben direkt aus der abgeriegelten Zone zu gewinnen und zu analysieren.

Die an der Studie beteiligten Forscher im Angiographie-Operationssaal der Neurologischen Klinik (v.l.): Bernhard Nieswandt, Mirko Pham, Alexander Kollikowski, Guido Stoll, Wolfgang Müllges und Michael Schuhmann.
Die an der Studie beteiligten Forscher im Angiographie-Operationssaal der Neurologischen Klinik (v.l.): Bernhard Nieswandt, Mirko Pham, Alexander Kollikowski, Guido Stoll, Wolfgang Müllges und Michael Schuhmann. (Bild: Arnika Hansen / Uniklinikum Würzburg)

Beim ischämischen Schlaganfall verschließt ein Blutgerinnsel (Embolus) ein Gefäß im Gehirn und verhindert die ausreichende Durchblutung des dahinterliegenden Areals. In der Folge kommt es dort zu einer Mangelversorgung mit Nährstoffen, allen voran Sauerstoff, und die betroffenen Nervenzellen beginnen, abzusterben. Diese Zusammenhänge sind auch Laien einleuchtend und hinlänglich bekannt.

„Es wird aber vermutet, dass sich in der abgeriegelten Zone weitere pathologische Mechanismen abspielen, die einen entscheidenden Einfluss auf das Absterben von Hirngewebe, also das Voranschreiten des Hirninfarkts haben“, erklärt Dr. Alexander Kollikowski vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Uniklinikums Würzburg (UKW).

Professor Mirko Pham, der Direktor des Instituts, ergänzt: „Zum Beispiel weiß man aus Versuchen mit Mäusen, dass im Verlauf der Verschlusssituation eine biochemische Signalkaskade startet, die eine schädliche Entzündungsreaktion auslöst.“ Dieser Effekt ließ sich bislang beim Menschen weder direkt bestätigen noch widerlegen. Als Hürde erwies sich bisher, dass für eine entsprechende Beweisführung „ungestörte“ Blutproben aus dem abgeriegelten Infarktbereich benötigt werden, also bevor die Neuroradiologen das Gerinnsel entfernen und das wiedereinströmende Blut die Situation vor Ort massiv verändert.

Modifiziertes Mikrokatheterverfahren und moderne Laboranalytik als Schlüssel

Diese Hürde wurde von einer interdisziplinären Forschergruppe des UKW unter Beteiligung der beiden oben genannten Experten der Neuroradiologie, der Neurologie (Dr. Michael Schuhmann, Professor Wolfgang Müllges und Professor Guido Stoll) und des Instituts für Experimentelle Biomedizin (Professor Bernhard Nieswandt) genommen. „Hierfür haben wir ein zugelassenes Mikrokatheterverfahren so modifiziert, dass wir kurz vor der Gerinnselentfernung eine winzige Blutprobe aus dem abgeriegelten Kompartiment direkt hinter dem Gerinnsel gewinnen können“, schildert Kollikowski.

Die Probenahme erfolgt also während des zur Entfernung des Gerinnsels ohnehin nötigen minimal-invasiven operativen Eingriffs ohne diesen zu verlängern. Dabei wird ein extrem feiner Katheter – der Durchmesser seiner Öffnung liegt in der Größenordnung eines dicken Haares – durch den Embolus geschoben und auf der anderen Seite eine winzige Blutmenge angesaugt. „Zu Hilfe kommt uns hierbei die spezielle Konsistenz der Schlaganfallgerinnsel. Sie sind so weich, dass ein Durchdringen mit dem Mikrokatheter noch möglich ist, aber gleichzeitig so widerstandsfähig, dass die Barriere nicht schon bei diesem Vorgang zerstört wird“, so Kollikowski.

Entzündungssofortreaktion während des Schlaganfalls bewiesen

Für das Forschungsvorhaben wurde ein aufwändiges Protokoll entwickelt, um winzige Gehirnblutproben standardisiert gewinnen zu können und diese direkt danach sehr nah am Angiographie-OP im Neuroimmunologischen Labor der Neurologischen Klinik des UKW zu analysieren. Damit gelang es zu belegen, und das war nicht unbedingt zu erwarten, dass auch im Menschen eine sofortige massive Entzündungsreaktion im Gehirn stattfindet, die den Tiermodellen sehr ähnlich ist. Die Wissenschaftler konnten erstmals im Menschen Botenstoffe der Entzündung und vor allem eine Invasion der abgeriegelten Zone durch Immunzellen, insbesondere Granulozyten und Lymphozyten, nachweisen.

„Dies ist ein wichtiger Schritt der Translation von der Maus zum Menschen, einem zentralen Anliegen des Sonderforschungsbereichs TR 240, in dem diese Arbeit entstanden ist“, führt Professor Bernhard Nieswandt, der Sprecher des Sonderforschungsbereichs, aus. Der Sonderforschungsbereich beschäftigt sich mit der Rolle von Blutplättchen und Immunzellen bei Gefäßerkrankungen, wie Schlaganfall und Herzinfarkt.

Laut dem Forscherteam ermöglicht die von ihm etablierte Technik der Probenentnahme von Gehirnblut direkt während des akuten Schlaganfalls das Studium weiterer zentraler Entzündungsmediatoren, die am Infarktwachstum beteiligt sind. Es sei realistisch, dass sich mit diesen Erkenntnissen der Fokus in der Therapieforschung und klinischen Testung auf eine bestimmte Medikamentenklasse richten werde: die Gruppe entzündungshemmender Substanzen.

Eine Strategie für die zukünftige Schlaganfalltherapie

Dadurch zeichnet sich eine Strategie für die Schlaganfalltherapie der Zukunft ab. Ein entzündungshemmendes Medikament wird dem Schlaganfallpatienten möglichst frühzeitig verabreicht, idealerweise schon durch den Notarzt vor Eintreffen im Krankenhaus, um das Absterben des Gehirns zu bremsen, bis der Blutfluss durch die operative Wiedereröffnung des Gehirngefäßes wiederhergestellt wird. Zum Wirkungsort innerhalb des abgeriegelten Areals kann das Präparat über Umgehungskreisläufe, die sogenannten Kollateralwege gelangen, mit denen der Körper für eine gewisse Restdurchblutung sorgt, bevor die Nervenzellen endgültig absterben.

In ihrer Studie untersuchten die Würzburger Wissenschaftler im Zeitraum von August 2018 bis Juli 2019 Proben von 151 Patienten. Bei 40 davon waren alle Parameter so, dass die Forscher einen exakten Vergleich mit dem Mausmodell hatten. Die Ergebnisse der Arbeit wurden im Januar 2020 in Annals of Neurology, einer der international führenden Fachzeitschriften für Schlaganfallforschung und Neurowissenschaften, veröffentlicht.

Kollikowski, A. M. et al. Local leukocyte invasion during hyperacute human ischemic stroke. Ann. Neurol. (2020). doi:10.1002/ana.25665

Zur Person

Bereits seit dem Jahr 2002 ist Prof. Dr. Bernhard Nieswandt an der Universität Würzburg in verschiedenen Funktionen tätig. Nach dem Biologie- und Biochemiestudium promovierte er an der Universität Regensburg und habilitierte im Bereich Experimentelle Medizin an Universität Witten/Herdecke. Seit 2008 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Biomedizin mit Schwerpunkt Vaskuläre Biologie und Leiter des Instituts für Experimentelle Biomedizin, das vom Uniklinikum Würzburg (UKW) und dem Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin der Julius-Maximilians-Universität Würzburg gemeinsam getragen wird. Seit April 2016 gehört er zur Doppelspitze in der Leitung des Rudolf-Virchow-Zentrums für Experimentelle Biomedizin.

Quelle: Universitätsklinikum Würzburg

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